









In Deutschland leben mehr als fünf Millionen Muslime. Wie viele kennen Sie? IslamiQ stellt querbeet Menschen vor, die eine Gemeinsamkeit teilen: Sie sind Teil der Umma Deutschlands. Heute Dr. Oğuzhan Yazıcı.
Dr. Oğuzhan Yazıcı ist Jurist und CDU-Abgeordneter der Bremischen Bürgerschaft. Er studierte Rechtswissenschaften und promovierte im Fach Strafrecht und Kriminologie in Bremen. Yazıcı ist verheiratet und Vater von zwei Töchtern.
IslamiQ: Sie sind CDU-Abgeordneter der Bremer Bürgerschaft und Jurist. Was sind Ihre politischen und juristischen Themenschwerpunkte?
Dr. Oğuzhan Yazıcı: Ich arbeite weiter in meinem Beruf als Strafrechtler und bin Dozent für Gewaltprävention. In der CDU-Fraktion bin ich Sprecher für Rechts-und Justizpolitik, für Datenschutz und Informationsfreiheit sowie für Petitionen.
IslamiQ: Wie kam es zu Ihrem politischen Engagement?
Yazıcı: Ich bin ein Quereinsteiger. Ein politisches Mandat war nie ein Thema für mich. Ich stand kurz vor dem Abschluss meines Referendariats und wollte im Anschluss Jugendrichter werden. Die CDU Bremen kam auf mich zu und hat mir das Angebot gemacht, bei den Landtagswahlen 2011 auf einem relativ sicheren Listenplatz zu kandidieren. Ich war damals nicht einmal Parteimitglied. Diese völlig unvorhergesehene Wendung in meiner Biographie habe ich aber nie bereut. Im Gegenteil, ich bin nach wie vor dankbar für die Chance, Politik mitgestalten zu dürfen.
IslamiQ: Wie bewerten Sie die politische Partizipation von Muslimen, und was raten Sie Jugendlichen?
Yazıcı: Ich sehe ehrlichweise insgesamt kaum Interesse bei Muslimen für die Politik in Deutschland. Eine Mitgliedschaft oder gar aktive Mitarbeit in einer Partei ist die absolute Ausnahme. In der CDU Bremen beispielsweise sind es mit mir zusammen lediglich drei Muslime. In der SPD Bremen ist diese Zahl etwas höher bei den übrigen Parteien sogar niedriger. Muslime übernehmen viel Verantwortung in ihren Gemeinden und leisten darüber hinaus einen sehr großen Beitrag für das gesellschaftliche Zusammenleben. Aber mit Parteipolitik wollen die meisten nichts zu tun haben. Und besonders den jungen Muslimen rate ich, geht zumindest wählen. Die Wahlbeteiligung unter den Jugendlichen ist erschreckend niedrig.
IslamiQ: Welche Hobbies haben Sie, wie gestalten Sie ihre Freizeit am liebsten?
Yazıcı: Meine Freizeit verbringe ich fast ausschließlich mit meiner Familie. Wenn dann noch etwas Zeit übrigbleibt, schaue ich gerne Geschichtsdokus.
IslamiQ: Lieblingsbuch? Lieblingsfilm?
Yazıcı: Die Kriminalgeschichte in Dostojewskijs „Schuld und Sühne“ fasziniert mich noch immer. Einer meiner Lieblingsfilme ist „Good Will Hunting“.
IslamiQ: Was bedeutet Familie für Sie?
Yazıcı: Familie bedeutet für mich Liebe, Vertrauen, Zusammenhalt, Geborgenheit.
IslamiQ: Der schönste Moment in Ihrem Leben?
Yazıcı: Die Geburt unserer beiden Töchter.
IslamiQ: Wie würden Ihre Freunde Sie beschreiben?
Yazıcı: Wertegeleitet, verbindlich.
IslamiQ: Ihr Lebensmotto?
Yazıcı: Ein Lebensmotto ist: „Was immer du tust, tue es klug und bedenke das Ende“.
IslamiQ: Können Sie sich an eine Situation erinnern, in der Sie erstmals mit der Identitätsfrage (Islam und Deutschland) konfrontiert waren?
