Berlin

Geplante Anlaufstelle für religiöses Mobbing weiter in Kritik

Der Berliner Bezirk Neukölln gilt als Brennpunkt für Konflikte an Schulen. Eine geplante Anlaufstelle soll Vorfälle dokumentieren. Doch der Widerstand gegen das Pilotprojekt wird immer lauter.

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01
2022
Grundschule, Kopftuchverbot
Symbolbild: Grundschule © Shutterstock, bearbeitet by iQ.

Die Kritik an der geplanten Berliner „Anlauf- und Dokumentationsstelle konfrontative Religionsbekundung“ hält an. In einer am Montag in Berlin veröffentlichten Stellungnahme erklärten Fachleute aus Wissenschaft und Zivilgesellschaft, das Projekt werde „eher zu einer Verschärfung von Konflikten führen als zum Schulfrieden beitragen“. Unter den Unterzeichnern sind die früheren Berliner Staatssekretäre für Bildung und Inneres, Mark Rackles und Aleksander Dzembritzki (beide SPD), der Erziehungswissenschaftler Micha Brumlik sowie die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft.

Der „Verein für Demokratie und Vielfalt in Schule und berufliche Bildung“ (DeVi) will eine Stelle einrichten, wo Lehrkräfte Fälle von religiös begründetem Mobbing melden können und Hilfe für den Umgang damit erhalten. Bei einer Tagung im vergangenen Dezember hatte der Verein eine „Bestandsaufnahme“ des Problems vorgestellt. Darin hatten neun von zehn befragten Neuköllner Schulen von religiös begründetem Mobbing berichtet. Dabei sei es etwa um den Gruppendruck auf muslimische Mädchen gegangen, ein Kopftuch zu tragen.

„Ursachen differenziert untersuchen“

Die jetzt veröffentlichte Stellungnahme bemängelt das methodische Vorgehen bei der „Bestandsaufnahme“ als unwissenschaftlich. So sei es den Lehrkräften überlassen einzuschätzen, was als konfrontativ zu bewerten sei und was nicht. Zudem äußern die Unterzeichner den Verdacht, dass durch das Projekt „schulische Konflikte für politische Interessen instrumentalisiert werden“. So solle es vor der ausstehenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Vereinbarkeit des Berliner Neutralitätsgesetzes mit dem Grundgesetz Beweise sammeln, dass der Schulfrieden in Berlin durch religiöse Konflikte gefährdet sei. Das Neutralitätsgesetz verbietet Lehrkräften, im Dienst religiöse Symbole zu tragen.

Die Unterzeichner der Stellungnahme räumen zugleich ein, dass es Konflikte an Schulen gebe, die mit „religiösem Konformitätsdruck, widerstreitenden Werthaltungen, religiös aufgeladenem Mobbing oder gar ideologischem Radikalisierung“ zusammenhingen. Die Ursachen dafür müssten aber fachkundig und differenziert untersucht werden, um Lehrkräften tatsächlich helfen zu können.

Grüne und Die Linke: Anlaufstelle stigmatisiert Muslime

Das Bundesfamilienministerium hatte dem DeVi-Verein und dem Bezirksamt Neukölln eine dreimonatige Evaluation des Problems und damit die Mittel für dessen umstrittene „Bestandsaufnahme“ bewilligt. In SPD, CDU, FDP und AfD wurden danach Forderungen nach einer dauerhaften Förderung der geplanten Anlauf- und Dokumentationsstelle laut. Von Mitgliedern der Grünen und der Linkspartei kam dagegen der Vorwurf einer Stigmatisierung muslimischer Jugendlicher.

