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„Mit der Kalligrafie weht ein neuer Wind in der Kunstszene“

In Deutschland leben mehr als fünf Millionen Muslime. Wie viele kennen Sie? IslamiQ stellt querbeet Menschen vor, die eine Gemeinsamkeit teilen: Sie sind Teil der Umma Deutschlands. Heute Ünal Ünalan.

30
04
2022
Ünal Ünalan © IGMG, bearbeitet by iQ.
Kalligraf Ünal Ünalan © IGMG, bearbeitet by iQ.

IslamiQ: Seit wann interesieren Sie sich für klassische Kalligrafie?

Ünal Ünalan: Mein Interesse für Kunst und Kultur wurde durch das Zeichnen im Grundschulalter geweckt. Damals kannte ich die islamische Kalligrafie als Kunstform noch nicht. Meine ersten Berührungspunkte mit der Kalligrafie begann damit, dass ich anfing, klassische Werke nachzuzeichnen.

Später, während meines Theologiestudiums, hatte ich die Möglichkeit, klassische Kalligrafie als Wahlpflichtfach zu belegen. Das war eine gute Gelegenheit, die Kunst der Kalligrafie näher kennenzulernen. Mit der Zeit wuchs mein Interesse. Die Suche nach einem guten Kalligrafie-Lehrer führte ich auch in Europa fort. Ich war zu dieser Zeit 35 Jahre alt. Viele Jahre vergingen, bis ich meinem Lehrer Mustafa Cemil Efe begegnete. Inzwischen bin ich als ausgebildeter Kalligraf im Besitz einer Idschâza, das heißt einer Lehrerlaubnis, weshalb ich selbst Lehrer für klassische Kalligrafie bin.

IslamiQ: Vor einiger Zeit hat die UNESCO die klassische Kalligrafie als Weltkulturerbe anerkannt. Wie bewerten Sie diese Entscheidung? 

Ünalan: Die Anerkennung durch die UNESCO hat mich sehr gefreut. Mit der Kalligrafie wird ein neuer Wind in der Kunst- und Kulturszene wehen, auch weil sich immer mehr Menschen für diese Kunstform interessieren. Außerdem bin ich davon überzeugt, dass durch die Anerkennung die klassische Kalligrafie in Zukunft auch an den Kunst- und Theologiefakultäten als reguläres Fach angeboten wird.

IslamiQ: Sie unterrichten klassische Kalligrafie. Wie ist die Nachfrage von Muslimen und Nichtmuslimen für diese Kunstrichtung?

Ünalan:  Gerade die junge Generation erlebe ich als sehr interessiert, wenn es darum geht, klassische Kunstformen kennenzulernen und zu erlernen. Ich persönlich tue mir schwer, den Anfragen nachzukommen, denn es melden sich immer mehr junge Menschen. Nichtmuslimische Interessenten haben sich bisher nicht gemeldet. Vermutlich liegt das eher daran, dass sie mit der Materie nicht oder wenig vertraut sind und vielleicht nicht einmal wissen, dass sie klassische Kalligrafie auch in Deutschland erlernen können. 

IslamiQ: Womit beschäftigen Sie sich in Ihrer Freizeit – außer Kalligrafie?

Ünalan: Während meines Theologiestudiums habe ich Gesangsunterricht erhalten und auch gelernt, die Ney-Flöte zu spielen. Als die klassische Kalligrafie hinzukam, habe ich mich vollends dieser Kunstform gewidmet. Denn sie erfordert sehr viel Leidenschaft. Sie öffnet sich einem nur, wenn sie auch die nötige Zuneigung bekommt. Deswegen besuche ich gerne Veranstaltungen, die mit klassischer Kalligrafie zu tun haben. Zudem lese ich sehr gerne zu Themen rund um Kunst, Kultur und Theologie. Und das am liebsten in meiner persönlichen Bibliothek.

IslamiQ: Was ist ihr Allzeit-Lieblingsbuch bzw. Ihr Lieblingsfilm?

Ünalan: Mein absoluter Lieblingsfilm ist „The Message“ von Moustapha Akkad. Es gibt keinen vergleichbaren Film, vor allem wenn man die technischen Möglichkeiten aus dem Jahre 1977 bedenkt. Noch heute schaue ich mir diesen Film mit Begeisterung an.

Bei Büchern wird es schwierig, sich auf ein bestimmtes Buch festzulegen, da ich von jedem Buch etwas mitnehme. Aber wenn ich mich für ein Buch entscheiden muss, dann wäre das „Muhammad: Sein Leben nach den frühesten Quellen“ von Martin Lings.

IslamiQ: Was bedeutet Familie für Sie?

Ünalan: Glückseligkeit, Teilhabe, Vertrauen und Hoffnung.

IslamiQ: Was ist eine der schönsten Erlebnisse, die Sie in Bezug auf Ihre Arbeit erlebt haben?

Ünalan: Einer der Tage, an die ich mich gerne zurückerinnere, ist der 8. März 2018. Das war der Tag der Jugend, den wir für 3000 Jugendliche aus unseren Gemeinden organisiert hatten. Meine Kollegen haben ohne mein Wissen, meinen Lehrer Mustafa Cemil Efe nach Deutschland eingeladen. Dieser überreichte mir dann dort meine Idschâza. Das war ein unvergesslicher Moment.

IslamiQ: Wie würden Ihre Freunde Sie beschreiben?

Ünalan: Man sagt, dass ich eine sehr fröhliche Ausstrahlung habe und viel lächle. Zudem lege ich viel Wert auf Disziplin. 

IslamiQ: Was ist Ihr Lebensmotto?

Ünalan: Jederzeit, jedem ein nützlicher Mensch zu sein.

IslamiQ: Was ist einer der größten Ziele in Ihrem Leben? Und was tun Sie, um diesem Ziel näherzukommen?

Ünalan: Ich möchte zusammen mit von mir ausgebildeten Kalligrafen einen handgeschriebenen Koran schreiben und diesen der Islamischen Gemeinschaft Millî Görüş (IGMG) schenken.

IslamiQ: Was muss nach Ihrer Meinung nach passieren, damit Muslime als ein selbstverständlicher Teil Deutschlands anerkannt werden?

Ünalan: Ich finde, dass Muslime bereits ein selbstverständlicher Teil Deutschlands sind und dies auch im Alltag zeigen. Vor allem die junge Generation tut das, indem sie nach Wegen suchen, um sich bestmöglich einzubringen. 

Das Interview führte Hatice Çevik.

 

Leserkommentare

Vera sagt:
Das Wort "Kalligraphie" stammt aus dem Griechischen als die "Kunst des schönen Schreibens" von Hand und spielte in der abendländischen mittelalterlichen Kultur eine kaum zu überschätzende Rolle. In ganz Europa finden sich historische Werke antiker und mittelalterlicher Kalligrafen, die vielfach in Klöstern entstanden sind und durch ihre teure Ausstattung und reichhaltigen Details bestechen. So gibt es hebräische Kalligrafie & chinesische, koreanische, japanische und arabische Kalligrafie. Kalligraphisch erstellte Bibel-Ausgaben sind keine Seltenheit. Insofern ist auch die kalligraphische Kunstszene vielgestaltig und keineswegs islamisch dominiert. Möge ein neuer künstlerischer & frischer Wind überall wehen und natürlich auch in jeder Umma.
05.05.22
2:17