Muslimische Akademiker

„Aspekte der österreichischen Islamgeschichte beleuchten“

Akademiker widmen sich den wichtigen Fragen unserer Zeit. IslamiQ möchte zeigen, womit sich muslimische Akademiker aktuell beschäftigen. Heute mit Dr. Amani Abuzahra.

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02
2022
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Dr.in Amani Abuzahra © Dar Salma, bearbeitet by iQ
Dr. Amani Abuzahra © Dar Salma, bearbeitet by iQ

IslamiQ: Können Sie uns kurz etwas zu Ihrer Person und ihrem akademischen Werdegang sagen?

Dr. Amani Abuzahra: Ich bin promovierte Philosophin, Public Speakerin, Autorin und Trainerin in der Erwachsenenbildung. Zunächst habe ich Medizin studiert und später das Magisterstudium der Philosophie an der Universität Wien aufgenommen. Zusätzlich habe ich Intercultural Studies mit Fokus auf Lehr- und Kulturberufe an der Universität Salzburg studiert. 

Danach habe ich Philosophie sowie interkulturelle Pädagogik am Studiengang für das Lehramt für islamische Religion an Pflichtschulen sowie an der Kirchlich Pädagogischen Hochschule Wien-Krems gelehrt. Neben der Ausbildung der Lehramtsstudierenden war ich auch in der Fortbildung der Lehrer:innen öffentlicher Schulen involviert, Schwerpunkte: Interkulturelle Öffnung und Umgang mit Diversität im Klassenzimmer. 

Zudem habe ich an der Kirchlich Pädagogischen Hochschule zum interkulturellen sowie interreligiösen Dialog zwischen muslimischen und christlichen Studierenden geforscht. Als Visiting Scholar war ich an den Universitäten Istanbul und Eskişehir. Eine Forschungsreise durch fünf verschiedene Bundesstaaten der USA zum Thema Inklusion und Ausgrenzung gab mir die Möglichkeit, meine Expertise zu vertiefen. Gegen Ende meiner Lehrtätigkeit habe ich das Doktoratsstudium der Philosophie an der Universität Wien aufgenommen, um zu Toleranz- und Rechtsphilosophie im Kontext des Islamgesetzes zu forschen.

IslamiQ: Können Sie uns Ihre Dissertation kurz vorstellen?

Abuzahra: Meine Dissertation trägt den Titel: „Von der Duldung der Muslim:innen in Österreich zum gegenseitigen Respekt – und wieder retour? Eine kritische Untersuchung des Toleranzkonzeptes vor dem Hintergrund der Forst’schen Konzeption unter besonderer Berücksichtigung des Umgangs mit Muslim:innen von der k.u.k.- Monarchie bis zur Entstehung des neuen Islamgesetzes von 2015“

Meine Doktorarbeit beleuchtet also die beiden österreichischen Islamgesetze von 1912 und 2015 aus einer toleranz- und rechtsphilosophischen sowie grenzorientalistischen Perspektive. Dabei wird der Rechtsstatus anhand der Toleranzkonzepte, der „Duldungs“- sowie „Respektvariante“ von Forst analysiert. Nachdem Gesetzgebungsverfahren und Novellierungen keine singulären Ereignisse sind, sondern einer Kontextualisierung bedürfen, wurde auch die Darlegung beider Gesetze im spezifischen politischen Kontext berücksichtigt. Die Narrative, Machtverhältnisse sowie geopolitischen Strategien werden zusätzlich zum philosophisch-analytischen Blick beleuchtet. Anhand der toleranzphilosophischen Analyse wird ein auf den Gesetzestexten von 1912 und 2015 basierender Vergleich vorgenommen, um zu eruieren, ob das Toleranzgefüge des rechtlichen Rahmens beider, die zudem den Zeitraum eines ganzen Jahrhunderts umspannen, als ein Kontinuum der bisherigen Habsburger Toleranzpolitik oder als Wendepunkt zu deuten ist.

IslamiQ: Warum haben Sie dieses Thema ausgewählt? Gibt es ein bestimmtes Schlüsselerlebnis?

Abuzahra: Das Islamgesetz von 2015 und die Debatten darum haben mich intensiv auf mehreren Ebenen beschäftigt. Es war nicht mein primäres Vorhaben dazu zu forschen. Ich hatte zunächst dem Gremium ein Konzept zur Dekonstruktion Europas nach Jaques Derrida vorgelegt. Nach einigen Überarbeitungen kam ich schließlich zum Thema meiner Doktorarbeit. Es gab tatsächlich viele verschiedene Schlüsselerlebnisse. Eines von diesen, dass ich hier erwähnen möchte, ist dieser Eintrag, auf den ich vor Jahren bei Facebook gestoßen bin, der mich bewegt:„Vorgestern habe ich bei einem Meeting einen jungen Mann mit bosnischen Wurzeln kennengelernt. Es hat mich sehr getroffen, als er sagte: ‚Früher war Bosnien ein Teil Österreichs. Österreich und die bosnischen Soldaten haben für Österreich gekämpft. Mein Großvater war Leibwächter des Kaisers und ist sogar für dieses Land gestorben, wie können österreichische Politiker sagen, dass der Islam oder die Muslime nicht zu Österreich gehören?‘“

IslamiQ: Haben Sie positive/negative Erfahrungen während Ihrer Doktorarbeit gemacht?

Abuzahra: Eine Doktorarbeit ist durchwegs von positiven sowie negativen Erfahrungen geprägt. Was sie so speziell macht, ist, dass man für so einen langen Zeitraum Motivation, Disziplin und Engagement aufzubringen hat, wenn man es denn abschließen will. 

Die negative Erfahrung war zunächst, dass ich meine Arbeit schrieb, als eine globale Pandemie ausbrach. Das hat meine Zeitpläne ordentlich durcheinandergebracht, mein Professor, der mich betreute, war noch beschäftigter also zuvor. Das war eine große Herausforderung, da es eine neue Routine zu finden galt. Doch dann hat sich das Blatt gewandt, und ich muss sagen, mein Abschließen und damit das beständige Schreiben habe ich irgendwo dann doch der Pandemie auch zu verdanken, so paradox das klingen mag.

Denn es ergaben sich neue Zeitfenster. Viele Projekte, in denen in involviert war, viele Workshops und Vorträge als Trainerin und Public Speakerin wurden entweder abgesagt oder in die digitale Welt verlegt. Dadurch hatte ich plötzlich viel mehr Zeit und ich begann das als Chance zu sehen und zu nutzen.

IslamiQ: Inwieweit wird Ihre Doktorarbeit der muslimischen Gemeinschaft in Österreich nützlich sein?

Abuzahra: Meine Doktorarbeit greift viele relevante Themen auf, die philosophische und gesellschaftspolitische verbinden. Sie sind nicht nur für Österreichs muslimische Gemeinschaft relevant, wenn ich mal so bescheiden behaupten darf. Ich denke, sie ist auch relevant für die internationale Wissenschaftsgemeinschaft, die sich mit Toleranzphilosophie, Islampolitik und Postkolonialität auseinandersetzt.

Meine Arbeit beleuchtet hochaktuelle Fragen zum Thema Regulierung muslimischer Gemeinschaften als Marginalisierte im historischen sowie gegenwärtigen Kontext, das sich in einem gewissen Kontinuum zeigt. Die Doktorarbeit hat somit das Potenzial, Aspekte der österreichischen Islamgeschichte aus einer anderen Perspektive zu beleuchten, und einen kritischen Blick auf die gegenwärtige Lage zu ermöglichen.

Das Interview führte Muhammed Suiçmez.