Die Vernunft und ihre Feinde

Umstrittene Autoren: Tellkamp stellt Sarrazin-Buch vor

Beiden Autoren sind ebenso erfolgreich wie politisch umstritten. Aber um Literatur geht es beim Auftritt von Sarrazin und Tellkamp nicht am Montag, sondern um Ideologien. Dabei wähnt sich der Romanautor Tellkamp fast schon wieder in einer Meinungsdiktatur ähnlich der DDR.

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08
2022
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Thilo Sarrazin
Thilo Sarrazin © by az1172 auf flickr.com (CC BY-SA 2.0), bearbeitet islamiQ

Der frühere SPD-Politiker und umstrittene Bestseller-Autor Thilo Sarrazin sieht die derzeit „fähigsten Politiker“ in Deutschland vor allem bei den Grünen. In dieser Partei seien sie „weit überdurchschnittlich“ vertreten, sagte Sarrazin (77) am Montag in Berlin bei der Vorstellung seines neuen Buches über Politik und Ideologie. Er fügte aber sofort hinzu: „Deshalb ist es ja so besonders bedauerlich, dass einige grüne Grundideen für die Gesellschaft objektiv rasend gefährlich sind.“ Das gelte für die Pazifismus-Idee, wie im Augenblick klarer denn je sei. Ebenso für die Idee, einen Industriestaat mit Wind- und Sonnenenergie zu versorgen.

Sarrazin und seine „Karriere“

Die Einführung für Sarrazins Buch „Die Vernunft und ihre Feinde. Irrtümer und Illusionen ideologischen Denkens“ übernahm der Dresdner Schriftsteller Uwe Tellkamp. Während Sarrazin ruhig argumentierte, redete sich Tellkamp bei seinem Vortrag in Rage, beschimpfte Regierungen, Parteien, Medien und die Energie- und Corona-Politik – inklusive des Vergleichs mit der Unterdrückung in der DDR.

In seinem Buch schildert Sarrazin seine Karriere, handelt in Anlehnung an den Philosophen Karl Popper Fragen zur Gesellschaft ab und widmet sich strittigen Themen wie „Männer und Frauen“, „Ethnien und Rassen“ oder Politik als „Religionsersatz“. Die aktuelle Regierungspolitik sei vor allem in den Bereichen Energie, Umwelt, Bildung, Sprache und Verteidigung ideologisch geprägt statt auf Wissenschaft und Fakten basierend, sagte Sarrazin und griff vor allem SPD und Grüne an.

So würden im Koalitionsvertrag der Ampelkoalition „die auf breiter Front sinkende Bildungsleistung an den Schulen und das besonders schlechte Abschneiden bestimmter Herkunftsgruppen unter den Migranten“ nicht thematisiert, heißt es im Buch. Der Familienbegriff werde gezielt unscharf benutzt, offenbar wolle man „den biologischen, unverfügbaren Charakter des ursprünglichen Familienbegriffs wegdefinieren“. Gefahren durch „Islamismus und Linksextremismus“ würden ignoriert.

Nazi-Ideologie und Krieg Putins

Ideologisches Denken und entsprechende Gefahren sah Sarrazin aber ebenso bei Corona-Impfgegnern (im Gegensatz zu Tellkamp), der AfD, und erst recht dem russischen Präsidenten Wladimir Putin. „Rechtes Denken wird insbesondere dann gefährlich, wenn das eigene Volk und die eigene Abstammung nicht nur wertgeschätzt, sondern (…) mystifiziert und mit besonderer historischer Bestimmung versehen werden“, sagte er. Das zeige die Nazi-Ideologie ebenso wie der Krieg Putins.

Sarrazin hatte mit früheren Büchern Kritik ausgelöst, unter anderem mit Thesen zu muslimischen Einwanderern, die von manchen Kritiker als rassistisch bezeichnet wurde. Sein Buch „Deutschland schafft sich ab“ von 2010 verkaufte sich millionenfach. 2020 wurde er nach langem Hin und Her aus der SPD ausgeschlossen.

Tellkamp, preisgekrönter Autor des Wenderomans „Der Turm“ und ebenso wie Sarrazin wegen Thesen zur Zuwanderung in der Kritik, las zu Beginn einen längeren Text vor, der vor allem aus Vorwürfen und Angriffen auf die etablierte Politik bestand. Es gebe keine echte Meinungsfreiheit in Deutschland, sagte Tellkamp und verglich Debatten und Maßnahmen gegen die Corona-Pandemie mit Unterdrückung und Denunziation in der DDR.

„Vertrauensnetzwerk“ zwischen Politik und Regierten

Wenig originell verballhornte er Politikernamen zu Verben wie „habecken“, „baerbocken“, „merkeln“, „merzen“, „lauterbachen“. Um Inhalte gehe es nie in der Politik, nur um Macht. Gleichzeitig setzten die Politiker auf „Tugendterror“ und wollten die Welt und das Klima retten, statt sich um die Menschen in Deutschland zu kümmern.

„Wo ist die SPD als Partei des kleinen Mannes“, fragte Tellkamp. Die Partei verrate ihr Klientel. „Sie vertritt die Interessen eines woken, akademischen, Latte-Macciato-süffelnden Prenzlauer-Berg-Prekariats.“ Sarrazin ergänzte, die Corona-Politik sehe er anders als Tellkamp, aber die massiven Proteste zeigten, dass das frühere „Vertrauensnetzwerk“ zwischen Politik und Regierten „stark angegriffen, um nicht zu sagen zerrissen“ ist. (dpa/iQ)