Museen sind Orte der Begegnung und der Kultur. Im IslamiQ-Interview sprechen wir mit Prof. Dr. Stefan Weber, Direktor des Museums für Islamische Kunst in Berlin, über die Ausstellungen der islamischen Kunst in Deutschland.
IslamiQ: Welche Bedeutung hat ein „Museum für islamische Kunst“ für das heutige Deutschland?
Prof. Dr. Stefan Weber: Das Museum hat die Aufgabe, das historische Erbe zu bewahren, zu restaurieren und zu vermitteln. Kulturen können nicht als fertige und geschlossene Blöcke gesehen werden, wie das oft der Fall ist. Sie haben immer einen Bezug zur Gegenwart und auch einem selbst. Deshalb haben Museen eine wichtige Kulturvermittlerfunktion.
Auch können Museen – und das ist für die deutsche Gesellschaft, der letzten 60 Jahre besonders wichtig – symbolische Heimaten geben. Deutschland ist eine Demokratie, und Demokratie heißt nicht, dass man Weihnachten feiern muss, sondern, dass man teilnehmen soll, partizipieren und mitgestalten soll.
IslamiQ: So jedenfalls das Ziel. Doch haben Musseeumsbesucher bestimmte Vorstellungen und auch Vorurteile, die sie mit sich bringen.
Weber: Natürlich. Jeder, der die Treppe hochkommt, hat ein Päckchen dabei, egal welcher Herkunft. Sie haben bestimmte Erwartungen, Ängste, Fragen, u. Ä. In diesem Zusammenhang ist es eine große Chance, dass wir ein Museum sind, das im öffentlichen Raum, eine staatliche Einrichtung ist und gemeinsam mit den Highlights von Berlin, wie dem Brandenburger Tor, gezeigt wird. Dadurch werden wir in Archäologie, Sachlichkeit und Unabhängigkeit, eingeordnet. Wenn das im Pergamon-Museum ist, muss das wichtig sein, denkt man sich. Da weiß man, warum man die Arbeit macht, denn sie hat einen Einfluss auf die Menschen, die herkommen.
Generell ist unsere Erfahrung, dass Menschen, egal welcher Herkunft, extrem interessiert sind, etwas kennenzulernen, von dem sie eigentlich wenig wissen. Die Medienschlacht geht zwar auf den Bildschirmen weiter, aber beim Besucher, ändert sich die Wahrnehmung. Das ist auch das große Ziel.
IslamiQ: Wie tun Sie das? Was ist hierbei wichtig für Sie?
Weber: Wenn Menschen nicht wissen, warum sie historisch denken sollten, dann tun sie das auch nicht. Geschichte und Kultur sind keine geschlossenen Kreise. Man erzählt von den Umayyaden bis zu den Osmanen, und die scheinen alle selbsterklärend zu sein. Man muss nicht die Umayyaden verstehen, um die Osmanen zu verstehen. Vielmehr muss man Österreich-Ungarn im 14. Jahrhundert verstehen, um die Osmanen zu verstehen. Wir lernen oder erklären Kulturen oft in Zirkeln. Kulturen arbeiten aber transregional. Wissen wandert und verändert sich und dass in der Zeit, in der es ist.
Die Frage ist: Wie macht man das anders? Ich habe angefangen, es zu vereinfachen, in dem ich sage, es gibt früh, mittel, spät. Und die Kernaussage ist: es bleibt nie alles gleich. Einige unserer Kernthemen sind:
Insgesamt geht es darum, Zugänge zu finden und neue Inhalte zu generieren.
IslamiQ: Museen sind Teil des Prozesses der Aushandlung kollektiver Identitäten. Inwiefern ist das Teil Ihrer Arbeit?
Weber: Wir haben mit Deutsch- und Türkischlehrern Unterrichtsmaterialien entwickelt, welche von über 600 Schulen benutzt wurden. Auch haben wir mit der Fakultät für Islamische Theologie in Osnabrück und auch verschiedenen Gemeinden gearbeitet. Wir haben uns gefragt, was Jugendliche bewegt. Das lief bisher sehr gut, sodass das Projekt bundesweit Anklang fand. Nur die Pandemie schränkt es gerade ein.
