Extremisten, Prepper und „Neue Rechte“: Der Militärgeheimdienst MAD schaut nun mit mehr Personal genauer hin und findet auch mehr. Hinweise kommen vor allem aus der Truppe selbst.
Der Militärische Abschirmdienst (MAD) hat im vergangenen Jahr deutlich mehr neue Verdachtsfälle wegen Rechtsextremismus in den Reihen der Streitkräfte untersucht. Die Zahl sei von 363 im Jahr 2019 auf nun 477 Fälle gestiegen, heißt es im MAD-Report 2020, der am Dienstag dem Bundestag vorgelegt wurde. Häufigster Auslöser für Untersuchungen seien „rassistische Aussagen“ in sozialen Medien. Für den Bereich der „Reichsbürger“/“Selbstverwalter“ stieg die Zahl neuer Verdachtsfälle von 16 auf 31.
Es habe sich gezeigt, dass sich die „Bedrohung für grundlegende Werte unserer offenen Gesellschaft durch Extremismus leider auf einem vergleichsweise hohen Niveau verstetigt hat“, schreibt die MAD-Präsidentin Martina Rosenberg in dem Bericht. Er liegt der Deutschen Presse-Agentur vor.
„Offene Gesellschaften sind an vielen Stellen verwundbar. Ob politischer oder religiöser Extremismus, Terrorismus, Cyber-Angriffe oder hybride Aktionen – das Spektrum der Bedrohungen ist vielfältig geworden. Daher ist Wachsamkeit geboten“, so Rosenberg. Sie hat das Amt im vergangenen Jahr als Teil einer Neuausrichtung übernommen. Erklärtes Ziel war eine Stärkung der Extremismusabwehr, insbesondere gegen Rechtsextremismus. Dazu gab es auch mehr Stellen für den Militärgeheimdienst. Seit dem 1. Januar 2021 verfügt der MAD laut Bericht über 1632 Dienstposten (2019: 1551 Dienstposten). Rosenberg war zuvor Bundeswehrdisziplinaranwältin.
Sie verweist in dem Bericht auf die besondere Treuepflicht von Soldaten, Beamten und militärischen Zivilbeschäftigten gegenüber der Verfassung. „Um dieser Pflicht gerecht zu werden, reicht es bei Weitem nicht aus, die Verfassung lediglich zu akzeptieren und nicht infrage zu stellen. Das Treueverhältnis ist vielmehr dadurch gekennzeichnet, sich zu unseren gemeinsamen Werten zu bekennen und jederzeit und vorbehaltlos aktiv für diese einzutreten“, fordert sie. Für Personen mit extremistischen Ansichten oder mit festgestellter Verfassungsuntreue dürfe es kein Verständnis oder gar Rückzugsräume in der Bundeswehr geben.
Hinweise auf neue Verdachtsfälle kamen laut Bericht in 60 Prozent der Fälle aus der Truppe selbst und zu 17 Prozent durch eigene Erkenntnisse des MAD – sowie von Bürgern (8 Prozent), der Polizei (7 Prozent), aus dem Bundesamt für Verfassungsschutz (3 Prozent), von Sonstigen (3 Prozent) und den Landesämtern für Verfassungsschutz (2 Prozent).
Die Zahl der vom MAD erkannten Extremisten (Kategorie rot) und der Personen mit Erkenntnissen über fehlende Verfassungstreue (Kategorie orange) blieb dem Bericht zufolge binnen Jahresfrist auf einem insgesamt ähnlichen Niveau. So bearbeitete der MAD im vergangenen Jahr 15 Menschen als Extremisten (2019: 14 Personen). Für die Personen mit Erkenntnissen über fehlende Verfassungstreue sank die Zahl auf 29 (2019: 38).
In den letzten Jahre hatte wiederholt das Kommando Spezialkräfte (KSK) der Bundeswehr Schlagzeilen wegen rechtsextremistischer Vorkommnisse gemacht. „Das Bild, das sich nach Ende des Jahres 2020 darlegt, ist trotz der vielen neuen Puzzleteile nicht vollständig“, schreibt der MAD zur Lage in den Spezialkräften. Nicht ersichtlich sei bisher die Existenz einer „Untergrundarmee“. „Die Sammlung neuer Puzzleteile zur Aufbereitung eines Gesamtbildes wird eine der Schwerpunktaufgaben des MAD im Jahr 2021 sein“, heißt es weiter. Festgestellt werden könne, dass seit dem Zeitpunkt der Auflösung der 2. Kompanie des KSK im vergangenen Sommer keine aktuellen Sachverhalte mit rechtsextremistischem Hintergrund hinzugetreten seien.
Insgesamt bleibt für 2021 nach Einschätzung des MAD noch abzuwarten, ob sich der Trend bei den Verdachtsfällen in den Streitkräften fortsetze und wie sich die Einführung eines neuen Phänomenbereichs „Demokratiefeindliche und/oder sicherheitsgefährdende Delegitimierung des Staates“ auf die Bearbeitungszahlen des MAD auswirken werden. Diesen neuen Bereich haben die Verfassungsschutzbehörden in ihrer Zusammenarbeit eingeführt.
Als schwierig erweist sich weiterhin der Umgang mit der „Neuen Rechten“, die durch Relativierung des Rechtsextremismus und ein Verweisen auf Gemeinsamkeiten mit dem rechten demokratischen Rand gekennzeichnet sei. Sie weise zahlreiche und umfassende Ansätze bürgerlich-konservativer, patriotischer und nationaler ideologischer Grundlagen auf. „Im Bereich der „Neuen Rechten“ sind Extremisten daher schwieriger zu identifizieren als im Bereich der Neonazis oder „Altrechten“, welche sich offensichtlich faschistische und antisemitische Argumentationsmuster zu Eigen machen“, heißt es in dem Bericht.
Ein Faktor war im vergangenen Jahr die Corona-Pandemie, die Einfluss auf die Extremismuslage hatte, aber auch von ausländischen Geheimdiensten genutzt wurde. „Die Corona-Pandemie hat gezeigt, dass Nachrichtendienste ausländischer Staaten auch dieses Thema zur Beeinflussung der öffentlichen Meinung in der Bundesrepublik, aber auch der Meinungsbildung innerhalb der Bundeswehr zum Umgang mit der Pandemie nutzen“, heißt es in dem Bericht. So hätten Vertreter der Volksrepublik China versucht, mit gezielte Schreiben in den Geschäftsbereich des Verteidigungsministeriums „Multiplikatoren für chinesische Narrative zu gewinnen“. (dpa/iQ)