#ISLAMIQDISKUTIERT

„Kampf um islamische Begriffe“

Begriffe wie „Islamismus“, „Dschihadismus“ und „Salafismus“ sollen der Abgrenzung dienen. Doch tun sie das wirklich? Wer definiert sie und welche Wirkung haben sie tatsächlich?

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12
2021
Veranstaltung zu Islamische Begriffe
Teilnehmer der Veranstaltung: (v.l n. r.) Islamwissenschaftler Prof. Dr. Bekim Agai, Soziologin Hatice Kübra Ergün und Sprachwissenschaftler Dr. Mohammed Saif

In einer weiteren #IslamiQdiskutiert-Veranstaltung geht es den „Kampf um islamische Begriffe“. Begriffe wie „Islamismus“, „Dschihadismus“ und „Salafismus“ werden in der öffentlichen Diskussion zur Abgrenzung von „Islam“, „Dschihad“ und „Salaf“ verwendet. Da sie jedoch durchweg negativ konnotiert sind, führen Unterscheidungsversuche selten zu einer angemessenen, differenzierten Wahrnehmung. Der Islamwissenschaftler Prof. Dr. Bekim Agai, Sprachwissenschaftler Dr. Mohammed Saif und die Soziologin Hatice Kübra Ergün diskutierten unter anderem über die Frage nach der Deutungshoheit und alternativen Ansätzen.

Prof. Bekim Agai ist Islamwissenschaftler und Direktor der Akademie für Islam in Wissenschaft und Gesellschaft (AIWG). Für ihn sind Begriffe wie „Islamismus“, „Salafismus“ oder „Dschihad“ öffentlich sehr präsent, gleichzeitig treten andere, für muslimisch religiöses Leben relevante Begriffe in den Hintergrund. Dabei steckten hinter den Begriffen oft komplexe Phänomene, die unterschiedlich ausgedeutet werden. „So sind z. B. Islamismus und Salafismus Sammelbegriffe, die sehr komplexe Phänomene beinhalten und die nicht immer dasselbe bezeichnen“, so Agai.

Vor allem in Bezug auf den Islam sei das insbesondere der Fall. Teilweise benutzten auch muslimische Akteure diese Begriffe, doch beispielsweise „Islamismus“ sei laut Agai keine Selbstbezeichnung. Hier gebe einen Klärungsbedarf. Denn Menschen als „Islamisten“ zu benennen, könne sogar Sympathien dort wecken, wo Islam grundsätzlich positiv konnotiert sei. Ähnliches gelte für den Begriff „Salafismus“, der als Sammelbezeichnung negativ verwendet wird, aber auch die innerislamische Rechtfertigung der Orientierung an den Salaf und damit eine Selbstsicht der Protogonisten aufnehme, so Agai. „Islamismus ist ein Begriff, der so oft unspezifisch gebraucht wird, dass die Grenze zu Islam verschwimmt. Das eine färbt auf das andere ab. Irgendwann ist dann kein Islam mehr ohne Islamismus denkbar. So verschwimmt das Bild vom Muslim zum Islamisten“, erklärt Agai weiter.

Kontroverse Konnotationen sorgen für Verwirrung

Laut dem Sprachwissenschaftler Dr. Mohamed Saif stürze man sich oft auf den erstbesten Begriff. Dies sei verantwortungslos und schaffe kontroverse Konnotationen. Beispielsweise sei der Begriff „Dschihad“ in seiner innerislamischer Kernbedeutung – „Anstrengung“ – etwas Gutes. Doch der Diskurs verlagere die Bedeutung, sodass die Trennlinie verwässert werde. „In bestimmten Zeiten entstehen bestimmte Begriffe. ‚Islamismus‘ und ‚Dschihadismus‘ sind in politischen Auseinandersetzungen entstanden. Man hat ein Problem, für das ein Begriff benötigt wird. Was macht man also? Man nimmt den erstbesten Begriff“, erklärt Saif.

Agai fügt hinzu, dass bei Begrifflichkeiten die Frage danach zu stellen sei, was für eine Wirklichkeit, welches konkrete Problem dahintersteckt, und wie man diese bestmöglich erklären kann. So bezeichnet z. B. „sich islamisch legitimierender Terrorismus“ ein genaues Problem, was Begriffe, wie „Salafismus“ eben nicht tun.

„Jugendliche müssen keine wissenschaftlichen Diskurse führen“

Problematisch findet die Begriffe auch Hatice Kübra Ergün, Soziologin und Leiterin der Öffentlichkeitsarbeit der IGMG-Frauenjugend. Vor allem in Bezug auf Jugendliche und deren Umgang damit. Positive Begriffe stünden negativen Begriffen gegenüber. Sie würden zweckentfremdet und mit Gewalt gleichgesetzt. „Das irritiert muslimische Jugendliche sehr“, sagt Ergün.

Mittlerweile sei „Extremismus“ zu einem Sammelbegriff geworden. Jeder könne etwas anderes hineinpacken. Das trage dazu bei, so Ergün, dass die Grenzen zwischen religiöser Praktik und extremistischer Tendenzen sehr schwammig geworden seien, was die Auseinandersetzung damit stark erschwere. „Jugendliche müssen in erster Linie keine wissenschaftlichen Diskurse führen“, meint Hatice Kübra Ergün.

