Weihnachten steht vor der Tür. Jedes Jahr stellen sich Muslime die Frage, ob sie ihren christlichen Nachbarn zu Weihnachten gratulieren dürfen oder nicht. IslamiQ hat die Antwort.
In einigen Tagen feiern Millionen von Christen Weihnachten. Inwiefern ist es für Muslime islamrechtlich erlaubt, Christen zu ihren Festen (Weihnachten und Ostern) zu gratulieren? In Deutschland hat sich die Praxis etabliert, dass Muslime ihren christlichen und jüdischen Nachbarn und Freunden zu ihren Festen gratulieren und umgekehrt ebenso. Über diese Frage wird noch immer diskutiert. Im Internet kursieren zahlreiche Fatwas, die das Beglückwünschen von nichtmuslimischen Festen verbieten.
Doch worum geht es in diesen Diskussionen? Und wie entstehen diese Meinungsunterschiede? Die Kenntnis unterschiedlicher Positionen erleichtert die Entscheidungsfindung und führt zu einem gelasseneren und bewussten Umgang mit solchen Themen.
Es gibt Themen, die in den Offenbarungsschriften erwähnt werden und über die es unter Gelehrten Einigkeit gibt. Dazu zählt das tägliche, fünfmalige Gebet, das Fasten im Monat Ramadan oder das gerechte Handeln. Lügen, außerehelicher Geschlechtsverkehr oder Diebstahl sind hingegen verboten. An der grundsätzlichen Gültigkeit dieser Normen kann es keine Diskussionen geben. Es gibt aber auch Themen, die nicht in den Offenbarungstexten behandelt wurden und deshalb Gegenstand von Meinungsunterschieden sind. Die Frage nach der Beglückwünschung der Christen zu ihren Festen ist eines dieser Themen.
Hierbei können zwei Gründe aufgezählt werden: 1. Hermeneutische Gründe, also Gründe, die aus einer unterschiedlichen Interpretation der Texte entspringen oder 2. kontextbedingte Gründe, also Gründe, die mit der Interpretation des gelebten Kontextes (Konventionen, Voraussetzungen und Konsequenzen einer Handlung) zusammenhängen. Häufig sind es die kontextbedingten Gründe, die die Entscheidung und damit auch die Wahl der Hermeneutik beeinflussen.
Bei vielen Fiqh-Themen geht es gar nicht so sehr um die richtige Auslegung der Offenbarungstexte, sondern um die Situationsdiagnose. Die Handlungsoptionen, die man hat, werden davon beeinflusst, wie man eine bestimmte Situation oder das Umfeld, in dem man sich befindet, wahrnimmt. Eine negative Einschätzung der Außenwelt führt zu einer konservativeren oder gar fundamentalistischen Auslegung der Religion, als wenn die Außenwelt als gut oder tolerabel eingestuft wird. Im ersteren Fall tendiert man dann eher dazu, die Interaktion mit anderen, fremden Einflüssen hinsichtlich religiöser Bereiche auf ein Minimum zu reduzieren, um somit die eigene religiöse Identität zu schützen und zu bewahren.
Die Ansicht, dass die Beglückwünschung der Christen zu ihren Festen oder der Besuch von Kirchen (mit der Absicht, sich die Feierlichkeiten oder Gottesdienste anzuschauen) verboten sind, hat meistens den Hintergrund, dass man die religiöse Identität vor allem junger Menschen bewahren will. Wenn das Umfeld aber grundsätzlich nicht als bedrohlich, sondern als gut und tolerabel empfunden wird und man von einer selbstbewussten religiösen Identität ausgeht, ist man eher bereit, sich den Herausforderungen gegenüber zu öffnen. In dieser Hinsicht sind viele der Meinung, dass ein selbstbewusster, offener Umgang mit diesen Themen sogar die eigene Religiosität stärkt, weshalb man eher dazu tendiert, diese Handlungen im Sinne einer guten Nachbarschaft für erlaubt und förderlich zu betrachten.
