Vor zwei Jahren kamen bei einem rassistischen Anschlag in Hanau neun Menschen ums Leben. Im IslamiQ-Interview sprechen wir mit Publizistin Ferda Ataman über die Auswirkungen von Hanau und die Rolle der Medien.
IslamiQ: Seit dem Anschlag in Hanau sind nun zwei Jahre vergangen. Wissen Sie noch, was Sie getan, gedacht und gefühlt haben, als Sie davon erfahren haben?
Ferda Ataman: Ja. Ich war zu Hause und habe gearbeitet. Als ich las „Schießerei in Shishabars“ kamen mir zwei mögliche Motive in den Sinn: eine kriminelle Auseinandersetzung oder ein rassistischer Anschlag. Und mir war klar, beide würden politische Debatten nach sich ziehen, auch wenn nur eine politisch motiviert ist.
Ich war auch emotional berührt. Das bin ich immer, wenn Menschen sterben. Aber als das Motiv feststand, war das ein Schock. Zehn Tote durch einen rechtsterroristischen Anschlag? Da starben an einem Abend so viele Menschen, wie das Neonazi-Netzwerk NSU in mehreren Jahren umgebracht hat.
IslamiQ: Was muss sich in der Gesellschaft ändern, damit solch eine schreckliche Tat nie wieder passiert?
Ataman: Ich fürchte, Gesellschaften können nicht verhindern, dass Terroranschläge – egal mit welchem politischen Motiv – stattfinden. Aber Gesellschaften können das politische Klima im Land beeinflussen. Menschen, die von Rassismus betroffen sind, fühlen sich in Deutschland zunehmend unsicher. Das ist nicht nur ein Gefühl, das belegen auch Zahlen der Sicherheitsbehörden.
In den letzten Jahren hat die Bedrohungslage zugenommen, weil Rechtsextreme in Deutschland Morgenluft wittern. Und dagegen kann die Gesellschaft etwas tun, in dem jede*r Einzelne sich zu Demokratie und Menschenrechten bekennt und Rassismus ächtet. Und indem Medien rechtsradikalen Positionen keine verständnisvollen Räume und Talkshow-Plätze bieten. Auch dann nicht, wenn sie aus der bürgerlichen Mitte oder von demokratisch gewählten Parteien kommen.
IslamiQ: Stichwort #saytheirnames. In den meisten Fällen bzw. Gewalttaten werden die Opfer in den Medien nicht namentlich genannt. Warum ist es bei solchen Fällen wie in Hanau wichtig, die Namen der Opfer präsent zu halten?
Ataman: Im Journalismus lernt man eigentlich, dass es man die Opfer und ihre Angehörigen schützt, indem man ihre Namen nicht nennt. Das hat aber lange dazu geführt, dass die Opfer von Rassismus unsichtbar blieben und die Berichterstattung sich vor allem um die Täter*innen drehte. Deshalb haben viele unter dem Hashtag #saytheirnames an die Opfer von Hanau erinnert. Nicht nur im Internet, auch Künstler*innen und Einzelpersonen haben Bilder der Opfer an Häuserwänden und Laternen platziert. Der Fokus sollte auf sie gelenkt werden, auf ihre Familien und deren Schicksale und Forderungen. Das ist wichtig.
IslamiQ: Wie beurteilen Sie die politische Aufarbeitung des Anschlags?
Ataman: Die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel hat nach dem Anschlag einen Kabinettsausschuss zu Rechtsextremismus und Rassismus einberufen, allerdings auf Druck der Migrant*innenorganisationen. Viele NGOs haben in einer „Antirassismus-Agenda 2025“ einen Katalog von Forderungen gestellt.[1] Einige wurden von der alten und neuen Koalition erfüllt. Aber ich habe leider den Eindruck, dass es den ständigen Druck aus der Zivilgesellschaft braucht, damit auf die Ereignisse und Betroffenheitserklärungen wirklich Konsequenzen folgen. Der Verlauf der Ermittlungen in Hanau zum Beispiel ist für die Opferangehörigen frustrierend und unbefriedigend.
IslamiQ: Das Netzwerk neue Deutsche Medienmacher hat die Berichterstattung über den Anschlag von Hanau gelobt. Was zeichnet eine verantwortungsvolle Berichterstattung aus?
Ataman: In vielen Medien hat man sich in den ersten Wochen nach dem Anschlag auf den Täter konzentriert, so wie immer. Es ist primär dem Engagement von Aktivist*innen zu danken, dass immer wieder an die Opfer erinnert wurde. Aber an der Berichterstattung ein Jahr nach Hanau konnte man sehen, dass Medien dazugelernt haben und viele Fehler nicht mehr wiederholten. Sie haben die Namen korrekt geschrieben, die Angehörigen sprechen lassen, es ist von „Rassismus“ die Rede und nicht mehr von „Fremdenfeindlichkeit“. Und es wird stärker über politische Konsequenten debattiert, statt über Angst und Emotionen. Das ist wichtig. Denn darum geht es. Wir müssen vorankommen.
Das Interview führte Muhammed Suiçmez.
[1] https://bundeskonferenz-mo.de/aktuelles/antirassismus-agenda-2025