In diesem Zusammenhang warnt Prof. Agai auch vor der pauschalen Verwendung des Ausdrucks „radikal“ im Kontext von Islam und Muslimen, ohne diese Radikalität zu spezifizieren. „Radikale muslimische Jugendliche“   können laut Bekim Agai gewaltbereit sein oder aber radikal in Bezug auf Aspekte der persönlichen Lebensführung. „Woran macht man ‚radikal‘ fest, wo beginnt das Phänomen und welche Aspekte werden hierbei problematisiert? Radikal kann ja alles Mögliche sein. Das kann radikale politische Ideen umfassen, aber auch der pietistische Rückzug von Konsum oder die Konzentration auf ökologische Ideen aus islamischen Motiven können radikal in Bezug auf den einen oder anderen Aspekt sein. Der alleinige Bezug auf Radikalität ist kein Tool, um problematische Aspekte, strafbare Handlungen und politische Probleme besser zu verstehen“, so Agai.

„Je nach Akteur ändert sich der Begriff“

Die Frage, ob sich Begriffe und Assoziationen ändern können, bejaht Dr. Mohamed Saif. „Ich glaube, die Begriffe werden gemäß bestimmten Faktoren ausgelegt und konnotiert.“ Als Beispiel nennt Saif den Begriff „Dschihad“: „Nach dem 1. Weltkrieg gab es viele muslimische Kriegsgefangene in Frankreich. Sie sollten für den Kampf gegen Deutschland motiviert werden. Also wurde die Bezeichnung „Mudschâhidûn“ positiv verwendet und wahrgenommen. Der Begriff stand für Freiheitskämpfer“, erklärt Saif.

Sorgen bereite Hatice Kübra Ergün die stigmatisierende Wirkung von Begriffen. Muslime seien einem Generalverdacht ausgesetzt. Sie müssten ständig zwischen religiöser Praxis und äußerer Wahrnehmung entscheiden und sich rechtfertigen. „Das ist sehr anstrengend. Dschihad ist etwa für mich etwas Positives. Aber wenn es negativ konnotiert wird, dann lässt man es im Gespräch meistens aus. Denn wenn ich sage, „mein Dschihad“, dann wird man sofort als Extremistin abgestempelt. Das ist sehr schade“, sagt Ergün. Von dieser Spannung würden ihr vorwiegend junge Musliminnen immer wieder berichten.

Für positive Konnotation kämpfen

Doch welche Alternativen gibt es? Islamwissenschaftler Agai merkt an, dass die Stimmen, die bestimmte Begriffe negativ konnotieren, meist lauter zu hören seien als andere und dass Muslime selbst der Infragestellung ihrer Begriffe durch radikale Kräfte entgegentreten müssten oder bessere Deutungsmuster für die Realität zur Verfügung stellen müssten, die nicht nur sie selbst überzeugen. Daher müsse es einen „Kampf um islamische Begriffe“ geben, denn „ansonsten setzen sich die lauten marginalen Stimmen durch, anstatt der besonnenen“, so Agai.

Dr. Saif erklärt, dass Begriffe mit der Zeit immer schwammiger würden und sieht die Gefahr, dass Islam und Muslime vollends negativ konnotiert sein werden. Daher bedürfe es dringend fundierter und argumentativer Gegenpositionen. „Das ist eine wichtige Aufgabe, mit der wir uns beschäftigen müssen.“

Als Aktive in der islamischen Öffentlichkeitsarbeit erlebe Hatice Kübra Ergün den „Kampf um islamische Begriffe“ tagtäglich hautnah. Mehr noch als die Verfestigung negativer Konnotationen beobachte sie, dass „dadurch ein großes Potenzial, das von muslimischen Jugendlichen für die Gesellschaft ausgeht, ausgeblendet und ausgegrenzt wird.“ Ein wenig optimistisch stimme sie jedoch, dass viele Jugendliche in der Lage seien, die Diskurse zu durchschauen und trotz allem an ihrer Grundhaltung und ihrem Engagement festzuhalten. Das verdiene Respekt und Anerkennung, so Ergün abschließend.

