Mehrere Dutzend Reichsbürger mussten in den vergangenen Jahren ihre Waffen hergeben. Für die zuständigen Behörden häufig ein schwieriges Unterfangen.
Hessische Behörden haben in den vergangenen Jahren mehreren Dutzend mutmaßlichen „Reichsbürgern“ Waffen abgenommen. Seit 2019 bis zur Jahresmitte seien mehr als 100 Extremisten die Waffen entzogen worden, teilte das Landeskriminalamt (LKA) in Wiesbaden mit. Die Zahlen für das Gesamtjahr werden voraussichtlich erst im Januar vorliegen, sagte eine Sprecherin der Deutschen Presse-Agentur.
„Die einzelnen Erfolge sind stets mit sehr aufwendigen Verfahren verbunden, die wir längst durch eine Änderung des Waffenrechts beschleunigen könnten“, hieß es weiter. „Aktuell verfügen in Hessen noch mehr als 40 Personen, die dem Spektrum der „Reichsbürger“-Szene zugeordnet werden, über eine waffenrechtliche Erlaubnis.“
So hatten Ende Juni 27 dem Extremismus-Bereich „Reichsbürger“ zugerechnete Personen die Waffenbesitzkarte zum Erwerb und Besitz „scharfer“ Schusswaffen. Zudem gab es 20 der Szene zugeordnete Extremisten mit dem „kleinen Waffenschein“, der zum Führen von Schreckschuss-, Reizstoff- und Signalwaffen berechtigt.
Anfang Dezember waren nach einer bundesweiten Razzia 25 Angehörige der „Reichsbürger“-Szene festgenommen worden, die einen Staatsstreich vorbereitet haben sollen. Der mutmaßliche Rädelsführer, Heinrich XIII. Prinz Reuß, wurde in Frankfurt festgenommen.
Rechtsextremisten und „Reichsbürger“ seien weiter die größte Bedrohung für Demokratie und öffentliche Sicherheit, so das LKA. Nach wie vor sei es daher „eine der wichtigsten Aufgaben der Sicherheitsbehörden, diesen Staatsfeinden konsequent Waffen zu entziehen.“ Die hessische Landesregierung fordert seit Jahren, dass bei Waffenerlaubnissen die Regelversagung für Extremisten eingeführt wird.
Für die zuständigen Behörden vor Ort gestaltet sich der Entzug von Waffen teils schwierig: Die Einziehung von Waffen oder waffenrechtlicher Genehmigungen müsse rechtssicher sein, heißt es etwa aus dem Kreis Marburg-Biedenkopf. „Die Entscheidung hängt immer von der aktuellen Daten- und Erkenntnislage ab, die die Waffenbehörde auch immer mit anderen Sicherheitsbehörden abgleicht“, erläuterte ein Sprecher. „Wenn die Fälle relativ eindeutig gelagert sind, die Betroffenen also eindeutig in Erscheinung getreten sind, ist die Einziehung von Waffen oder der Entzug waffenrechtlicher Genehmigungen relativ einfach möglich. Schwierig wird es, wenn das Erkenntnisbild nicht klar und eindeutig ist.“
Die Gesamtzahl der sogenannten Reichsbürger und Selbstverwalter in Hessen wurde zuletzt nach Angaben der Sicherheitsbehörden mit etwa 1000 beziffert. Die Szene umfasse ein heterogenes Milieu aus „Staatsleugnern“, die sich in ihren Ideologien und Verschwörungsnarrativen häufig gegenseitig widersprächen, sich aber in einem Punkt einig seien: der Ablehnung der Bundesrepublik Deutschland und ihres Rechtssystems. „In Teilen der Szene der „Reichsbürger und Selbstverwalter“ sind antisemitische, rassistische und nationalistische Argumentationsmuster und somit Schnittmengen zum Phänomenbereich Rechtsextremismus festzustellen“, hieß es.
„Reichsbürger und Selbstverwalter“ sind den Angaben zufolge in Deutschland in allen Ländern und in Hessen in allen Kreisen feststellbar. Das Spektrum reiche von losen Zusammenschlüssen bis zu streng hierarchischen Organisationen sowie von „Exilregierungen“ bis zu „Königreichen“. „In Hessen sind zudem Aktivitäten überregional aktiver Szenegruppierungen beziehungsweise Sympathiebekundungen für entsprechende Gruppierungen festzustellen“, hieß es weiter. Eine regionale Konzentration sei in Hessen nicht zu beobachten.
Laut dem jüngsten Jahresbericht des Landesamtes für Verfassungsschutz ist unter den rund 1000 „Reichsbürgern und Selbstverwaltern“ in Hessen eine untere dreistellige Zahl von Personen bekannt, die sowohl als „Reichsbürger“ als auch als Rechtsextremisten eingestuft werden. Das Durchschnittsalter bei „Reichsbürgern und Selbstverwaltern“ liegt zwischen 45 und 60 Jahren. Etwa 75 Prozent der Szenemitglieder sind den Angaben zufolge männlich.
Verschwörungsideologien, wie sie auch in der „Reichsbürger“-Szene vertreten werden, können nach Einschätzung der Sicherheitsbehörden als „Radikalisierungsbeschleuniger“ wirken und Radikalisierungsverläufe von Einzelpersonen und Gruppierungen fördern. Verschwörungsideologien seien dazu geeignet, zur Legitimation selbst von schwersten Gewaltstraftaten herangezogen zu werden. „Vor diesem Hintergrund und angesichts der häufig zu beobachtenden Waffenaffinität innerhalb der Szene der „Reichsbürger und Selbstverwalter“ ist das der Szene immanente Gewaltpotenzial nach wie vor als hoch zu bewerten“, hieß es.
In den szenetypischen Schreiben war laut der Sicherheitsbehörden zuletzt eine Verschärfung des Tonfalls oder eine aggressivere Ausdrucksweise bis hin zu Gewalt- und Todesdrohungen festzustellen. „Das lässt auf eine fortschreitende Radikalisierung zumindest von Teilen der Szene der „Reichsbürger und Selbstverwalter“ schließen – und außerdem auf eine anhaltend hohe Bereitschaft, die Souveränität und das Gewaltmonopol des Staates in Frage zu stellen“, so die Einschätzung der Experten. (dpa/iQ)