Yazıcı: Ich war auf dem Gymnasium und musste meinen Aufenthaltstitel erneuern. Einen Termin in der Ausländerbehörde hatte ich nicht bekommen. Ich sollte persönlich vorbeikommen und eine Wartemarke ziehen. Bis dato hatte sich mein Vater um diese Dinge gekümmert. Als ich morgens kurz vor Öffnung ankam, standen schon ca. 30 Menschen in der Schlange. Am nächsten Tag kam ich eineinhalb Stunden vorher, auch das reichte nicht für eine Wartemarke. Am dritten Tag stand ich über zwei Stunden vor der offiziellen Öffnung in der Schlange und hatte Platz fünf. Die Menschen um mich herum waren total angespannt, einige waren laut und aggressiv. Ich fühlte mich sehr unwohl und war besorgt, dass es vielleicht auch diesmal nicht für eine Wartemarke reichen könnte. Ich machte mir Gedanken um mögliche Konsequenzen.
Tatsächlich wurden an dem Tag lediglich 5 Wartemarken vergeben. Es waren damals absolut unhaltbare Zustände in der Bremer Ausländerbehörde. Ich war in Deutschland geboren und aufgewachsen so wie die deutschen Kinder auf meiner Schule. Wir haben im selben Verein Fußball gespielt, haben unsere übrige Freizeit gemeinsam verbracht. Doch an diesen drei Tagen saßen sie alle im Unterricht und ich musste gezwungenermaßen eine erniedrigende Erfahrung mit der Ausländerbehörde machen. Da habe ich zum ersten Mal in meinem Leben eine „Andersartigkeit“ gespürt.
IslamiQ: Was ist Ihr größtes Ziel in diesem Leben, und was tun Sie um dieses Ziel zu erreichen?
Yazıcı: Ich möchte ein guter Ehemann und ein guter Familienvater sein. Ich kenne meine Schwächen und arbeite daran. Unsere Töchter sind im Kindergartenalter, jetzt wird der Grundstein gelegt für eine gute Zukunft. Diese Zeit hat für mich daher die allerhöchste Priorität. Zudem möchte ich für mein Umfeld weiterhin ein verlässlicher Ansprechpartner sein und mich gemeinsam mit Wegbegleitern für eine gerechtere und tolerantere Gesellschaft einsetzen.
IslamiQ: Was wünschen Sie sich für die Zukunft? Für sich selbst, für Ihre Familie, für alle Muslime in Deutschland.
Yazıcı: In persönlichen Angelegenheiten plane ich meist nie länger voraus als ein Jahr. Die Corona-Pandemie hat mich in dieser Einstellung noch einmal bestärkt. Ich war für den Hadsch 2020 angemeldet, hatte das Geld überwiesen und die Impfung erhalten. Es hätte mit den Sommerferien in Bremen so wunderbar gepasst. Diesen Termin hatte ich seit Jahren fest im Kalender eingetragen. Die Vorfreude war riesig. Dass der Hadsch ausfällt, ist fast schon ein Ding der Unmöglichkeit. Doch genauso ist es gekommen. Wir Menschen planen ständig, doch Allah ist der beste Planer. Mein Wunsch für 2022 ist daher lediglich, dass wir diese Pandemie in den Griff bekommen und so wenig Menschen wie möglich schwer erkranken und sterben.
IslamiQ: Was muss passieren, damit Muslime hier als selbstverständlicher Teil Deutschlands angesehen werden?
Yazıcı: Ein Teil der Muslime wird bereits weitestgehend als selbstverständlicher Teil Deutschlands angesehen. Aber was ist z. B. mit praktizierenden Muslimen, die sich größtenteils auch in den islamischen Religionsgemeinschaften organisieren. Politik und Medien beäugen sie zum Teil äußerst kritisch. Von einer Normalität sind wir hier meilenweit entfernt. Das ist ein sehr komplexes und abendfüllendes Thema. Ich möchte jedenfalls weiterhin meinen Beitrag dazu leisten, damit auch diese große Gruppe der Muslime in Deutschland als selbstverständlicher Teil der Gesellschaft angesehen wird.