Der Rechtsextremist von Hanau antwortete nicht auf Fragen zur Aufbewahrung seiner Waffen und verstieß offensichtlich gegen die Meldepflicht in München. Doch das Kreisordnungsamt, das Kritik zurückweist, zog keine Konsequenzen. Es folgt der Anschlag in Hanau.
Am 6. September 2018 wird eine Sachbearbeiterin der Waffenbehörde des Main-Kinzig-Kreises deutlich und stellt dem Rechtsextremisten, dem späteren rassistischen Attentäter von Hanau, der bereits anderweitig aufgefallen war, eine Art Ultimatum: Sie erinnert ihn an den – laut Akte bereits seit Mitte 2017 – geforderten Nachweis zur ordnungsgemäßen Aufbewahrung seiner Waffen. Ein wesentlicher Aspekt im Hinblick auf die notwendige Zuverlässigkeit von Besitzern.
Die Beamtin verlangt, bis zum 31.10.2018 geeignete Unterlagen vorzulegen. Der Rechtsextremist wohnte damals bereits seit 2014 in München, meldete sich dort aber nicht an, weshalb – rein formal betrachtet – das Amt mit Sitz in Linsengericht seine Waffenakte zu bearbeiten hatte.
Hat der Rechtsextremist die Forderung jemals erfüllt? In der Akte findet sich demnach kein Eintrag. Zumindest lag offenbar etwa 15 Monate lang keine Antwort auf die wichtige Frage nach der Aufbewahrung vor. Seine Waffen durfte er dennoch behalten und erhielt, nach etwa einem dreiviertel Jahr „Funkstille“, sogar einen Europäischen Feuerwaffenpass, den er am 1. August 2019 beantragte und bereits am 21. August 2019 in der Behörde abholen durfte. Damit konnte er in die Slowakei fahren und ein Schieß- und Gefechtstraining absolvieren.
Das geht aus Unterlagen der Abteilung für Waffenwesen des Kreisordnungsamts hervor, in denen die Frankfurter Rundschau recherchiert hat. Es sei nicht der einzige Aspekt in der Kommunikation zwischen der Behörde und dem Attentäter, der Fragen aufwerfe und auf Nachlässigkeiten oder Überforderung in dem Amt hindeute.
Sicher sei: Dem Amt musste klar sein, dass der Attentäter seinen Lebensmittelpunkt längere Zeit nicht in Hanau, sondern in München hatte, wo er nicht mal einen Zweitwohnsitz anmeldete. Deshalb wäre die dortige Waffenbehörde zu informieren gewesen, die die Aufsicht hätte übernehmen müssen. Zudem hätte der offensichtliche Verstoß gegen die Meldepflicht in München – in der Regel muss dies zwei Wochen nach Einzug erfolgen – gemeldet werden und Zweifel an der Zuverlässigkeit des Schützen auslösen sollen, was zu einer genaueren Prüfung hätte führen können. Doch das Verhalten von dem Rechtsextremisten blieb demnach folgenlos.
Fragwürdig sei auch der Umgang mit einem Ermittlungsverfahren wegen Sozialleistungsbetrug, das gegen den Attentäter geführt worden sei. Nachdem er im April 2013 erstmals eine Waffenbesitzkarte beantragt habe, holt die Behörde demnach Informationen beim Bundeszentralregister, dem staatsanwaltschaftlichen Verfahrensregister und dem Landeskriminalamt ein. Dabei soll sie von dem Verfahren erfahren haben.
Die Zahl der im Kreis verbreiteten Waffen lag Ende 2019 bei 37 222. 5929 Menschen hatten eine Waffenbesitzkarte, es gab 359 Neuanträge und 72 Anträge für einen Europäischen Waffenpass. Zum damaligen Zeitpunkt war demnach die Behörde mit sechs Vollzeitstellen ausgestattet, zehn Jahre zuvor waren es dreieinhalb.
Auf Kritik an den Kapazitäten entgegnete der Kreis 2019, die gesetzlichen Vorgaben und Pflichtaufgaben würden erfüllt. Er räumte ein: Für zusätzliche Belastungen und eine Reduzierung weiterer Kontrollkapazitäten sorgten neue Aufgaben wie das „Nationale Waffenregister“ oder die hohen Fallzahlen beim kleinen Waffenschein.
Mehrere Mitglieder des Untersuchungsausschusses betrachten die Waffenerlaubnis als wichtigen Punkt und fordern Aufklärung, etwa SPD-Obfrau Heike Hofmann, die „viele offene Fragen“ sieht, und CDU-Obmann Jörg Michael Müller: „Die Akten werfen Fragen nach der Gründlichkeit der Bearbeitung, der Zuständigkeit der Behörde und fehlenden Nachweisen auf.“
Linken-Obfrau Saadet Sönmez sagt, es verdichte sich immer mehr das Bild, dass die Praxis der Waffenbehörde Main-Kinzig jahrelang desaströs gewesen sei und das Amt das Prädikat „unzuverlässig“ verdiene – was im sensiblen Bereich des Waffenbesitzes besonders gravierend sei. Sie habe im Hinblick auf die offenbar ungewisse Aufbewahrung der Waffen und die ausgebliebene Information der Münchner Kolleg:innen klar pflichtwidrig gehandelt. Neben dem Kreis stünden als Aufsichtsbehörden hier auch das Regierungspräsidium und das Innenministerium in der Verantwortung.