Flucht

Politiker kritisieren Ungleichbehandlung von Flüchtlingen

Der Krieg in der Ukraine hat Flüchtlinge aus anderen Ländern weitgehend in Vergessenheit geraten lassen. Hilfsorganisationen und Vertreter von Parteien fordern Gleichbehandlung in Zeiten der Not.

07
06
2022
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Studie zur Stimmung gegenüber Flüchtlinge in Deutschland, Geflüchtete
Flüchtlinge, Geflüchtete © Andreas Schalk auf flickr, bearbeitet by IslamiQ

Sie teilen ein Schicksal, finden aber beim Umgang damit ganz unterschiedliche Voraussetzungen vor: Flüchtlinge. Ein Ranking bei Geflüchteten gab es auch früher schon. Doch seit dem Krieg Russlands gegen die Ukraine tritt das Problem noch einmal klarer hervor. Spätestens die Bilder afrikanischer Studenten in der Ukraine, die sich bei ihrer Flucht an der Grenze zu Polen in lange Warteschlangen einreihen mussten, machen das klar. Flüchtling ist nicht gleich Flüchtling. Die Massenzustrom-Richtlinie der EU gibt die rechtliche Basis dafür.

Die Fakten: Flüchtlinge aus der Ukraine haben automatisch einen Aufenthaltsstatus, ohne ein Asylverfahren beantragen zu müssen. Den Hintergrund ihrer Flucht müssen sie nicht offenlegen, er ist momentan allgemein ersichtlich. Die Wahl ihres Wohnortes steht ihnen frei, eine Arbeit können sie ohne viel Bürokratie aufnehmen. „Es gibt wohl kaum eine Person aus dem Kreis Geflüchteter aus anderen Ländern, die sich nicht schlechter behandelt fühlt“, sagt Dave Schmidtke, Sprecher des Sächsischen Flüchtlingsrates.

Der Flüchtlingsrat ist froh, wie engagiert Geflüchtete aus der Ukraine hierzulande aufgenommen werden. Doch den Mitarbeitern drängen sich Vergleiche auf. „Welchem Syrier wurde 2015 ein privater Wohnplatz angeboten? Viele Leute aus Afghanistan haben mir gesagt: Das Bild, welches sie von Europa erhoffen, ist genau das, was sie jetzt im Umgang mit den Menschen aus der Ukraine sehen: Solidarität, humanitäre Standards und das Bemühen der Behörden, Menschen in Not schnell eine Perspektive zu schaffen“, berichtet Schmidtke.

Tatsächlich scheint die Lage von Menschen, die aus anderen Kriegs- und Krisenregionen der Welt in Deutschland Schutz suchen, in Vergessenheit zu geraten. Doch die Statistik beweist, dass es sie noch immer gibt. Nach Angaben der Landesdirektion Sachsen kamen in den ersten vier Monaten dieses Jahres 3150 Asylsuchende aus anderen Ländern in den Freistaat, die meisten aus Venezuela (497), Syrien (356) und Georgien (218). Im selben Zeitraum suchten 10 588 Vertriebene aus der Ukraine Zuflucht in Sachsen. Bis Mitte Mai waren es knapp 11 300.

„Es darf keine Geflüchteten erster und zweiter Klasse geben“

Dem Flüchtlingsrat ist die akute Lage von Menschen aus der Ukraine klar. Dennoch verweist er auf die Rechte der anderen. Wer aus einem anderen Land Schutz in Deutschland suche, warte oft bis zu einem Jahr auf eine Antwort zum Asylantrag und müsse in Gemeinschaftsunterkünften leben, berichtet Schmidtke: „Sie haben auch kaum eine Chance auf eine bessere Unterkunft. Manchmal müssen sie die besseren Einrichtungen sogar räumen, um ukrainischen Flüchtlingen den Vorzug zu lassen, und in heruntergekommene Objekte umziehen.“

Auch in Parteien gibt es Kritik. „Es darf keine Geflüchteten erster und zweiter Klasse geben“, sagt SPD-Innenpolitiker Albrecht Pallas. Der Umgang mit Menschen aus der Ukraine sei ein neuer Standard, der für alle Geflüchteten gelten müsse. Juliane Nagel (Linke) und Petra Čagalj Sejdi (Grüne) weisen darauf hin, dass selbst nicht alle Ukraine-Flüchtlinge die gleichen Rechte haben. Es gebe immer noch keine Sicherheit für Menschen aus Drittstaaten, die in der Ukraine studiert oder gearbeitet haben. Sie brauchten gleichfalls einen Schutzstatus, sonst drohen ihnen die Abschiebung, sagt Nagel.

