Psychopharmaka werden zur Behandlung von psychischen Erkrankungen eingesetzt. Doch wie wirken sie? Und wann sind Psychopharmaka sinnvoll? Eine Kolumne von Dr. Ibrahim Rüschoff.
Psychopharmaka spielen in der Behandlung psychiatrischer Erkrankungen eine wichtige Rolle und sind aus der Therapie nicht mehr wegzudenken. Schlimme Leidenszustände können mit Psychopharmaka gelindert oder ganz beseitigt werden. Wer die beklemmenden Ängste psychotischer Patienten mit starken Verfolgungs- und anderen Wahnideen kennt oder schwerste depressive Zustände mit hoher Selbstmordgefährdung und innerer und äußerer Erstarrung gesehen hat, dankt Gott von ganzem Herzen für diese Möglichkeit.
Die Psychiatrie ist ein medizinisches Fach wie andere Fächer auch, zum Beispiel die Innere Medizin, Augenheilkunde oder Chirurgie. Ein Psychiater ist also ein Arzt, genauer ein Facharzt für psychiatrische Erkrankungen. Heute erhält er normalerweise zusätzlich eine psychotherapeutische Ausbildung. Die Psychologie hingegen ist ein völlig eigenständiges Fach, das sich in erster Linie mit der Erforschung normaler Seelenzustände beschäftigt. Hinzukommen einzelne Bereiche wie Schulpsychologie, Verkehrspsychologie, Marktpsychologie und Werbepsychologie, die nichts mit Krankheiten zu tun haben. Der Bereich der Klinischen Psychologie hingegen beschäftigt sich im Rahmen mit der Psychotherapie mit krankhaften Zuständen (Psychologischer Psychotherapeut).
In ihrer Praxis versorgen niedergelassene Psychiater zumeist mehrere hundert Patienten und arbeiten daher aus Zeitgründen in erster Linie mit Medikamenten. Ärztliche und Psychologische Psychotherapeuten, die nur mit Gesprächen behandeln, versorgen dabei nur eine geringe Anzahl von Patienten. Bei einem normalen einstündigen Therapiegespräch sind das rund 40 Patienten pro Woche. Psychopharmaka bekommt man also nur von einem Arzt, d. h. seinem Hausarzt oder einem Psychiater.
Es gibt einige psychische Krankheiten, bei denen man Psychopharmaka einsetzen muss. Hierzu gehören schizophrene Erkrankungen mit Wahnvorstellungen, schwere Depressionen, die oft mit einer Selbstmordgefährdung einhergehen, außerdem starke Ängste und Panik sowie ausgeprägte Zwangserkrankungen. Viele Patienten sind erst durch die Medikamente in die Lage, sich überhaupt einer Psychotherapie zu unterziehen. Vorher können sie sich zu nichts aufraffen oder wegen der massiven Ängste oder Zwänge das Haus nicht verlassen. Sind Depressionen, Ängste und Zwänge weniger stark geht es in den meisten Fällen auch ohne Medikamente und direkt mit Psychotherapie.
Psychopharmaka greifen in den Gehirnstoffwechsel ein. Sie schaffen hier Ordnung und versuchen das Gleichgewicht zwischen den sogenannten Botenstoffen wiederherzustellen, die für unser Fühlen und Wahrnehmung wichtig sind. Da es schwierig ist, sie nur auf ganz bestimmte Nervenverbindungen wirken zu lassen, gibt es auch Einflüsse auf die Nachbarregionen in Form bestimmter Nebenwirkungen. Diese sind bei modernen Medikamenten allerdings deutlich geringer als früher und verschwinden nach dem Absetzen wieder.
Die psychologische Wirkung dagegen ist oft ein großes Problem. Die meisten Patienten sind bereits durch ihre Symptome verunsichert und sollen jetzt auch noch Medikamente einnehmen, die möglicherweise auch Nebenwirkungen haben. Hinzu kommt: Medikamente gegen Ängste, Zwänge und Depressionen wirken erst mit einer gewissen Verzögerung von bis zu zwei Wochen. Mögliche Nebenwirkungen treten aber aber gleich auf. Die meisten Patienten haben nach Beginn der Medikamenteneinnahme die Neigung, alles, was ihnen jetzt auffällt und auf das sie vorher gar nicht geachtet haben, auf das Medikament zurückzuführen. Dieses Phänomen ist in der Psychologie wohlbekannt und heißt „Zentralisierung der Wahrnehmung“. Jeder Besitzer eines neuen Autos kennt es, wenn er ab sofort jedes Auto seines Typs und seiner Farbe bemerkt. Jedes Zwacken, Stechen, jede Müdigkeit werden ängstlich auf die Medikamente zurückgeführt. Das Lesen des Beipackzettels mit vielen aufgeführten Nebenwirkungen, die irgendwo und irgendwann in der Welt einmal aufgetreten sind und deswegen hier aufgeführt werden, tut sein Übriges. Daher ist es wichtig, sich vom Arzt alles erklären zu lassen und mit kleinen Dosierungen langsam zu beginnen. So können sich Körper und Geist auf das Medikament einstellen. Auch sollte man Medikamente nicht einfach abrupt und ohne Rücksprache mit dem Arzt absetzen. Besser ist es, in der Praxis anzurufen und zu fragen, was zu tun ist.
Viele Patienten befürchten zu Unrecht, die einmal begonnenen Psychopharmaka ihr Leben lang weiter einnehmen zu müssen. Sie haben die Sorge, sich daran zu gewöhnen, wenn nicht sogar davon abhängig zu werden. Die meisten Medikamente werden jedoch eine Zeit nach dem Verschwinden der Symptome in Absprache mit dem Arzt langsam reduziert und ohne Probleme abgesetzt. Ein echtes Abhängigkeitspotenzial haben nur sogenannte Benzodiazepine, die auch als Beruhigungsmittel („Valium“) bezeichnet werden. Kurzfristig kann man sie durchaus zur Unterstützung und Einleitung einer Medikamentenbehandlung einsetzen. Leider werden sie aber in vielen Ländern wegen ihrer beruhigenden Wirkung häufig und in hohen Dosen verschrieben. Wo keine gute psychosoziale, psychiatrische oder psychotherapeutische Versorgung existiert, kann das zum Problem werden.
Nein, Psychopharmaka verändern die Persönlichkeit der Patienten nicht. Das besorgt schon die Erkrankung mit Ängsten, Zwängen und Depressionen, mit Konzentrationsstörungen, mangelndem Antrieb bis zu falschen Wahrnehmungen wie Stimmenhören oder Verfolgungsideen. Psychopharmaka helfen vielmehr, die alte Persönlichkeit wiederherzustellen, wie sie Angehörige und Bekannte vor der Krankheit kannten. Allah hat, so heißt es in einem Hadith, keine Krankheit ohne ein Heilmittel erschaffen. So können Psychopharmaka, klug und umsichtig eingesetzt, zusammen mit Psychotherapie und anderen Maßnahmen ein Teil dieser Heilmittel sein. Darauf sollte kein Arzt – und natürlich auch kein Patient – verzichten müssen.