Depressionen können unterschiedliche Ursachen haben. Sie sind eine erstzunehmende Belastung. Auch für Muslime. Wie es ist, daran zu erkranken – und was hilft. Eine Kolumne von Dr. Ibrahim Rüschoff.
Der Begriff „Depression“ wird im allgemeinen Sprachgebrauch sehr uneinheitlich verwendet. Für manche sind Depressionen eine Art Befindlichkeitsstörung und gar keine wirkliche Krankheit. Viele Menschen bezeichnen schon unterdrückte Stimmungen als Depression und manche sehen sie als Ausdruck ungenügender Religiosität, schlechten Gewissens oder mangelnder Selbstdisziplin an. Die unterschiedlichen Verwendungszwecke machen das Reden darüber nicht unbedingt einfacher.
Aus medizinischer Sicht ist der Begriff jedoch eindeutig definiert. In den heutigen Industriegesellschaften sind Depressionen eine der häufigsten psychischen Störungen. 16-20 % der Menschen leiden einmal in ihrem Leben an einer Depression, der Anteil der Frauen ist dabei mit bis zu 26 % doppelt so hoch wie der Männer. Die Zunahme der Depressionen in den letzten Jahren ist sowohl auf die zunehmende Alterung der Bevölkerung als auch auf die größere Akzeptanz der Depression als Krankheit zurückzuführen.
Depressionen werden in verschiedene Grade eingeteilt. Es gibt leichte, mittelschwere und schwere Depressionen. Leichte Depressionen beeinträchtigen den Betroffenen, aber er kann noch seinen Alltag bewältigen. Mittelschwere Depressionen beeinträchtigen den Alltag des Betroffenen erheblich. Bei schweren Depressionen ist der Betroffene so deprimiert, dass er gar nichts mehr machen kann. Zusätzlich hat er eine starke Antriebshemmung, fühlt sich schuldig und wertlos und hat auch Suizidgedanken. Depressionen können auch als einmalige Lebensereignisse auftreten, jedoch sind mehrfache Erkrankungsphasen von einigen Wochen bis mehrere Monate häufiger.
Die Ursachen dieser Erkrankung werden seit Langem erforscht und weisen u. a. auf einen genetischen Risikofaktor hin, da Angehörige ersten Grades von Depressiven deutlich häufiger erkranken. Wie viele psychische Erkrankungen sind aber auch Depressionen multifaktoriell, d. h. die Ursache ist meist eine Kombination aus erblichen, psychologischen und sozialen Faktoren. Bei den psychologischen Faktoren spielen die frühe Kindheit, mit Gewalterfahrungen, unsicherer Bindung, Verlusterleben oder ständige Schuldzuweisungen eine Rolle. Auch soziale Faktoren wie zunehmende Einsamkeit Alleinstehender, belastende Lebensereignisse wie Scheidungen, soziale Benachteiligung und familiäre Ungerechtigkeiten sind zu nennen.
Eine Schwierigkeit Depressionen zu erkennen besteht manchmal darin, dass viele ihrer Symptome auch in gesunden Zeiten vorkommen, wenn auch einzeln und zumeist weniger schwer. Gedrückte Stimmung, Grübeln, schlechte Konzentration, Schlafprobleme, Interessen- und Lustlosigkeit oder Antriebsmangel hat jeder irgendwann einmal erlebt, vor allem auch im Zusammenhang mit persönlichen Problemen. Dennoch war diese Person nicht depressiv erkrankt.
Während insbesondere schwere Depressionen auch vom Umfeld erkannt werden und der Patient in ärztliche Behandlung gebracht wird, ist die Abgrenzung einer Depression von einer Trauerreaktion nach Verlust nicht immer leicht. Vor allem, wenn die depressive Symptomatik mit einem Lebensereignis zusammenfällt wie einem Berufs- oder Stellenwechsel oder ein Umzug. Trauernde fühlen sich oft lebendiger als Depressive, da sie den Verlust bedauerlicherweise Tief empfinden. Depressive hingegen klagen über eine innere Leere und fühlen sich wertlos und ausgelaugt.
Wenn die Symptome einer Depression jedoch zusammen und „einfach so“ auftreten oder unverhältnismäßig zum Problem sind, sollten Betroffene einen Arzt aufsuchen und sich untersuchen lassen. Eine stets fleißige, interessierte und gut gelaunte Frau, die innerhalb von ein paar Wochen lustlos und deprimiert wird, nicht mehr schläft, der ihre Liebsten nicht mehr wichtig sind, weist typische Symptome einer Depression auf.
Leichtere bis mittelschwere Verläufe einer Depression lassen sich oft ausschließlich psychotherapeutisch behandeln, schwere Formen dagegen benötigen jedoch eine medikamentöse Therapie, zumindest in der ersten Zeit. Viele Muslime wollen auf Medikamente verzichten, da sie glauben, dass sie ihnen schaden. Diese sog. Antidepressiva machen jedoch nichts abhängig und müssen auch nicht lebenslang eingenommen werden, wie viele fürchten. Mögliche Nebenwirkungen lassen sich durch vorsichtige Dosierung zu Beginn meistens vermeiden und verschwinden nach Absetzen wieder. Wegen der Bedenken und Ängste der Patienten muss sich der Doktor vielleicht mehr als bei anderen kümmern, was leider zu selten geschieht, sodass die Abbruchrate leider recht hoch ist.
Depressive Patienten scheinen eine schwarze Brille auf der Nase zu haben, egal wo sie hinsehen. Nichts ist mehr so wie früher, alles ist schwerer, gleichgültiger, und es gibt praktisch nichts, worüber sie sich freuen und womit man sie aufheitern könnte. Sie hören oft Ratschläge wie „Lies doch im Koran!“, „Versuche mehr zu beten!“, oder auch „Reiße Dich zusammen!“ „Bemühe Dich doch mehr!“, und „Freue Dich doch mal!“, dabei haben sie es schon so oft versucht, aber nichts hilft, auch nicht das Gegenteil davon.
Die Hilflosigkeit der Angehörigen in solchen Situationen führt häufig zu Aggressionen gegenüber den Kranken. Es erfordert eine Menge Geduld, trotz aller Frustration dabei zu bleiben und immer wieder zu betonen, dass die Depression vorübergehen wird und man den Patienten bis dahin unterstützen. Aus den Befragungen der Patienten nach ihrer Besserung ergab sich, dass ihnen geduldige Haltung ihrer Angehörigen während der Krankheit am meisten geholfen hat.