Die Ungleichbehandlung von Schutzsuchenden ist für den Flüchtlingsrat Anlass, auf grundlegende Probleme hinzuweisen. „Wir erwarten, dass die Behörden die Möglichkeiten für ein Bleiberecht nutzen und Sachsens neuer Innenminister Armin Schuster sie darauf hinweist“, sagt Jörg Eichler, der als Mitglied des Flüchtlingsrates zugleich in der sächsischen Härtefallkommission sitzt. Er verweist etwa auf die Möglichkeit für Geflüchtete, eine Duldung wegen einer Ausbildung oder Beschäftigung zu erwirken, wenn ihr Asylantrag abgelehnt wird.

„Darf beim Abschieben nicht zur Familientrennung kommen“

Gerade im Landkreis Bautzen gebe es Fälle, in denen Menschen kein Bleiberecht erhielten, obwohl ihnen das zugestanden hätte, betont Eichler. „Wir erwarten, dass sich die restriktive Abschiebepolitik unter dem neuen Innenminister ändert. So darf es beim Abschieben nicht mehr zur Familientrennung kommen.“ Aufenthaltsregeln würden in Sachsen besonders hart gehandhabt. Es gebe jedoch Ausnahmen wie die Stadt Leipzig und den Vogtlandkreis. „Andernorts wird mitunter förmlich nach einem Grund gesucht, den Aufenthalt zu beenden.“

Den Vorwurf, Sachsen sei bei Abschiebungen besonders restriktiv, kann Innenminister Armin Schuster (CDU) nicht nachvollziehen. „Das würde bedeuten, dass wir die Gesetze anders auslegen als andere Bundesländer. Für mich gilt Humanität und Ordnung gleichermaßen.“ Deutschland habe im Umgang mit abgelehnten Asylbewerbern vermutlich die humanitärste Haltung in der Welt. Tausende Menschen seien ausreisepflichtig, werden aber geduldet, vielfach gerade auch aus humanitären Gründen. Auch in Härtefällen sei man kulant.

Laut Innenministerium gab es Ende März 15 172 Ausländer, die zur Ausreise verpflichtet waren. Für die Abschiebung nennt Schuster Prioritäten: „Unser Grundsatz in Sachsen ist und bleibt, dass vollziehbar ausreisepflichtige Ausländer das Land verlassen müssen.“ Schwerpunkt sei dabei Abschiebung von Straftätern und Extremisten. Gleiches gelte für Menschen, die ihre Identität verschleiert haben. Die Landesdirektion setze das zusammen mit den kommunalen Ausländerbehörden um, brauche aber mehr Personal.

Islamische Gemeinschaft fordert Gleichbehandlung von Geflüchteten

„Die Ungleichbehandlung von Geflüchteten sorgt für zunehmenden Unmut bei negativ Betroffenen sowie Engagierten in der Geflüchtetenhilfe. Integrationserleichterungen, die für Menschen aus der Ukraine gelten, müssen allen Schutzsuchenden offenstehen“, mahnt Bekir Altaş, Generalsekretär der Islamischen Gemeinschaft Millî Görüş (IGMG). Anlass sei zunehmende Beschwerden und steigender Unmut von Menschen, die in der Geflüchtetenhilfe aktiv seien.

„Engagierte in der Geflüchtetenhilfe begrüßen die Erleichterungen und Integrationshilfen für Ukrainerinnen und Ukrainer. Allerdings wünschen sie sich gleiche Bedingungen auch für Schutzsuchende aus anderen Ländern. Die Bevorteilung von Geflüchteten aus der Ukraine bei gleichzeitiger Benachteiligung von Geflüchteten aus anderen Ländern löst immer mehr Unverständnis aus. Das wiederum wirkt sich negativ auf die Moral und Bereitschaft der Menschen aus, die unschätzbar wichtige Arbeit in der Geflüchtetenhilfe leisten“, so Altaş. (dpa/iQ)