NIEDERSACHSEN

Koalitionsvertrag steht – Regierung will Dialog mit Muslimen fortsetzen

SPD und Grüne in Niedersachsen haben sich auf einen Koalitionsvertrag geeinigt. Welche Ziele setzt sich die neue Landesregierung für Muslime? Die wichtigsten Punkte im Überblick.

08
11
2022

Nach gut einem Monat nach den Landtagswahlen steht der rot-grüne Koalitionsvertrag für Niedersachsen. SPD und Grüne sehen ein in dem Vertrag viel Arbeit für fünf Jahre Regierungsarbeit. „Es gibt viel zu tun. Es sind entscheidende Jahre, die vor uns liegen“, erklärte der neue Ministerpräsident Stephan Weil (SPD). Weil wird damit seine dritte Amtszeit antreten.

Die neue Vize-Ministerpräsidentin Julia Willie Hamburg (Grüne) sieht es genauso. „Nachdem wir in den letzten Monaten vor der Wahl für einen echten Aufbruch in Niedersachsen gekämpft haben, wird dieser Aufbruch nun endlich Realität“, erklärte sie. In der neuen Regierung wird Hamburg auch den Posten der Kultusministerin bekleiden.

Rechtliche Anerkennung der Muslime

Mit Blick auf das muslimische Leben stehen Themen wie der islamische Religionsunterricht, die Imamausbildung und die Anerkennung islamischer Religionsgemeinschaften im Vordergrund. „Den Dialog mit den muslimischen Religionsgemeinschaften über eine rechtliche Anerkennung wollen wir fortsetzen“, heißt es im Koalitionsvertrag. Denn die neue Landesregierung möchte in absehbarer Zeit Themen, wie die Ausbildung von Imamen und muslimischen Religionslehrerinnen und Religionslehrer an öffentlichen Universitäten – angehen und dann auch umzusetzen.

Die neue Regierung möchte, dass Niedersachsen „ein gutes Zuhause für alle Menschen ist“ und alle Menschen die gleichen Chancen haben. Unabhängig von ihrer Religion. Im vergangenen Jahr wurde jede Woche ein Angriff auf Muslime oder ihre Einrichtungen verübt. Insgesamt wurden 58 islamfeindliche Straftaten erfasst. In den ersten Monaten dieses Jahres lag die Zahl bei zehn. Die steigende Islamfeindlichkeit und die Angriffe auf Muslime und Moscheen finden jedoch im Koalitionsvertrag kaum Beachtung.

Attraktive Justiz – ohne Kopftuch

Das vorhandene Kopftuchverbot für die Justiz wird im Koalitionsvertrag nicht erwähnt. Beschäftigte der Justiz in Niedersachsen dürfen seit 2019 in Gerichten und bei Ausübung hoheitsrechtlicher Tätigkeiten keine religiös geprägten Symbole oder Kleidungsstücke – etwa Kreuz, Kopftuch, Kippa – tragenDie neue Regierung möchte jedoch mehr Vielfalt in der Justiz. „Mit gezielten Personalgewinnungs- und Entwicklungsmaßnahmen wollen wir die Justiz in allen Bereichen für breitere Bevölkerungsgruppen attraktiv machen“, heißt es im Koalitionsvertrag. Inwieweit dies für Musliminnen gelte, bleibt weiterhin offen. Vor den Wahlen erklärte die SPD gegenüber IslamiQ, dass beim Thema Kopftuchverbot der Anschein vermieden werden soll, dass „die Art und Weise einer Entscheidung könne durch die eine religiöse Orientierung beeinflusst worden sein“.

Niedersachsen sei ein weltoffenes und vielfältiges Land, heißt es im Koalitionsvertrag. Doch diese Vielfalt wird in der neuen Regierung vermisst. In der rot-grünen Regierung in Niedersachsen werden die SPD sechs Ministerposten besetzen, die Grünen vier.  Die Auswahl der Minister widerspiegelt jedoch nicht das Ziel eines „vielfältigen Landes“.

Schura: Bisherige Zusammenarbeit weiterführen

Die Schura Niedersachsen begrüßt die neue Zusammensetzung der Regierung. „Wir freuen uns über die erneute Zusammenarbeit mit der rot-grünen Regierung in unserem Land Niedersachsen“, erklärt Recep Bilgen, Vorsitzender der Schura-Niedersachsen. Die Schura hofft und erwartet, dass man an der bisherigen Kooperation anknüpft und diese weiterentwickelt. Es geht dabei insbesondere um die rechtliche Anerkennung der Muslime, den islamischen Religionsunterricht und die Etablierung von Wohlfahrtsstrukturen. Bilgen zeigt sich optimistisch und betont: „Wir sind bereit!“.

Leserkommentare

Marco Polo sagt:
Die neue Regierung sollte bei allen Aktivitäten unbedingt darauf achten, ob bei den Islamvertretern auch wenig liberal agierende Kreise oder Gruppierungen den Ton angeben wollen. Vor allem konservativen muslimischen Verbänden ist mit Achtsamkeit und Vorsicht zu begegnen. Zumal diese keine sinnvolle Reform des Islam anvisieren möchten. Der organisierte Islam ist zumeist viel zu orthodox und zu sehr an bestimmte Herkunftsländer gebunden. Die Verbände sind eher politische als theologische Organisationen. Und dort findet man in Wahrheit nur Ansätze einer aufgeklärten und wirklich humanistisch orientierten Theologie, wenn man hinter die Kulissen blickt. Auch dürfen selbstverständlich Verbände nicht die Autoritäten sein, die selbstherrlich über die Zukunft von Hochschullehrern entscheiden. Die islamische Religion kritisch hinterfragen zu können, muß überall Standard sein oder noch werden. Folgende Thesen dürfen kein Problem darstellen: "Jede Muslimin und jeder Muslim hat die Freiheit, den Koran so zu interpretieren, wie sie oder er es will." - "Niemand hat das Recht, andere Menschen zu Ungläubigen zu erklären." Die neue Regierung darf also nicht den Fehler begehen, rückwärtsgewandten Islamanhängern auf den Leim zu gehen, die nur vorgeben oder vortäuschen, sie würden für alle Muslime sprechen.
08.11.22
16:07
Manfred Akermann sagt:
Wie möchte man als Muslime etwas einfordern, wenn man politisch nicht wahrgenommen wird. Die Hoffnung das jetzt positive Veränderungen umgesetzt werden könnten, sollte den Muslimen nicht suggeriert werden. Schönen Abend
08.11.22
16:44