Eine Studie zeigt: antimuslimische sowie antisemitische Einstellungen sind in Deutschland kein Randphänomen, sondern weit verbreitet. IslamiQ befragt die Autoren nach den Hintergründen.
IslamiQ: Welche Entwicklungen und Forschungslücken haben Sie erkannt, um eine Studie über antimuslimische und antisemitische Einstellung durchzuführen?
Dr. Nora Storz und Dr. Nils Friedrichs: Zwar gibt es inzwischen zahlreiche Studien zu antimuslimischen und antisemitischen Einstellungen in der deutschen Gesamtbevölkerung, diese untersuchen in der Regel allerdings nicht explizit die Bevölkerung mit Migrationshintergrund. In einem Einwanderungsland wie Deutschland ist ein friedvolles Zusammenleben aber wichtig. Negativen Einstellungen gegenüber bestimmten Gruppen in der Bevölkerung sollte deshalb entgegengewirkt werden. Angesichts dessen hat der wissenschaftliche Stab des SVR antimuslimische und antisemitische Einstellungen untersucht. Um diese besser verstehen zu können, haben wir zudem herausgearbeitet, welche Merkmale mit diesen Einstellungen zusammenhängen, und zwar sowohl bei Befragten mit wie ohne Migrationshintergrund.
IslamiQ: Sie prognostizieren, dass sowohl antisemitische Einstellungen als auch antimuslimische Einstellungen bei Befragten mit Migrationshintergrund häufiger auftreten als bei jenen ohne. Was folgern Sie daraus?
Storz und Friedrichs: In der Tat zeigen unsere Daten, dass Befragte mit Migrationshintergrund in der Regel etwas häufiger antimuslimische sowie antisemitische Einstellungen aufweisen als Befragte ohne Migrationshintergrund. Die Untersuchung weist auf einige mögliche Zusammenhänge hin: Gesellschaftliche Narrative, mit denen Menschen aufgewachsen sind, scheinen eine Rolle zu spielen. So sind Befragte, die in Deutschland zur Schule gegangen sind, weniger antisemitisch und antimuslimisch eingestellt. Daraus folgt unsere Empfehlung, auch außerhalb der Schule verstärkt über den Holocaust aufzuklären, etwa im Rahmen von Orientierungskursen. Auch könnte der interkulturelle und interreligiöse Austausch mithilfe niedrigschwelliger Angebote auf kommunaler Ebene stärker gefördert werden. Wir haben zudem festgestellt, dass Diskriminierungswahrnehmungen öfter mit antimuslimischen und antisemitischen Einstellungen zusammenhängen. Für die Gestaltung von Präventionsmaßnahmen ist das eine ganz wesentliche Erkenntnis – so müssen etwa strukturell bedingte Benachteiligungen beseitigt werden.
IslamiQ: Ressentiments gegen Muslime und den Islam sind nach wie vor weitverbreitet. Dabei werden Muslime insgesamt positiver gesehen als der Islam als Religion. Auf welche Faktoren und Ursachen ist diese Erkenntnis zurückzuführen?
Storz und Friedrichs: Wir haben antimuslimische und antiislamische Einstellungen jeweils getrennt voneinander untersucht. In vorherigen Studien hat sich gezeigt, dass diese Einstellungen zwar miteinander korrelieren, jedoch zwei unterschiedliche Phänomene darstellen. Unsere Daten bestätigen dies. Warum Ressentiments gegenüber dem Islam verbreiteter sind als gegenüber Musliminnen und Muslimen, können wir anhand der Umfrageergebnisse allerdings nicht mit Gewissheit sagen. Wir vermuten, dass der Islam als Religionsgemeinschaft etwas negativer gesehen wird, da er im öffentlichen Diskurs zuweilen mehr als politische Ideologie denn als Religion verstanden wird. Zudem ist möglich, dass der Islam als abstrakte Idee abgelehnt wird. Eine konkrete Personengruppe abzulehnen – wie zum Beispiel muslimische Nachbarn oder Mitschülerinnen und Mitschüler – dürften dagegen schwerer fallen. Das könnte eine Erklärung sein – um sie wissenschaftlich zu belegen, fehlen uns aber die nötigen Daten.
Dr. Nora Storz ist wissenschaftliche Mitarbeiterin beim Sachverständigenrat für Integration und Migration (SVR). Sie hat Soziologie an der Universität Leipzig studiert sowie Migration, interethnische Beziehungen und Multikulturalismus an der Universität Utrecht.
Dr. Nils Friedrich ist wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Sachverständigenrat für Integration und Migration (SVR). Er studierte Soziologie, Psychologie und Volkswirtschaftslehre. Er promovierte am Exzellenzcluster „Religion und Politik“ der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster zum Einfluss von Religiosität auf die Wahrnehmung von religiöser Vielfalt in Deutschland.
IslamiQ: Welche Unterschiede lassen sich bei antimuslimischen und antisemitischen Einstellungen zwischen Generationen und Geschlechtern erkennen?
