Begriffe wie „Islamismus“, „Dschihadismus“ und „Salafismus“ sollen der Abgrenzung dienen. Doch tun sie das wirklich? Wer definiert sie und welche Wirkung haben sie tatsächlich?
In einer weiteren #IslamiQdiskutiert-Veranstaltung geht es den „Kampf um islamische Begriffe“. Begriffe wie „Islamismus“, „Dschihadismus“ und „Salafismus“ werden in der öffentlichen Diskussion zur Abgrenzung von „Islam“, „Dschihad“ und „Salaf“ verwendet. Da sie jedoch durchweg negativ konnotiert sind, führen Unterscheidungsversuche selten zu einer angemessenen, differenzierten Wahrnehmung. Der Islamwissenschaftler Prof. Dr. Bekim Agai, Sprachwissenschaftler Dr. Mohammed Saif und die Soziologin Hatice Kübra Ergün diskutierten unter anderem über die Frage nach der Deutungshoheit und alternativen Ansätzen.
Prof. Bekim Agai ist Islamwissenschaftler und Direktor der Akademie für Islam in Wissenschaft und Gesellschaft (AIWG). Für ihn sind Begriffe wie „Islamismus“, „Salafismus“ oder „Dschihad“ öffentlich sehr präsent, gleichzeitig treten andere, für muslimisch religiöses Leben relevante Begriffe in den Hintergrund. Dabei steckten hinter den Begriffen oft komplexe Phänomene, die unterschiedlich ausgedeutet werden. „So sind z. B. Islamismus und Salafismus Sammelbegriffe, die sehr komplexe Phänomene beinhalten und die nicht immer dasselbe bezeichnen“, so Agai.
Vor allem in Bezug auf den Islam sei das insbesondere der Fall. Teilweise benutzten auch muslimische Akteure diese Begriffe, doch beispielsweise „Islamismus“ sei laut Agai keine Selbstbezeichnung. Hier gebe einen Klärungsbedarf. Denn Menschen als „Islamisten“ zu benennen, könne sogar Sympathien dort wecken, wo Islam grundsätzlich positiv konnotiert sei. Ähnliches gelte für den Begriff „Salafismus“, der als Sammelbezeichnung negativ verwendet wird, aber auch die innerislamische Rechtfertigung der Orientierung an den Salaf und damit eine Selbstsicht der Protogonisten aufnehme, so Agai. „Islamismus ist ein Begriff, der so oft unspezifisch gebraucht wird, dass die Grenze zu Islam verschwimmt. Das eine färbt auf das andere ab. Irgendwann ist dann kein Islam mehr ohne Islamismus denkbar. So verschwimmt das Bild vom Muslim zum Islamisten“, erklärt Agai weiter.
Laut dem Sprachwissenschaftler Dr. Mohamed Saif stürze man sich oft auf den erstbesten Begriff. Dies sei verantwortungslos und schaffe kontroverse Konnotationen. Beispielsweise sei der Begriff „Dschihad“ in seiner innerislamischer Kernbedeutung – „Anstrengung“ – etwas Gutes. Doch der Diskurs verlagere die Bedeutung, sodass die Trennlinie verwässert werde. „In bestimmten Zeiten entstehen bestimmte Begriffe. ‚Islamismus‘ und ‚Dschihadismus‘ sind in politischen Auseinandersetzungen entstanden. Man hat ein Problem, für das ein Begriff benötigt wird. Was macht man also? Man nimmt den erstbesten Begriff“, erklärt Saif.
Agai fügt hinzu, dass bei Begrifflichkeiten die Frage danach zu stellen sei, was für eine Wirklichkeit, welches konkrete Problem dahintersteckt, und wie man diese bestmöglich erklären kann. So bezeichnet z. B. „sich islamisch legitimierender Terrorismus“ ein genaues Problem, was Begriffe, wie „Salafismus“ eben nicht tun.
Problematisch findet die Begriffe auch Hatice Kübra Ergün, Soziologin und Leiterin der Öffentlichkeitsarbeit der IGMG-Frauenjugend. Vor allem in Bezug auf Jugendliche und deren Umgang damit. Positive Begriffe stünden negativen Begriffen gegenüber. Sie würden zweckentfremdet und mit Gewalt gleichgesetzt. „Das irritiert muslimische Jugendliche sehr“, sagt Ergün.
