Constantin Schreiber verstärkte mit seinem einseitigen und undifferenzierten „Moscheereport“ das Misstrauen gegenüber Muslimen. Als Reaktion meldeten sich Muslime mit der Hashtagaktion #meinmoscheereport selbst zu Wort. Ein Rückblick von Said Rezek.
„Der Feind im eigenen Land – Wer sind die Terror-Islamisten“[i], „Auf Streife für Allah – Vor welchem Islam müssen wir Angst haben?“[ii],„Angst vor Gotteskriegern: Bedroht dieser Islam auch uns?“[iii] Diese Auswahl von Talkshowtiteln ist zwar selektiv, spiegelt jedoch eine tendenziell negative Islamberichterstattung wider. [iv] Das vermittelte Islambild wird der muslimischen Lebenswirklichkeit in Deutschland nicht ansatzweise gerecht, sei es in Bezug auf die Herkunftsländer oder die heterogene konfessionellen Verteilung. Die betroffenen Muslime haben längst auf die verzerrte Berichterstattung etablierter Medien reagiert, indem sie eine muslimische Gegenöffentlichkeit im deutschsprachigen Internet gebildet haben, die über soziale Netzwerke Gegendiskurse in Umlauf setzt.
In diesem Beitrag soll die Hashtagaktion #meinmoscheereport als Fallbeispiel näher untersucht werden. Hierbei handelt es sich um eine unmittelbare Reaktion auf die Publikation „Inside Islam“ und die daraus resultierende Serie „Der Moscheereport“ von Constantin Schreiber, die in der ARD ausgestrahlt wurde. Der folgende Artikel setzt sich mit der Frage auseinander, welche Auswirkungen muslimische Gegenöffentlichkeiten auf die Diskursöffentlichkeit und darüber hinaus auf die Demokratie insgesamt haben.
Die Veröffentlichung der Publikation „Inside Islam“ und die Ausstrahlung des „Moscheereports“ haben hohe Wellen in der öffentlichen Debatte geschlagen. Einer der deutlichsten Kritiker der Publikation „Inside Islam“ und des „Moscheereports“ ist der Journalist und Islamwissenschaftler Daniel Bax. Er attestiert dem Autor, ein „Gesicht der Misstrauenskultur gegen Muslime“ darzustellen. Schreiber nähere sich dem Thema wie „ein Ethnologe aus der Kolonialzeit, der einem vermeintlich wilden und gefährlichen Indianerstamm nachspürt, was sich schon am Buchcover im Lawrence-von-Arabien-Stil zeigt.“[v]
Selbiges kritisiert die Freiburger Islamwissenschaftlerin Prof. Johanna Pink: „Es steht nicht in Frage, dass das Anliegen der Sendung und des begleitenden Buches wichtig und richtig ist, auch wenn man fragen könnte, ob im Jahr 2017 der exotisierende und sensationalistische Tonfall der Sendung angemessen ist zur Beschreibung von Institutionen, die es mindestens seit den 1960er Jahren im Lande gibt, in Einzelfällen sogar seit der Vorkriegszeit“.[vi]
Nicht nur renommierte Experten haben die Sendereihe „Moscheereport“ kritisiert. Der „Moscheereport“ hat in der Social-Media Landschaft vor allem unter Muslime eine Kontroverse ausgelöst. Höhepunkt der Debatte war die Hashtagaktion #meinmoscheereport, die von IslamiQ als Reaktion zum Moscheereport initiiert wurde.