Leserkommentare

Salim sagt:
Salam. In der Analyse der drei Begriffe “Islamismus, „Dschihadismus“ und „Salafismus“ durch jene oben vorgestellten Fachleute vermisse ich den Hinweis auf das diesen Begriffen gemeinsam Zugrundeliegende. Das ist ihrer rein sprachlichen Form nach ja schon jenes Anhängsel „-ismus“, durch das in der Regel eine Übertreibung, Pervertierung, etwas also benannt wird, das der Bedeutung des zugrundeliegenden Wortes nicht nur nicht entspricht, sondern ihr oftmals gerade entgegengesetzt ist. — Und warum eigentlich sollten wir unser Gemüth mit uneigentlich gebrauchten Begriffen beschäftigen! Um es an einem Beispiel deutlich zu machen: Auf einer großen muslimischen Veranstaltung war ich von einer Journalistin vor laufender Kamera einst gefragt worden, ob ich ein „Islamist“ wäre. — Meine Antwort hatte gelautet, daß jenes Anhängsel „…ist“ oder „…ismus“ in der Regel ja eine Übertreibung bedeute, sie mich mit ihrer Frage, richtig verstanden, also danach frage, ob ich einer wäre, der es mit dem Islam übertreibt. Da das Wort „Islam“ selbst aber „Hingabe“ an Gott bedeute und es in dieser Einstellung zu Gott sicher keine Übertreibung geben kann, könne das Wort „Islamist“ oder „Islamismus“ also nur ein in sich unsinniges Wort sein, reiner Quatsch also, und sie sollte sich doch besser vorher überlegen, was sie vernünftigerweise fragen könne. Ich glaube, wir Muslime müssen einem bestimmten Sprachgebrauch, statt unausgegorenen Feinheiten möglicher Bedeutungen nachzuspüren, mit etwas mehr Mut stante pede von vorneherein — principiis obsta! — in der glasklaren Erkenntnis entgegentreten, daß „Islamismus“ beispielsweise nichts mit dem Islam, „Dschihadismus“ nichts mit jenen „Dschihad“ genannter Anstrengungen und „Salafismus“ kaum etwas mit den wirklichen Salafis zu tun hat, der Gebrauch solcher Wörter an sich doch nur im Verdacht steht, der Herabsetzung und Veunglimpfung zu dienen und dienen zu sollen. — Fertig!
20.12.21
14:49
A.F.B. sagt:
Ursprünglich hat „Islamismus“ – laut deutschem Wörterbuch – dieselbe Bedeutung wie „Islam“. Der niederländische Orientalist Adrianus Reland (auch: Hadrian Relandus, Hadriani Relandi, Adriaan Relland, Adrian Reland; geb. 17. Juli 1676 in De Rijp; gest. 5. Februar 1718 in Utrecht), gebraucht in seinem Werk „De religione Mohammedica“ den Begriff „Islamismus“ für Islam. Im Arabischen gab es ursprünglich auch keine Unterscheidung zwischen dem Substantiv „Islâm“, bzw. dem Adjektiv „islâmî“ und den vom nichtislamischen Westen geschaffenen Wörtern mit -ismus, bzw. -istisch. Erst durch den ständigen Gebrauch dieser Unterscheidung und die Übernahme westlicher nicht-islamischer Denkweise schufen einige Araber das künstliche Wort „islâmawî“ zur Unterscheidung von „islâmî“, was jedoch von vielen abgelehnt wird. Somit würde ich auf die Frage, ob ich „Islamist“ bin, vermutlich antworten: Dadurch, daß ich Muslim bin, bin ich der Wortbedeutung nach auch automatisch „Islamist“. Der unlängst verstorbene Islamwissenschaftler Josef van Ess soll über die Wortschöpfung „Salafist“ den Kopf geschüttelt haben. Im islamwissenschaftlichen Sprachgebrauch ist ein Salafit (ohne zweites s) jemand, der sich auf das Vorbild der Altvorderen, der Salaf beruft. Bei mir ist ein „Salafist“ ein vorgeblicher Salafit, jemand, der den wirklichen Salafismus (dem Vorbild der Salaf zu folgen), nicht richtig verstanden hat und dem Vorbild der Salaf auf falsche und verzerrende Weise folgt. Wie irreführend der Begriff „Salafist“ von der unwissenden Masse gebraucht wird, zeigt z. B., daß einer der Schreiberlinge der Hetzmedien behauptete, ein „Salafist“ sei an seinem langen Bart und dem Gebrauch des Zahnputzhölzchens zu erkennen. Nun ja, es gibt auch Sufis, die einen langen Bart haben und das Zahnputzhölzchen nicht nur gebrauchen, sondern es sich sogar auf den Turban stecken. Demnach sind auch Sufis „Salafisten“ – oder was?
21.12.21
2:45
evergreen sagt:
@Salim + A.F.B. Mit einer sprachlichen Rabulistik versuchen Salim + A.F.B. von dem Kernproblem abzulenken. Wenn ihnen – verständlicherweise – Begriffe wie IslamIST, SalafIST, DschihadIST nicht behagen, sollten sie knappe und treffendere Begriffe vorschlagen für die Menschen, welche sich auf Koran und Islam berufen, diese anderen Menschen überstülpen wollen und dabei Gewalt gutheißen. Generalverdacht und generelle Stigmatisierung darf es natürlich nicht geben, aber auch keine Generalabsolution (-amnesie, -immunität, -dispens). Dem Kernproblem, dass weltweit die meisten Terroropfer in islamischen Ländern zu beklagen sind und WARUM dies so ist, sollten sich die islamischen Religionsgemeinschaften offensiv, ehrlich und unvoreingenommen stellen. Mit sprachlicher Rabulistik bekommt man das Problem nicht in den Griff; vielmehr vermittelt man so den Eindruck, als wolle man sich an der Kernfrage vorbeimogeln.
21.12.21
21:44
Johannes Disch sagt:
@evergreen (21.12.2021, 21:44) Prima auf den Punkt gebracht!
24.12.21
20:10