Seit mehr als zehn Jahren weiß Deutschland um die Mode des NSU-Trios. Die Gefühle der Angehörigen der Opfer gerieten bei der Aufarbeitung indes aus dem Blick. Eine Arte-Reportage rückt sie nun ins Zentrum.
„Dönermorde“ schrieben der „Spiegel“ und viele serıöse Medien, wenn es um die Hintergründe einer rätselhaften Mordserie an Ladenbesitzern türkischer und griechischer Abstammung vor rund 20 Jahren ging. Die Behörden ermittelten lange in Richtung organisierter Clan-Kriminalität und vermuteten einen Machtkampf der Mafia hinter den Taten. Für die Familien war diese Annahme eine enorme Belastung.
Daran erinnern sich vor allem die Kinder der Opfer, die in ihrem Umfeld als Kinder von Mördern und Kriminellen gemobbt wurden. Als Beate Zschäpe nach dem Suizid ihrer beiden Komplizen gefasst wurde, war dies für die Familien eine Befreiung. Die Wunden und Narben sind indes bis heute geblieben. Das zeigt die Reportage „Spuren und Wunden der NSU-Morde“ von Aysum Bademsoy. Sie hat Hinterbliebene, Thüringer Politikerinnen aus dem Untersuchungsausschuss und die Journalistin Annette Rammelsberger von der „Süddeutschen Zeitung“ vor die Kamera geholt. Arte strahlt den Film am 20. Juli um 22.35 Uhr aus.
Die Regisseurin drehte seit 1989 mehrere Dokumentarfilme und Reportage zum Leben der türkischen Community in Deutschland. Für diesen Film wählt sie eine sehr persönliche Perspektive, die den Eindruck erweckt, eine Betroffene rekapituliere die Ereignisse. Das Konzept geht aber nur um Teil auf. Bademsoy kommentiert mit einer unpassenden, kindlich hohen Stimme aus dem Off, was es dem Zuschauer erschwert, in den Film einzusteigen. Der zweite Teil der Reportage kommt ohne Off-Kommentar aus, auch wenn dies einen Stilbruch bedeutet.
Bademsoy konzentriert sich auf die Erinnerungen der Familie Şimşek, die heute wieder in der Türkei lebt. Das Haus, das das Paar von seinem Lohn in Deutschland in der Heimat bauen wollte, wurde nach dem Mord nie richtig fertig – und damit zum Symbol zum Bruch in ihrem Leben. Mutter und Tochter erinnern sich an die Tage und Jahre nach der Ermordung von Enver Simsek. Rammelsberger und die Linken-Politikerin Katharina König-Preuß ordnen die zum Teil illegalen Ermittlungsmethoden der Polizei ein.
Eine besondere Rolle spielt in Bademsoys Reportage das Versagen des deutschen Verfassungsschutzes, der auf dem rechten Auge, wie man so sagt, blind war – und dessen Landesbehörden konkurrierten statt zu kooperieren. Sonst, so die Kritik, wäre die Mordserie vielleicht schon früher aufgeklärt und gestoppt worden. Ein weiteres Augenmerk legt der Film auf den Mord an Halit Yozgat, dem Besitzer eines Internet-Cafes in Kassel. Bei ihm war zum Todeszeitpunkt ein Mitarbeiter des Verfassungsschutzes anwesend, der behauptet, nichts von dem Verbrechen bemerkt zu haben. Der Film widerlegt diese These.