Die Hashtagaktion #meinmoscheereport wurde zeitgleich mit der Ausstrahlung der Sendung „Moscheereport“ auf tagesschau24 umgesetzt. Die Gleichzeitigkeit ist ein Beleg für die räumliche und zeitliche Dimension eines parallelen diskursiven Raums im Internet und ein Hinweis darauf, dass die Hashtagaktion den „Moscheereport“ stellvertretend für die hegemoniale Öffentlichkeit herausfordert. Neben der Existenz eines parallelen diskursiven Raums ist für eine erfolgreiche Gegenöffentlichkeit auch die Möglichkeit erforderlich, dass „Angehörige untergeordneter sozialer Gruppen Gegendiskurse erfinden und in Umlauf setzen, die ihnen wiederum erlauben, oppositionelle Interpretationen ihrer Identitäten, Interessen und Bedürfnisse zu formulieren“.[vii]
Die Fokussierung auf Moscheen stellt aus Sicht der Initiatoren der Hashtagaktion eine unmittelbare Reaktion auf die „unsachliche und reduktionistische Art und Weise der Berichterstattung“ des Moscheereports von Constantin Schreiber dar. Laut IslamiQ lieferten viele veröffentlichte Texte im Rahmen von #meinmoscheereport einen authentischen Blick in das Moscheeleben und regten zum Nachdenken. Die Themenpalette der Teilnehmer der Hashtagaktion war breit gefächert.[viii] Die überwiegend positiven Beiträge im Rahmen der Hashtagaktion sind ein Beleg für die Funktion eines Korrektivs, weil sie ein Gegengewicht zur einseitig negativen Islamberichterstattung in etablierten Medien und zur verzerrten Darstellung der Muslime im Moscheereport darstellen. Zum Beispiel:v
„derorient“: „Der Ort, an dem ich mich mit jüdischen, christlichen und muslimischen Freunden zum Lesen und Diskutieren treffe. #meinmoscheereport“.
„BekirAltas“: „Vom Rand in das Zentrum der Gesellschaft streben: #Moscheen sind Zeugnis für Beständigkeit, Heimat und Verbundenheit #meinmoscheereport“.
„almotasem81“: „Während der Nazi Besatzung fanden zahlreiche Juden Zuflucht in der großen Moschee von #Paris #meinmoscheereport
Der Hashtag #meinmoscheereport verdrängte sogar die AfD auf Platz zwei des Twitter-Rankings, obwohl am selben Tag der AfD-Parteitag stattfand. Er wurde über die Grenzen Deutschlands hinaus registriert.[ix] Die Medienbeiträge etablierter Medien behandelten die Vorgeschichte der Hashtagaktion, nämlich den „Moscheereport“ sowie die Publikation von „Inside Islam“ und die Kritik an Schreibers Recherche.[x] Dadurch wurde die Motivation der Teilnehmer wiedergegeben und einzelne Tweets wurden in den Artikeln zitiert. Die hohe Reichweite in sozialen Netzwerken, die Berichterstattung etablierter Medien sowie die Beteiligung prominenter Personen an der Hashtagaktion sind Indikatoren dafür, dass Muslime als marginalisierte Gruppe mit Gegendiskursen eine breitere Öffentlichkeit erreicht haben.
Auffällig war, dass viele Teilnehmer der Hashtagaktion private Begebenheiten veröffentlichten. Dies ist möglicherweise darauf zurückzuführen, dass Schilderungen dieser Art im „Moscheereport“ nicht berücksichtigt worden sind.
„adiiSanFran“: „#meinmoscheereport wenn die kleine Cousine auf den Minbar (Kanzel) klettert, «Rapunzel, lass dein Haar herunter» ruft und alle lachen müssen“.
„guvengunes38“: „Der Ort, der mir das Gefühl gibt, dass wenn ich ihn betrete, ich dem Sinnbild eines guten Menschen näher gekommen bin… #meinmoscheereport“.
„DuyguAdam“: „#meinmoscheereport Mein Glaube Islam heißt Frieden. Meine Moschee gibt mir meinen inneren Frieden.
Angesichts des Aufrufs der Hashtagaktion, wonach der Kreativität in Bezug auf die Posts keinerlei Grenzen gesetzt sind, wurde entsprechend Frasers Konzept subalterner Gegenöffentlichkeiten die Grenzziehung zwischen privaten und öffentlichen Angelegenheiten aufgehoben. Twitter-Nutzer haben von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht. Dadurch wurde die Deutungshoheit der hegemonialen Öffentlichkeit herausgefordert, weil letztere für gewöhnlich definiert, was als politisch gilt und damit öffentlich relevant ist.[xi]
Acht Jahre nachdem in der Bundesrepublik mutmaßlich ersten eindeutig islamophob motivierten Mord an Marwa El-Sherbini, hat die Hashtagaktion #meinmoscheereport als Gegenöffentlichkeit zu einer vergleichbaren Präsenz geführt. Dabei wurden die Kriterien für die Funktionsweise der Hashtagaktion #meinmoscheereport als muslimische Gegenöffentlichkeit erfüllt, da die Schaffung paralleler diskursiver Räume nachgewiesen werden konnte. Zudem hat die Aktion mit ihrer hohen Reichweite damit eine breitere Öffentlichkeit erreicht.
