Seit Monaten versuchen Tausende Menschen, über Belarus in die EU zu kommen. Die EU-Kommission will nun Asylbewerbungen direkt an der Grenze prüfen und Abschiebungen erleichtern. Kritiker schlagen Alarm.
Angesichts der Lage an den Grenzen zu Belarus will die EU den Mitgliedsländern Polen, Lettland und Litauen erlauben, bestimmte Schutzrechte von Migranten vorübergehend auszusetzen. Die EU-Kommission präsentierte am Mittwoch in Brüssel einen Vorschlag zur Aufweichung von Asylregeln. Dieser würde es den Ländern erlauben, den Asylprozess direkt an der Grenze abzuwickeln und Abschiebungen zu vereinfachen. „Grundrechte werden nicht angefasst“, versicherte die für Migration zuständige EU-Kommissarin Ylva Johansson. Von Menschenrechtlern kam Widerspruch.
Seit Wochen versuchen mehrere Tausend Menschen, von Belarus über die EU-Außengrenzen nach Polen oder in die baltischen Staaten zu gelangen. Die EU wirft dem autoritären belarussischen Machthaber Alexander Lukaschenko vor, gezielt Personen aus Krisenregionen nach Minsk einfliegen zu lassen, um sie dann in die EU zu schleusen. Die Krise belastet die ohnehin schon angespannten Beziehungen zu der ehemaligen Sowjetrepublik erheblich.
Der Vorschlag der EU-Kommission sieht vor, dass Behörden der Grenzländer länger Zeit haben, um Asylanträge zu registrieren – vier Wochen statt maximal zehn Tage – und Registrierungen nur an bestimmen Grenzübergängen stattfinden. Dies ließe auch zu, fast alle Asylbewerbungen direkt an der Grenze zu prüfen. Der Asylprozess dürfte dann bis zu 16 Wochen dauern. Das könnte bedeuten, dass Menschen solange in Auffangzentren nahe der Grenze untergebracht werden und diese nicht verlassen dürfen. Außerdem will die Kommission einfachere und schnellere Abschiebungen erlauben.
Die Maßnahmen sollen zunächst für sechs Monate gelten. Dafür müssen die Mitgliedstaaten den Vorschlag der Kommission noch annehmen. Das Europaparlament stimmt voraussichtlich nicht darüber ab. Menschenrechtsorganisationen kritisierten die Ankündigung. „Dieser Vorschlag schwächt die Grundrechte von Asylsuchenden“, sagte Erin McKay von Oxfam. „Menschen, die in Europa Schutz suchen, zu stoppen, festzunehmen und zu kriminalisieren bricht internationales Recht und europäisches Asylrecht.“
Amnesty International bemängelte, die Situation in Belarus werde von einigen Mitgliedstaaten als Ausrede genutzt, um eine Agenda gegen Migration voranzubringen. „Wenn die EU einer Minderheit von Mitgliedstaaten erlaubt, die Regeln wegen einiger Tausend Menschen an ihrer Grenze zu verwerfen, dann gibt sie auch jegliche Autorität in Bezug auf Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit ab.“ Pro Asyl nannte den Vorschlag „zutiefst beunruhigend“.
Auch der Generalsekretär der Islamischen Gemeinschaft Millî Görüş (IGMG), Bekir Altaş, kritisiert die zunehmend dramatische Situation von Schutzsuchenden an der polnisch-belarussischen Grenze. „Menschenrechte und Menschenwürde dürfen nicht zum Spielball politischen Kalküls werden. Wir erleben einen massiven Verfall von Werten und Moral“, erklärt Altaş in einer Pressemitteilung. Angesichts der dramatischen Lage der Menschen dürfe es keine Rolle spielen, wer sie in diese Situation gebracht habe oder welches politische Kalkül dahinterstecke. „Außenpolitische Erwägungen dürfen nicht dazu führen, dass Menschen sehenden Auges leiden müssen“, so Altaş abschließend. (dpa, iQ)