Auch im Zuge des Flüchtlingszuzugs haben wir unterschiedliche Angebote für sie durchgeführt. Das führte dazu, dass über 16.000 Geflüchtete und 200 Guides Museen besuchten. Wir müssen schauen, was die Lebenswirklichkeit dieser Menschen ist. Menschen, die dieselbe Sprache sprechen haben eine viel effektivere kulturelle Vermittlerfunktion. Diese Menschen haben einen anderen Zugang, und das ist eine Bereicherung.
IslamiQ: Wie bewerten Sie das Interesse von Muslimen, insbesondere mit Migrationshintergrund, an islamischer Kunst?
Weber: Das ist eine Frage der sozialen Praxis. Nicht jeder geht ins Museum, und das ist auch nicht schlimm. Etwas anderes ist, das Museen nicht sehr gut darin sind, etwas abzubilden. Das versuchen wir zu lösen. Im November beginnt zum Beispiel eine Ausstellung, die „Gurbet Şarkıları“ heißt. Da geht es um die Frage nach kultureller Produktion von türkischen Deutschen, Deutsch-Türken oder in Deutschland lebenden Türken. Es gibt viele Musikstücke seit den 60ern, die nur für die Gastarbeiter in Deutschland relevant waren. Tarkan war in Deutschland und in der Türkei bekannt, aber es gab viel, was nur so eine Nischenproduktion gewesen ist in den 60ern. Wir haben eine Kooperation mit Metropol FM. Da werden wir Menschen aufrufen, ihre Erinnerungen an Musik uns zu schicken, die dann auch im Radio zu Wort kommen. Ziel ist es zu einem, dem Massenpublikum Dinge sichtbar zu machen, von denen sie nichts wussten. Zum anderen den abgebildeten Menschen zu zeigen, dass sie wertgeschätzt werden.
Das sind wichtige Strategien, um Museen auch für andere Gesellschaftsgruppen zu öffnen. Wir haben auch mehrmals zum Iftar eingeladen, bei dem manche zum ersten Mal ein Museum besucht haben. Diese Menschen kommen dann wieder. Generell wird deutlich, dass die Besucher inzwischen viel bunter sind, als es zuvor war. Zumindest ist das meine Wahrnehmung.
IslamiQ: Was sollte Ihrer Meinung getan werden, um ihr kulturelles Erbe besser zu bewahren?
Weber: Steine sind Steine; diese müssen mit Bedeutung beladen werden. Ich beschütze nur, was für mich wertvoll ist. Wir versuchen den Menschen, die Werte und die Bedeutung einzelner Gegenstände zu vermitteln. Auch stellt sich uns immer die Frage, was das Objekt mit der persönlichen Wirklichkeit zu tun hat.
Nehmen wir beispielsweise ein Bild mit Musikern, die gerade Oud spielen, fügen ein Bild von Elvis Presley dazu und erzählen, dass es ohne die Oud, heute keine E-Gitarre gäbe, ist das beeindruckend. Das macht die Geschichte greifbar und man nimmt wahr, wie die Geschichte die Welt beeinflusst. Wenn wir es schaffen, den Kindern zu verdeutlichen, dass ihre persönliche Geschichte, die sie biographisch mit sich tragen und zu der sie eine Verbindung haben, etwas Tolles ist, sind sie beeindruckt.
Geschichte und Kultur muss so vermittelt werden, dass es Spaß, Stolz und Freude macht und auch von den anderen als Positiv erkannt wird. Die Wertschätzung dafür ist ein langer Prozess, der nicht von heute auf morgen entsteht.
IslamiQ: Möchten Sie noch etwas Abschließendes sagen?
Weber: Ein Gedanke vielleicht noch zum Schluss: Wir müssen uns immer die Frage stellen, was das mit mir persönlich zu tun hat. Unser Innenminister hatte gesagt: „Migration ist die Mutter aller Probleme“. Wir stellen uns klar dagegen und sagen: Nein, Migration ist die Mutter aller Kulturen. Das Anderssein der Anderen, macht mich zu mir. Ohne diese Geschichte und die Kultur könnte ich heute nicht meine Musik hören. Das Anderssein anderer ist eine Bereicherung in jeder Hinsicht. Für die Welt und auch für mich persönlich.