Storz und Friedrichs: Nichtmuslimische Menschen mit Migrationshintergrund, die selbst zugewandert sind, weisen in der Regel häufiger antimuslimische und antiislamische Einstellungen auf als Angehörige der Nachfolgegeneration. Bei antisemitischen Einstellungen ist diese Tendenz ebenfalls zu beobachten, allerdings weniger durchgängig. Wir haben in der Studie zwischen drei verschiedenen Formen des Antisemitismus unterschieden: klassischem, sekundärem und israelbezogenem Antisemitismus. Klassischer Antisemitismus bezieht sich dabei auf Jüdinnen und Juden als soziale Gruppe und die manifesten Vorurteile dieser Gruppe gegenüber. Der sekundäre Antisemitismus dient häufig als Schuldabwehr der Deutschen am Holocaust. Beim israelbezogenen Antisemitismus werden Jüdinnen und Juden kollektiv für die Politik Israels verantwortlich gemacht und dies wird als Grund genannt, sie abzulehnen. Befragte der zweiten Zuwanderungsgeneration weisen weniger klassisch antisemitische Einstellungen auf als Befragte der ersten Generation, dies ist allerdings nicht für den sekundären und israelbezogenen Antisemitismus zu beobachten.
Auch konnten wir Geschlechterunterschiede finden. So weisen Frauen in der Regel leicht kritischere Einstellungen gegenüber Musliminnen und Muslimen und dem Islam auf, als Männer dies tun. Das gilt vor allem für die befragten Frauen ohne Migrationshintergrund. Auch mit Blick auf antisemitische Einstellungen gibt es bei Befragten ohne Migrationshintergrund häufiger eine unterschiedliche Wahrnehmung zwischen den Geschlechtern als bei den Befragten mit Migrationshintergrund. Hier ist zu beobachten, dass Männer prinzipiell eine negativere Einstellung haben als Frauen. Bei Männern und Frauen mit Migrationshintergrund sind nur bezüglich des klassischen Antisemitismus Unterschiede erkennbar. Männer ohne Migrationshintergrund weisen für alle drei Ausprägungen des Antisemitismus eine negativere Einstellung aus als Frauen.
IslamiQ: Oft wird diskutiert, ob man Antisemitismus mit antimuslimischem Rassismus vergleichen kann. Sie haben beide Phänomene in dieser Studie untersucht. Welche Differenzen fallen auf oder kann man von bestimmten Analogien ausgehen?
Storz und Friedrichs: Wir haben antimuslimische und antisemitische Einstellungen in einer gemeinsamen Studie untersucht, weil es sich hier um die Ablehnung oder Abwertung von Personen aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer religiösen Gruppe handelt – unabhängig davon, ob diese Zugehörigkeit zugeschrieben ist oder real. Zudem hängen muslimisches und jüdisches Leben in Deutschland mit Zuwanderung zusammen. Dass wir beide Phänomene gemeinsam in einer Studie untersucht haben, bedeutet aber trotz dieser Analogien keine Gleichstellung. Die Studienergebnisse sprechen eher dafür, sie als zwei unterschiedliche Erscheinungen zu behandeln. Auch der öffentliche Diskurs weist auf wichtige Unterschiede hin. So wird der Islam beispielsweise häufig mit Fundamentalismus und Terrorismus in Verbindung gebracht. Dies ist im Zusammenhang mit dem Judentum nicht der Fall. Die Religion bzw. die ihr zugeschriebenen Eigenschaften spielen bei antimuslimischen Einstellungen also eine größere Rolle als bei antisemitischen Einstellungen.
IslamiQ: Sie bestätigen mit Ihrer Studie die Annahme, dass Kontakte und Begegnungen zum Abbau von Vorurteilen und Ressentiments beitragen können. Welche weiteren Empfehlungen haben Sie für zivilgesellschaftliche Organisationen, für Religionsgemeinschaften und für die Politik?
Storz und Friedrichs: Wir haben verschiedene Empfehlungen von den Ergebnissen unserer Studie abgeleitet. So sollten vor allem interreligiöse und interkulturelle Kontakte gefördert werden – etwa im Rahmen von Projekten, die gemeinsam mit muslimischen Organisationen und islamischen Verbänden gestaltet werden. Der Zugang sollte möglichst niedrigschwellig sein, zum Beispiel auf Ebene der Kommunen oder Statteile. Denn wenn verschiedene Zuwanderungsgruppen aufeinandertreffen, ohne regelmäßigen Kontakt zu haben, kann dies zu gegenseitiger Ablehnung führen. Zudem sollten sowohl muslimische als auch christliche Religionsgemeinschaften stärker in die Konzeption und Ausführung von Projekten zur Förderung des interreligiösen Dialogs einbezogen werden. Im Rahmen dieser Projekte sollten vor allem auch christliche Menschen mit Migrationshintergrund angesprochen werden.
Auf politischer Ebene sollte der Abbau von struktureller sowie Alltagsdiskriminierung ein vorrangiges integrationspolitisches Ziel sein. Dass die Leitung der Antidiskriminierungsstelle des Bundes wieder fest besetzt ist, sehen wir dahin gehend als positives Signal. Da antimuslimische Einstellungen mit steigendem Einkommen abnehmen, wäre auch darüber nachzudenken, ausländische Bildungsabschlüsse leichter anerkennen zu lassen, sodass Zugewanderte eine ihrer Qualifikation entsprechenden Beschäftigung nachgehen können.
Das Interview führten Enes Bayram und Muhammed Suiçmez.
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