So wird der offene Austausch mit Angehörigen anderer Religionen sogar von vielen als ein positives Mittel gesehen, um den Islam in der Gesellschaft sichtbarer zu machen. Denn wenn man die Feste anderer beglückwünscht, werden auch die anderen sich für die Feste der eigenen Religion interessieren. In den letzten Jahren hat sich mehr und mehr die Einstellung etabliert, dass es sich zum respektvollen Umgang zwischen den Angehörigen verschiedener Religionen gehört, sich gegenseitig zu den religiösen Festen zu beglückwünschen. Dieser Umstand hat sich zu einer deutsch-islamischen Gewohnheit entwickelt und wird von den meisten auch dementsprechend praktiziert. Eine Beglückwünschung wie „frohe Weihnachten, schöne Feiertage, frohes Fest, frohe Ostern“ etc. bedeuten für Muslime keineswegs, dass sie die Inhalte der Feiertage befürworten. Die Beglückwünschung ist also kein Thema der Glaubenslehre, sondern nur eine Form der Höflichkeit.
Ganz anders sehen es aber diejenigen, die es ablehnen. Sie sagen, dadurch, dass man sie beglückwünscht, akzeptiere man auch die falschen Glaubensinhalte, die dadurch vermittelt werden. Diese Annahme geht zurück auf manch klassische Fiqh-Texte der vier Rechtsschulen, allen voran auf Aussagen von Ibn al-Qayyim aus seinem Werk „Normen über die Nichtmuslime“; das umfangreichste Werk über den Umgang mit Nichtmuslimen in einer muslimischen Gesellschaft. In diesen Texten wird dieser Zusammenhang zwischen Beglückwünschung und Bestätigung der Inhalte hergestellt und gesagt: „die Beglückwünschung ist verboten, weil das mit der Bestätigung der Inhalte einhergeht“. Anscheinend gab es zu Zeit von Ibn al-Qayyim die Konvention, dass eine solche Beglückwünschung tatsächlich als Bestätigung verstanden wurde, sowohl von den Sprechern als auch von den Adressaten.
Die Annahme, dass die Beglückwünschung mit der Bestätigung der Inhalte einhergeht, ist aber nicht immer gegeben. In unserer heutigen Zeit besteht eine solche Beziehung z.B. nicht. Woher wissen wir es? Die Konvention unserer Zeit! Weder der Sprecher noch der Empfänger würden die Aussage „Frohes Fest“ oder „Frohe Weihnachten“ dahin gehend verstehen, dass damit die Bestätigung der Inhalte des Weihnachtsfestes gemeint sei. Umgekehrt wäre es auch absurd daran zu glauben, dass wenn ein Christ einem Muslim zum Ramadanfest gratuliert, er die Verpflichtung des Fastens akzeptiert und zum Muslim wird.
Deshalb kann man heutzutage in unserem Kontext keineswegs die bloße Beglückwünschung als „haram“ einstufen. Dafür fehlt jegliche Grundlage. Auch die Teilnahme an einer Weihnachtsfeier bei einer christlichen Familie oder im Betrieb, sowie die Teilnahme an einem Weihnachtsgottesdienst als Beobachter können ähnlich bewertet werden.
Wichtig ist demnach, nicht nur die Interpretation von Offenbarungstexten, sondern auch die Kontextanalyse, in der die gesellschaftlichen Konventionen, Voraussetzungen und Konsequenzen einer Handlung berücksichtigt werden. Das sind die Kriterien des Fiqh und schließlich ist es aber jedem selbst überlassen, wie man mit solchen Situationen konkret umgeht.
Erstveröffentlichung im Blog „Rasāʿil – Blog für islamisches Recht und Geschichte“, 31. Dezember 2021. Für IslamiQ wurde der Beitrag seitens der Redaktion zusammengefasst.