Sachsens scheidender Generalstaatsanwalt Hans Strobl sieht im Strafprozessrecht ein bisher nicht oder noch zu wenig genutztes Potenzial.
Sachsens scheidender Generalstaatsanwalt Hans Strobl sieht im Strafprozessrecht ein bisher nicht oder noch zu wenig genutztes Potenzial. „Ich sehe die Strafprozessordnung wie einen Werkzeugkasten“, sagte der 65-Jährige vor seiner Verabschiedung am Montag der Deutschen Presse-Agentur in Dresden. Es gelte, dem Eindruck in der Bevölkerung entgegenzuwirken, dass Straftaten begangen werden, über die die Polizei informiert, aber dann für Öffentlichkeit und Betroffene nichts passiert. Der Jurist, der 1997 aus Baden-Württemberg in die sächsische Justiz wechselte, geht nach knapp fünf Amtsjahren in den Ruhestand.
Justizministerin Katja Meier (Grüne) würdigte am Abend vor allem sein Engagement bei der Verfolgung von Hasskriminalität, der Vernetzung der Staatsanwaltschaften gegen Antisemitismus und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit sowie den Aufbau zentraler Strafverfolgungseinheiten im Bereich Cybercrime und extremistischer Straftaten. Dann überreichte sie Nachfolger Martin Uebele die Ernennungsurkunde. Der 62-Jährige ist seit 1991 in Sachsens Justiz tätig, als Staatsanwalt, Richter und zuletzt Präsident des Landgerichts Dresden.
In seiner Amtszeit hat Strobl einige „Werkzeuge“ aktiviert. So werde die Geldstrafe mit Bewährung, also eine Verwarnung unter Vorbehalt, stärker angewandt. Ein zu lascher Umgang mit Bagatellen untergrabe das Vertrauen in den Rechtsstaat, warnte der Jurist. „Verwarnung mit Strafvorbehalt heißt: Ich muss mich rechtstreu verhalten.“
Und auch die im Herbst 2018 angeordnete Anwendung des beschleunigten Verfahrens bei einfachen Straftaten hat sich aus seiner Sicht etabliert. Dabei kann bei klarer Beweislage die Anklage anders als im normalen Strafverfahren mündlich erhoben, der Beschuldigte innerhalb von 24 Stunden geladen und sofort vor einem Strafrichter oder Schöffengericht verhandelt werden.
Bis Ende Dezember 2021 wurden 2187 Fälle auf diese Weise erledigt. Von nur 13 im Jahr 2017 erhöhte sich ihre Zahl auf 244 ein Jahr später; 2019 waren es 701, 2020 und 2021 trotz Corona 695 beziehungsweise 547 und seit Jahresbeginn bereits 49. Die Palette der Delikte reicht von Diebstählen oder Trunkenheit im Verkehr bis zum Zeigen des Hitlergrußes.
„Für mich hat es noch mehr Potenzial“, sagte Strobl. Die Organisation dafür sei geschaffen, die Polizei werde geschult und deutlich über 90 Prozent der Entscheidungen seien rechtskräftig. „Es ist auch für das Unrechtsbewusstsein anders, wenn sich die Täter nach der Tat zeitnah verantworten müssen und nicht ein Jahr warten auf ihr Verfahren.“
Eine frühere Anwendung im Demonstrationsbereich hätte die aktuellen Eskalationen verhindert, ist Strobl überzeugt. Da auf Verstöße lange Zeit nichts folgte, sei der Eindruck entstanden, dass man dort risikolos hingehen kann. „Bei einem Verfahren kriegt jeder klar mit, dass man nicht folgenlos unter dem Deckmantel des Demonstrationsrechts gewaltsam gegen Polizisten oder Andersdenkende agieren kann.“
Der Rechtsstaat funktioniere und reagiere, wenn klar sei, dass Straftaten geahndet werden, unterstrich der Generalstaatsanwalt. Sonst gebe es eine Steigerung in dem, was Menschen sich trauten – auf der Straße oder in der Anonymität des Internets. (dpa/iQ)