Der Berliner Bezirk Neukölln gilt als Brennpunkt für Konflikte an Schulen. Eine geplante Anlaufstelle soll Vorfälle dokumentieren. Doch der Widerstand gegen das Pilotprojekt wird immer lauter.
Die Kritik an der geplanten Berliner „Anlauf- und Dokumentationsstelle konfrontative Religionsbekundung“ hält an. In einer am Montag in Berlin veröffentlichten Stellungnahme erklärten Fachleute aus Wissenschaft und Zivilgesellschaft, das Projekt werde „eher zu einer Verschärfung von Konflikten führen als zum Schulfrieden beitragen“. Unter den Unterzeichnern sind die früheren Berliner Staatssekretäre für Bildung und Inneres, Mark Rackles und Aleksander Dzembritzki (beide SPD), der Erziehungswissenschaftler Micha Brumlik sowie die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft.
Der „Verein für Demokratie und Vielfalt in Schule und berufliche Bildung“ (DeVi) will eine Stelle einrichten, wo Lehrkräfte Fälle von religiös begründetem Mobbing melden können und Hilfe für den Umgang damit erhalten. Bei einer Tagung im vergangenen Dezember hatte der Verein eine „Bestandsaufnahme“ des Problems vorgestellt. Darin hatten neun von zehn befragten Neuköllner Schulen von religiös begründetem Mobbing berichtet. Dabei sei es etwa um den Gruppendruck auf muslimische Mädchen gegangen, ein Kopftuch zu tragen.
„Ursachen differenziert untersuchen“
Die jetzt veröffentlichte Stellungnahme bemängelt das methodische Vorgehen bei der „Bestandsaufnahme“ als unwissenschaftlich. So sei es den Lehrkräften überlassen einzuschätzen, was als konfrontativ zu bewerten sei und was nicht. Zudem äußern die Unterzeichner den Verdacht, dass durch das Projekt „schulische Konflikte für politische Interessen instrumentalisiert werden“. So solle es vor der ausstehenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Vereinbarkeit des Berliner Neutralitätsgesetzes mit dem Grundgesetz Beweise sammeln, dass der Schulfrieden in Berlin durch religiöse Konflikte gefährdet sei. Das Neutralitätsgesetz verbietet Lehrkräften, im Dienst religiöse Symbole zu tragen.
Die Unterzeichner der Stellungnahme räumen zugleich ein, dass es Konflikte an Schulen gebe, die mit „religiösem Konformitätsdruck, widerstreitenden Werthaltungen, religiös aufgeladenem Mobbing oder gar ideologischem Radikalisierung“ zusammenhingen. Die Ursachen dafür müssten aber fachkundig und differenziert untersucht werden, um Lehrkräften tatsächlich helfen zu können.
Das Bundesfamilienministerium hatte dem DeVi-Verein und dem Bezirksamt Neukölln eine dreimonatige Evaluation des Problems und damit die Mittel für dessen umstrittene „Bestandsaufnahme“ bewilligt. In SPD, CDU, FDP und AfD wurden danach Forderungen nach einer dauerhaften Förderung der geplanten Anlauf- und Dokumentationsstelle laut. Von Mitgliedern der Grünen und der Linkspartei kam dagegen der Vorwurf einer Stigmatisierung muslimischer Jugendlicher.
Auch die Berliner Justizsenatorin Lena Kreck (Linke) hatte die Kritik an dem Projekt als „plausibel“ bezeichnet. Vor dem Abgeordnetenhaus erklärte sie, es müsse dem „Spannungsfeld“ gerecht werden, dass es Mobbingstrukturen aufdecke, und zugleich vermeiden, „gesellschaftliche Konflikte zu verschärfen“. (KNA, iQ)