Die Vorwürfe gegen China sind massiv: Verfolgung von Uiguren, Tibetern oder Bürgerrechtlern – Menschenrechtsverstöße und Zwangsarbeit. Was wird die UN-Menschenrechtskommissarin in China herausfinden können? Wird ihr überhaupt der nötige Zugang gewährt?
Dem Besuch war ein heftiges Tauziehen vorangegangen: Erstmals seit 17 Jahren ist diese Woche mit Michelle Bachelet wieder eine Hochkommissarin der Vereinten Nationen für Menschenrechte zu Besuch in China. Menschenrechtsgruppen warnen sie vor dem Risiko, „in ein Minenfeld der Propaganda zu treten, das die chinesische Kommunistische Partei ausgelegt hat“. Wird die chinesische Seite ihren Besuch benutzen, um Menschenrechtsverletzungen zu „übertünchen“, wie Kritiker fürchten? Oder wie kann Bachelet glaubhaft solchen Verstößen und der Verfolgung von Uiguren, Tibetern und anderen Angehörigen von Minderheiten nachgehen?
Die US-Regierung zeigte sich „tief besorgt“, dass China ihr den notwendigen Zugang beschneiden könnte, der für „eine umfassende und unmanipulierte Einschätzung der Menschenrechtslage“ erforderlich wäre. In Washington kritisierte Außenamtssprecher Ned Price die UN-Vertreterin zugleich für ihr „anhaltendes Schweigen angesichts unbestreitbarer Beweise über Grausamkeiten in der Nordwestregion Xinjiang und anderer Menschenrechtsverletzungen und Misshandlungen in der ganzen Volksrepublik China, was sehr beunruhigend ist“.
Schon seit 2019 lag der früheren chilenischen Präsidentin eine chinesische Einladung vor. Doch wollte Peking nicht auf ihre Bedingungen dafür eingehen. Dazu gehört der ungehinderte und unüberwachte Zugang zu Gesprächspartnern, die ihr Büro selbst aussuchen wollte. Als Bachelet die lange verzögerte Reise im März ankündigte, stellten Mitarbeiter klar, dass China die Forderungen schließlich erfüllen wolle. Bachelet könne reden, mit wem sie wolle, und das ohne Aufsicht durch chinesische Beamte, hieß es in Genf.
Doch Menschenrechtsverteidiger und Exilgruppen schenken den Beteuerungen wenig Glauben, rechnen vielmehr mit einem sorgfältig orchestrierten Reiseprogramm im Sinne Pekings. Auch bietet die Covid-Pandemie, die in China mit neuen Ausbrüchen die schlimmste Infektionswelle seit zwei Jahren ausgelöst hat, viele Gründe und Vorwände, kurzfristig Zugang oder spontan gewünschte Änderungen zu verweigern, wie Kritiker hervorheben. Musste ihr Voraus-Team bei der Einreise noch 17 Tage in Quarantäne, wird bei Bachelet als ranghohe Politikerin gleichwohl eine Ausnahme gemacht.
Bachelet wird Xinjiang besuchen, wo nach Angaben von Menschenrechtlern Hunderttausende muslimische Uiguren und Mitglieder anderer Minderheiten in Umerziehungslager gesteckt worden sind. Die herrschenden Han-Chinesen werfen Uiguren Extremismus, Separatismus oder sogar Terrorismus vor, während sich das Turkvolk politisch, wirtschaftlich und religiös unterdrückt fühlt. Nach der Machtübernahme in Peking 1949 hatten die Kommunisten das ehemalige Ostturkestan der Volksrepublik einverleibt.
Die Reise wird auch von Auseinandersetzungen überschattet, an denen Bachelet nicht ganz unschuldig ist. Vor Monaten sollte ihr Büro einen mit Spannung erwarteten Bericht über Xinjiang vorlegen. Bereits 2018 sprach sie bei ihrer ersten Rede vor dem UN-Menschenrechtsrat von „zutiefst beunruhigenden Vorwürfen über willkürliche Inhaftierungen von Uiguren und anderen muslimischen Gemeinschaften (…) in sogenannten Umerziehungslagern in ganz Xinjiang“. So trug das Büro Informationen von Kennern und Betroffenen aus aller Welt zusammen.
Das Material ist reichhaltig: Die von den Vereinten Nationen selbst bestellten unabhängigen Menschenrechtsberichterstatter haben mehrfach Sorge über die Misshandlung von Uiguren geäußert. Im Frühjahr 2021 berichteten sie, ihnen seien Fälle von Zwangsarbeit in Fabriken zugetragen worden. Wie immer kam auch da postwendend die Replik der chinesischen Seite: Die ethnischen Minderheiten stünden in China zusammen „wie die Kerne eines Grantapfels“, sagte Botschaftssprecher Liu Yunyin in Genf, und fügte hinzu: „China ist beim Schutz der Minderheitenrechte weltweit ein Musterschüler.“
Bachelets Bericht war im vergangenen Jahr schon fertig. Doch wurde die Veröffentlichung immer wieder hinausgeschoben. Beobachter vermuteten dahinter Druck aus China, das eine Bekanntgabe vor den Olympischen Winterspielen in Peking oder vor ihrer Visite verhindern wollte, wie es hieß. Das Vorgehen Bachelets wurde als Rücksicht auf Peking empfunden, was ihr viel Kritik einbrachte. Mit der China-Reise steht jetzt aus Sicht von Aktivisten nicht nur ihre eigene Glaubwürdigkeit auf dem Spiel, sondern auch die des Menschenrechtssystems der Vereinten Nationen, in denen China als Veto-Macht im Sicherheitsrat seinen Einfluss geltend macht. (dpa/iQ)