Nach außen lebte der Rechtsextremist größtenteils ein normales Leben. Doch bereits knapp 20 Jahre vor dem Attentat in Hanau war er den Behörden wegen Verfolgungswahn aufgefallen. Ein Gutachter berichtet im Untersuchungsausschuss.
Die psychische Krankheit des Attentäters von Hanau war nach Einschätzung eines Psychiaters schwer zu erkennen. Die paranoide Schizophrenie habe sich zwar fast 20 Jahre lang „wie ein Krebsgeschwür in seine Persönlichkeit eingefressen“, wie der Sachverständige am Montag im Untersuchungsausschuss des hessischen Landtags sagte. Aber wegen seiner gesunden Persönlichkeitsanteile habe er nach außen „ein gesundes Bild abgeben“ können.
Erstmals den Behörden aufgefallen war der Rechtsextremist demnach zu Beginn seines BWL-Studiums im Jahr 2001 in Bayreuth. Er habe sich verliebt, die Frau habe ihn abgewiesen, daraufhin habe er sich von deren Eltern verfolgt gefühlt und gegen diese bei der Polizei Anzeige erstattet. Er sei von einem Arzt untersucht worden und mit dem Verdacht auf eine Psychose in eine Klinik gekommen. Auf Betreiben seines Vaters sei er nach wenigen Tagen entlassen worden. Sein Verfolgungswahn sei geblieben, wenige Jahre später habe er der Hanauer Polizei gemeldet, er werde von einem Geheimdienst überwacht.
Die nächsten Jahre lebte der den Angaben nach mit dem national-konservativen Gedankengut seines Vaters aufgewachsene Mann nach außen unauffällig. Nach Ansicht des Psychiaters steigerte sich im Jahr vor der Tat sein Rassismus. Der Rechtsextremist las demnach viel NS-Literatur, zog im Frühjahr 2019 zurück nach Hanau und schrieb Ende des Jahres in einer 19-seitigen Strafanzeige, er werde von der „mächtigsten Organisation der Welt“ überwacht. „Von der Richtigkeit dieser Angaben war er felsenfest überzeugt“, so der Sachverständige. Der Rechtsextremist habe versucht, Kontakt mit dem Verfassungsschutz und der damaligen Kanzlerin aufzunehmen. Im Januar 2020 stellte er die Ausführungen aus seiner Strafanzeige als „Botschaft an das deutsche Volk“, ergänzt mit rassistischen Anmerkungen, ins Internet.
Mit seiner Tat habe er „aufrütteln“ wollen, so der Psychiater. Er habe sie akribisch vorbereitet und unter anderem mehrere mögliche Tatorte ausgespäht, darunter auch Schulen. Als er am 19. Februar 2020 gezielt neun Menschen mit einem Migrationshintergrund erschoss, ging er laut Sachverständiger „kaltblütig“ vor. Bei der anschließenden Tötung seiner Mutter habe es sich um einen „Mitnahmesuizid“ – die Tötung Unbeteiligter – gehandelt. Er habe sich dann selbst getötet, auch weil er sich als „Märtyrer“ habe präsentieren wollen. (dpa/iQ)