Auch die Berliner Justizsenatorin Lena Kreck (Linke) hatte die Kritik an dem Projekt als „plausibel“ bezeichnet. Vor dem Abgeordnetenhaus erklärte sie, es müsse dem „Spannungsfeld“ gerecht werden, dass es Mobbingstrukturen aufdecke, und zugleich vermeiden, „gesellschaftliche Konflikte zu verschärfen“. (KNA, iQ)

Leserkommentare

evergreen sagt:
evergreen Natürlich sehe auch ich Probleme beim Aufarbeiten religiösen und ethnischen Druckes. Doch sehr viel größer ist die Gefahr, wenn man Probleme kleinredet oder ganz unter den Teppich kehrt. Dann wenden sich diejenigen, welche mit ihren Sorgen alleine gelassen werden, leider anderswohin. Auch ich habe beispielsweise in einer Neuköllner Moschee erlebt, dass einfach geleugnet wurde und der Diskussionsleiter der Deutschen Welle nicht zuließ, dass ich dann konkrete Beispiele nenne. Auch zwei stadtbekannte evangelische Pfarrer schwiegen; Weggucken war schon immer bequem. Solches Schweigen und Tabuisieren von Problemen dient nicht ehrlicher Verständigung und Aussprache. Obwohl ich von Vielem im Islam sehr angetan bin (Bekannte meinten, ich würde konvertieren), finde ich es fatal und typisch, dass die evangelische Kaiser-Wilhelms-Gedächtnis-kirche an dem Gedenkort des Amri-Attentats jeden Hinweis auf den IS vermieden hat. Das ist Vertuschung, wie man sie auch nach 1945 in evangelischen Kirchen erlebte.
25.01.22
20:15
ABM sagt:
Diskussionen hin oder her. Ansonsten vielleicht von allen Seiten eine Schaufel nehmen. Als Erziehungswissenschaftlerin, Muslima, Deutsche und keine Kampfemanze ein höchspannendes Thema, welche beim Setting Schule angesiedelt ist, wie Elternarbeit und religionssensible Arbeit. Ein fachlich sehr spannender Bereich für alle , zutiefst bereichernd oder? Eine Frage von erfahrenden, fachlich extrem gut gebildeten Sozialarbeitern, die gut bezahlt werden sollte, da die Kosten für weltfremde Studien nicht nötig sind. Falls eine Teamleitung gesucht wird, in Zusammenarbeit mit Moscheen sehr gerne.
25.01.22
21:44
Vera sagt:
Religiöses Mobbing an Berlins Schulen und an allen anderen Schulen darf nicht verharmlost oder weggeredet und glattgebügelt werden. "Weggucken hat noch nie geholfen" schreibt dazu "Der Tagesspiegel". Und wegducken erst recht nicht. In einem Zeitungskommentar wird gefordert, dass genau beleuchtet werden muß, "welcher Anpassungsdruck an manchen Schulen von muslimischen Schülerinnen und Schülern ausgeübt wird." Die "Welt" schreibt nach der Headline "Wenn Grüne und Linke über die Unterdrückung von Mädchen hinwegsehen" folgendes: "An vielen Neuköllner Schulen werden säkulare Jugendliche aus muslimischen Familien genötigt, sich orthodoxen Regeln anzupassen. Doch die Politik redet das Problem klein. Mahner werden als 'antimuslimisch' verunglimpft." Die Ergebnisse einer qualitativen Befragung an zehn Schulen und einer Kinder- und Jugendhilfe-Einrichtung vor Ort sind sehr eindeutig: "90 Prozent der Schulen berichten über regelmäßige Fälle von 'konfrontativer Religionsbekundung', die Hälfte spricht dabei sogar von einem 'alltagsprägenden Problem'". Spätestens jetzt müssen in Berlin und anderswo entsprechende Alarmglocken schrillen und laut werden um solche Religions-Exzesse entschieden zu bekämpfen - ganz ohne Schüler-Verhätschelung - und schlimmere Aktionen und Entwicklungen zu stoppen und auch gesetzlich zu verbieten. Alle liberalen Muslime werden das bestimmt sehr begrüßen und gutheißen & befürworten.
26.01.22
3:17