Vili Viorel Păun

Notruf-Engpass: Hanauer Opfer-Familie pocht auf Ermittlungen

Vili Viorel Păun starb, als er versuchte, den Attentäter von Hanau zu stoppen. Zuvor hatte er vergeblich versucht, den überlasteten Polizeinotruf zu erreichen. Seine Familie will erreichen, dass die Staatsanwaltschaft deshalb ermittelt.

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10
2021
Medaille für Zivilcourage für Hanauer Anschlagsopfer Vili Viorel Păun
Mahnmal für Vili Viorel Păun in Hanau

Die Familie des Hanauer Anschlagsopfers Vili Viorel Păun will die Ablehnung staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen im Zusammenhang mit der Überlastung des Hanauer Polizei-Notrufs am Abend des rassistischen Attentats mit neun Toten nicht hinnehmen. Vergangene Woche habe der Rechtsanwalt der Familie fristgerecht eine ausführliche Beschwerdebegründung bei der Staatsanwaltschaft Hanau eingereicht, teilte die „Initiative 19. Februar Hanau“ am Dienstag mit, in der sich Angehörige der Hanauer Anschlagsopfer zusammengeschlossen haben. Beantragt werde, Hinweisen auf ein Organisationsverschulden nachzugehen und ein offizielles Ermittlungsverfahren einzuleiten, hieß es.

Engpass bei dem Polizei-Notruf

Anfang Juli hatte die Hanauer Staatsanwaltschaft bekanntgegeben, dass der Engpass bei dem Polizei-Notruf kein Ermittlungsverfahren gegen Polizisten nach sich ziehen werde. Es bestehe kein strafprozessualer Anfangsverdacht, hatte die Behörde ihre Entscheidung in einer 24-seitigen Pressemitteilung begründet.

Ein 43-jähriger Rechtsextremist hatte am 19. Februar 2020 in Hanau neun Menschen aus rassistischen Motiven erschossen. Wegen des Notruf-Engpasses hatte die Staatsanwaltschaft Vorermittlungen im Rahmen eines Prüfvorgangs geführt, Anlass dafür war eine Anzeige des Vaters von Vili Viorel Păun. Der damals 22-Jährige hatte den Täter nach den ersten Schüssen in der Hanauer Innenstadt mit seinem Auto verfolgt, um ihn zu stoppen und dabei mehrfach vergeblich den Notruf gewählt. Kurz darauf war er von dem Attentäter in seinem Auto erschossen worden.

Sein Vater hatte den verantwortlichen Betreibern der Notrufzentrale in Hanau sowie den am Tatabend verantwortlichen Beamten fahrlässige Tötung zum Nachteil seines Sohnes vorgeworfen. Die Staatsanwaltschaft Hanau kam jedoch zu dem Schluss, dass zwischen dem Engpass bei dem Notruf und dem Tod von Vili Viorel Păun kein ursächlicher Zusammenhang nachweisbar sei. So sei nicht eindeutig zu klären gewesen, ob bei drei Anwählversuchen des später Getöteten bei dem Notruf überhaupt ein technischer Verbindungsaufbau erfolgte. Bei zwei weiteren Anwählversuchen habe sich der junge Mann verwählt. Auch eine Auswertung von Funkzellendaten habe keine eindeutigen Rückschlüsse zugelassen. „Bereits aus diesem Grund ist ein Kausalitätsnachweis vorliegend nicht möglich“, hatte die Staatsanwaltschaft erklärt.

„Mein Sohn hätte noch leben können“

Auch lasse sich keine gesicherte Aussage dazu treffen, wie sich Păun verhalten hätte, wenn es ihm gelungen wäre, einen Polizeibeamten am Notruf zu erreichen. Zwar sei es naheliegend, dass ihm seitens der Polizei empfohlen worden wäre, sich nicht selbst zu gefährden. Die Frage, ob er daraufhin aber seine Verfolgung abgebrochen hätte, „lässt sich indes nicht zweifelsfrei bejahen“, hieß es. Es sei davon auszugehen, dass sich der junge Mann bei der Verfolgung des Attentäters bewusst gewesen sei, dass dieser „ohne weiteres auf ihn schießen würde“ – und ihn dennoch verfolgt habe.

Vili Viorels Vater Niculescu Păun wies dies am Dienstag zurück: „Mein Sohn hat die Nummer gewählt, die auf jedem Polizeiwagen steht. Es ist unerträglich, dass ihm unterstellt wird, er hätte die Aufforderungen der Polizei nicht ernst genommen. Vili glaubte vielmehr bis zur letzten Sekunde, dass die Polizei ihm zu Hilfe kommen würde. Ich bin überzeugt, dass er noch leben würde, wenn die Polizei erreichbar gewesen wäre.“

Der Rechtsanwalt der Familie, Björn Elberling, ergänzte: „Es ist eindeutig, dass der polizeiliche Notruf unterbesetzt war und – trotz aller Kritik und Warnungen innerhalb der Polizei – die personelle sowie völlig veraltete technische Ausstattung nicht den Notwendigkeiten angepasst wurde.“ Rund 20 Jahre lang hätten die Verantwortlichen „wissentlich das Risiko der Nichterreichbarkeit in Kauf genommen. Die explizit geäußerte Befürchtung, dass die Übermittlung von aktuellen Ortsangaben zu einem Täter an mangelnder Notrufkapazität scheitern könnte, mit fatalen Folgen für die Menschen an den späteren Tatorten, ist am 19.02.20202 exakt so eingetreten. Dazu muss die Staatsanwaltschaft weiter ermitteln.“ (dpa/iQ)

Leserkommentare

Vera sagt:
In Hanau wurden neun Menschen durch einen Rechtsextremisten getötet. Zu diesem Attentat erschien hier zu Recht eine Vielzahl an Beiträgen und Interviews. Zu dem islamistischen Terror-Anschlag am Berliner Breitscheidplatz durch den abgelehnten tunesischen Asylbewerber Anis Amri von 2016 leider nicht. Mittlerweile ist als 13. Opfer ein weiterer Verletzter gestorben: der 49-jährige Sascha Hüsges, wie dessen Ehemann der Deutschen Presse-Agentur sagte. Als Schwerstpflegefall mußte er nach langer Zeit im Koma rund um die Uhr durch einen Pflegedienst und den Ehemann betreut und mit einer Magensonde ernährt werden. Die Langzeiterkrankung führte schließlich zu seinem Tod, teilte der Witwer mit. Sascha Hüsges war als Ersthelfer im Einsatz auf dem Weihnachtsmarkt und setzte sein Leben aufs Spiel; er wurde dabei am Kopf schwer verletzt. Der RBB berichtete vorgestern in der Abendschau darüber. Am kommenden 19. Dezember 2021 wird am Berliner Mahnmal "Der Riss" - zum fünften Jahrestag des Anschlags - an alle 13 Getöteten voller Wertschätzung erinnert werden. Hoffentlich erscheint hierbei auch die scheidende Bundeskanzlerin. Die Opfer hätten es verdient. Die Hanauer Opfer-Familien und die Berliner Opfer-Familien müssen weiterhin Fragen stellen. An verschiedene Sicherheitsbehörden und das BKA.
27.10.21
5:15