Wenn Mitglieder marginalisierter Gruppen – hier Muslime – aus dem öffentlichen Diskurs etablierter Medien ausgeschlossen oder unzutreffend repräsentiert werden,“, herrscht zweifellos ein Demokratiedefizit vor. Die Hashtagaktion #meinmoscheereport hat dieses Defizit – wenn auch nur teilweise – ausgeglichen und damit einen positiven Beitrag zur Beschaffenheit der Diskursöffentlichkeit und damit für die Demokratie insgesamt geleistet.
[i] Illner, Maybrit (2015): „Der Feind im eigenen Land – Wer sind die Terror-Islamisten“, auf: https://www.youtube.com/watch?v=GlpKftTkWO8, erstellt am: 05.03.2018.
[ii] Hart aber Fair (2014): „Auf Streife für Allah – Vor welchem Islam müssen wir Angst haben?“, auf: https://www.youtube.com/watch?v=mLlVYEyQv9I, erstellt am: 22.09.2014.
[iii] Maischberger (2014): „Angst vor Gotteskrieger: Bedroht dieser Islam auch uns?“, auf: https://www.youtube.com/watch?v=yhH0aiwJ5E8, erstellt am: 26.08.2014.
[iv] Kolmer, Christian (2016): Kirchen und religiöse Akteure in deutschen Medien 12/2013-11/2016, auf: http://de.mediatenor.com/de/bibliothek/newslet- ter/1100/das-medienbild-zum-islam-treibt-die-angst-bedford-strohm-und- papst-franziskus-setzen-positive-aktzente-fuer-ihre-kirchen, erstellt am: 20.12.2016.
[v] Bax, Daniel (2017): Gesicht der Misstrauenskultur, auf: http://www.taz.de/!5393681/, erstellt am: 31.03.2017.
[vi] Pink, Johanna (2017): “Muslime stehen immer stärker unter Rechtfertigungsdruck”, auf: https://www.tagesspiegel.de/politik/kritik-am-moscheere- port-muslime-stehen-immer-staerker-unter-rechtfertigungsdruck/19601536. html, erstellt am: 1.04.2017.
[vii] Fraser, Nancy (2001): Öffentliche Sphären, Genealogien und symbolische Ordnungen, in: Die halbierte Gerechtigkeit, Surhkamp, Frankfurt am Main, S. 107250.
[viii] RP-Online (2017): Muslime wehren sich auf Twitter gegen negatives Islam-Buch, auf: https://rp-online.de/panorama/deutschland/meinmoscheereport-musli- me-wehren-sich-auf-twitter-gegen-islam-buch_aid-21009415, erstellt am: 25.04.2017.
[ix] Shousha, Nihai (2017): Was Muslime In Moscheen Erleben #meinmoscheereport, auf: https://www.dasbiber.at/blog/meinmoscheereport, erstellt am: 25.04.2017.
[x] Focus (2017): Nach ARD-Report: Hier erzählen Muslime, was in ihren Moscheen passiert, auf: https://www.focus.de/politik/videos/reaktion-auf-moscheere- port-und-inside-islam-nach-ard-report-hier-erzaehlen-muslime-was-in-ihren- moscheen-passiert_id_7082456.html, erstellt am: 05.05.2017.
[xi] Fraser, Nancy (1996): Öffentlichkeit neu denken. Ein Beitrag zur Kritik real existierenden Demokratie, in: Scheich, Elvira (Hg.): Vermittelte Weiblichkeit. Feministische Wissenschafts- und Gesellschaftstheorie, Hamburger Edition, Hamburg, S. 151-182.