Mittlerweile sei „Extremismus“ zu einem Sammelbegriff geworden. Jeder könne etwas anderes hineinpacken. Das trage dazu bei, so Ergün, dass die Grenzen zwischen religiöser Praktik und extremistischer Tendenzen sehr schwammig geworden seien, was die Auseinandersetzung damit stark erschwere. „Jugendliche müssen in erster Linie keine wissenschaftlichen Diskurse führen“, meint Hatice Kübra Ergün.
In diesem Zusammenhang warnt Prof. Agai auch vor der pauschalen Verwendung des Ausdrucks „radikal“ im Kontext von Islam und Muslimen, ohne diese Radikalität zu spezifizieren. „Radikale muslimische Jugendliche“ können laut Bekim Agai gewaltbereit sein oder aber radikal in Bezug auf Aspekte der persönlichen Lebensführung. „Woran macht man ‚radikal‘ fest, wo beginnt das Phänomen und welche Aspekte werden hierbei problematisiert? Radikal kann ja alles Mögliche sein. Das kann radikale politische Ideen umfassen, aber auch der pietistische Rückzug von Konsum oder die Konzentration auf ökologische Ideen aus islamischen Motiven können radikal in Bezug auf den einen oder anderen Aspekt sein. Der alleinige Bezug auf Radikalität ist kein Tool, um problematische Aspekte, strafbare Handlungen und politische Probleme besser zu verstehen“, so Agai.
Die Frage, ob sich Begriffe und Assoziationen ändern können, bejaht Dr. Mohamed Saif. „Ich glaube, die Begriffe werden gemäß bestimmten Faktoren ausgelegt und konnotiert.“ Als Beispiel nennt Saif den Begriff „Dschihad“: „Nach dem 1. Weltkrieg gab es viele muslimische Kriegsgefangene in Frankreich. Sie sollten für den Kampf gegen Deutschland motiviert werden. Also wurde die Bezeichnung „Mudschâhidûn“ positiv verwendet und wahrgenommen. Der Begriff stand für Freiheitskämpfer“, erklärt Saif.
Sorgen bereite Hatice Kübra Ergün die stigmatisierende Wirkung von Begriffen. Muslime seien einem Generalverdacht ausgesetzt. Sie müssten ständig zwischen religiöser Praxis und äußerer Wahrnehmung entscheiden und sich rechtfertigen. „Das ist sehr anstrengend. Dschihad ist etwa für mich etwas Positives. Aber wenn es negativ konnotiert wird, dann lässt man es im Gespräch meistens aus. Denn wenn ich sage, „mein Dschihad“, dann wird man sofort als Extremistin abgestempelt. Das ist sehr schade“, sagt Ergün. Von dieser Spannung würden ihr vorwiegend junge Musliminnen immer wieder berichten.
Doch welche Alternativen gibt es? Islamwissenschaftler Agai merkt an, dass die Stimmen, die bestimmte Begriffe negativ konnotieren, meist lauter zu hören seien als andere und dass Muslime selbst der Infragestellung ihrer Begriffe durch radikale Kräfte entgegentreten müssten oder bessere Deutungsmuster für die Realität zur Verfügung stellen müssten, die nicht nur sie selbst überzeugen. Daher müsse es einen „Kampf um islamische Begriffe“ geben, denn „ansonsten setzen sich die lauten marginalen Stimmen durch, anstatt der besonnenen“, so Agai.
Dr. Saif erklärt, dass Begriffe mit der Zeit immer schwammiger würden und sieht die Gefahr, dass Islam und Muslime vollends negativ konnotiert sein werden. Daher bedürfe es dringend fundierter und argumentativer Gegenpositionen. „Das ist eine wichtige Aufgabe, mit der wir uns beschäftigen müssen.“
Als Aktive in der islamischen Öffentlichkeitsarbeit erlebe Hatice Kübra Ergün den „Kampf um islamische Begriffe“ tagtäglich hautnah. Mehr noch als die Verfestigung negativer Konnotationen beobachte sie, dass „dadurch ein großes Potenzial, das von muslimischen Jugendlichen für die Gesellschaft ausgeht, ausgeblendet und ausgegrenzt wird.“ Ein wenig optimistisch stimme sie jedoch, dass viele Jugendliche in der Lage seien, die Diskurse zu durchschauen und trotz allem an ihrer Grundhaltung und ihrem Engagement festzuhalten. Das verdiene Respekt und Anerkennung, so Ergün abschließend.