Chatgruppen, rassistische Witze und neue Verdachtsfälle. Auch nach der Festnahme eines Verdächtigen außerhalb der Reihen der Polizei im Fall „NSU 2.0“ ist die hessische Polizei 2021 nicht zur Ruhe gekommen.
Das Aufatmen im hessischen Innenministerium und in den Polizeipräsidien des Landes dürfte groß gewesen sein, als es im Mai zur Festnahme eines 53 Jahre alten Mannes im Fall der „NSU 2.0„-Drohschreiben kam: Der Verdächtige, gegen den die Staatsanwaltschaft Frankfurt mittlerweile Anklage erhoben hat, war kein Polizist. Hessens Innenminister Peter Beuth (CDU) sah daraufhin die Polizei entlastet. „Hessische Polizistinnen und Polizisten waren zu keinem Zeitpunkt Absender oder Tatbeteiligte der NSU-2.0-Drohmails-Serie“, teilte das Innenministerium mit.
Fragen bleiben dennoch, nicht nur für die Adressatinnen der Drohschreiben, die darin mit dem Tod bedroht und rassistisch beleidigt worden waren. Denn etwa im Fall der Frankfurter Rechtsanwältin Seda Başay-Yıldız und der Linken-Politikerin Janine Wissler waren die privaten Daten der später bedrohten Frauen von hessischen Polizeicomputern abgerufen worden. Noch völlig unklar ist, wie der mutmaßliche Täter in späteren Schreiben nach einem Umzug der Anwältin an die neue, gesperrte Adresse von Başay-Yıldız kam – zu einem Zeitpunkt, an dem sie längst als vom „NSU 2.0“ bedroht bekannt war. Auch die Maßnahmen zur Kontrolle von Abfragen persönlicher Daten von hessischen Polizeirechnern waren da bereits längst verschärft worden.
Doch nur wenige Wochen nach dem Fahndungserfolg im Fall „NSU 2.0“ stand die hessische Polizei erneut in den Schlagzeilen. Erneut war, wie schon im Jahr 2018 nach den ersten Drohschreiben gegen Başay-Yıldız, eine Chatgruppe mit rechtsextremen Inhalten aufgedeckt worden – diesmal innerhalb des Frankfurter SEK. Nachdem die Frankfurter Staatsanwaltschaft über Ermittlungen gegen 20 Chatgruppen, rassistische Witze und neue Verdachtsfälle. Auch nach der Festnahme eines Verdächtigen außerhalb der Reihen der Polizei im Fall „NSU 2.0“ ist die hessische Polizei 2021 nicht zur Ruhe gekommen. der Eliteeinheit berichtet hatte, gab Innenminister Beuth die Auflösung des SEK bekannt als „unumgänglichen“ Schritt. Die Fehlerkultur habe versagt.
Ein Abschluss des Verfahrens steht noch nicht fest. „Die gegen die Beamten unter anderem wegen des Verdachts des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen geführten Ermittlungen dauern weiter an“, sagte eine Behördensprecherin. Zur Zahl der einzelnen Fälle, in denen insgesamt gegen Polizisten unter Extremismusverdacht ermittelt wird, gab es keine Angaben.
Eine unabhängige Expertenkommission, die nach Bekanntwerden der Vorgänge im Frankfurter SEK untersuchte, ob die bisherigen Maßnahmen des Landes zur sogenannten Resilienz gegen Extremismus ausreichen, hat ihren Bericht bereits im Juli vorgelegt – zusammen mit warnenden Worten: „Der weiter anwachsende Rechtsextremismus in den Sicherheitsorganen – Polizei, Spezialeinsatzkommandos, Bundeswehr und auch in den Berufsfeuerwehren – ist die größte Bedrohung der Sicherheit und der Demokratie“, sagte Jerzy Montag, der stellvertretende Vorsitzende der Kommission.
Angelika Nußberger, die Vorsitzende der Kommission, sah einen „kritischen Moment“ für die hessische Polizei erreicht. „Hessen muss ein Exempel statuieren und zeigen, dass es den Ehrgeiz hat, im Kampf gegen Rechtsextremismus deutschlandweit eine Vorreiterrolle einzunehmen“, forderte die Juristin.
Erste Empfehlungen wurden nach Angaben des Innenministeriums umgehend umgesetzt. Auch bei denjenigen, die sich für den Polizeidienst bewerben, soll genauer hingeschaut werden. Bildungsarbeit im Bereich Extremismusprävention ist verstärkt worden – nicht nur bei der Landespolizei, sondern zum Beispiel seit Dezember als Pflichtprogramm für die Frankfurter Stadtpolizei.
Polizeigewerkschaften haben angesichts der Vorfälle wiederholt davor gewarnt, die Polizei unter Generalverdacht zu stellen und von Einzelfällen auf die gesamte Organisation zu schließen.
Umgekehrt gibt es aber auch Polizisten, insbesondere mit migrantischem Hintergrund, die selbst über Rassismuserlebnisse mit Kollegen klagen. Als „Kanake“ bezeichnet zu werden, sei für manche Kollegen eine regelmäßige Erfahrung, schildert ein Beamter. „Schaut mal, eure kriminellen Landsleute sind da“, bekamen Bundespolizisten, die nicht namentlich genannt werden wollen, beim Dienst im Einreisebereich zu hören.
Dass über Reisende etwa aus asiatischen oder arabischen Ländern aus der „Box“ heraus rassistische Bemerkungen fielen, sei immer wieder zu hören – bei Widerspruch werde die Äußerung dann als Witz abgetan, heißt es bei den Polizisten. „Jeder macht vielleicht mal einen schlechten Witz“, so ein Betroffener. „Aber wenn jemand so etwas immer wieder sagt, dann hat das Methode. Dazu darf man nicht schweigen.“ (dpa/iQ)