SILVESTERNACHT

„Kriminalität lässt sich nicht mit Rassismus bekämpfen“

„Kleine Paschas“, „gescheiterte Integration“ und „Migrationshintergrund“. Nach den Angriffen auf Einsatzkräfte in der Silvesternacht wurde viel diskutiert – oft rassistisch. Im IslamiQ-Interview sprechen wir mit Karim Fereidooni über die angestoßene Integrationsdebatte.

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01
2023
Prof. Dr. Karim Fereidooni
Prof. Dr. Karim Fereidooni

IslamiQ: Seit der Silvesternacht stehen erneut Menschen mit Migrationshintergrund im Fokus.  Einige Politiker sprechen laut über eine „gescheiterte Integration“. Welches Ziel verfolgt die angestoßene „Integrationsdebatte“? 

Prof. Dr. Karim Fereidooni: Diese Debatte diffamiert Menschen mit internationaler Familiengeschichte. Die Politikerinnen, die sie angesprochen haben, bringen diese Menschen in Verbindung mit Kriminalität. Und wenn Menschen kriminell werden, hat ihr Migrationshintergrund nach Ansicht dieser Politiker*innen etwas damit zu tun. Aber wenn sie sich vorbildlich verhalten, dann wird das von diesen Politikern nicht auf den Migrationshintergrund zurückgeführt.

Angesichts dessen bin ich der Meinung, dass es sich hierbei nicht um eine Integrationsdebatte, sondern um eine Diffamierungsdebatte handelt. Dieses Verhalten schützt Menschen ohne Migrationshintergrund davor, diese negativen Stereotype anzunehmen, die in dieser Debatte den Menschen mit Migrationshintergrund zugeschrieben werden. Die einen sind intelligent, friedliebend und die anderen sind aggressiv und können sich nicht integrieren. Das soll bei dieser Debatte herauskommen. Mithilfe des sogenannten Migrationshintergrundes, versucht man von den wirklichen soziale Problemlagen zu kulturalisieren. 

IslamiQ: Bei solchen Ereignissen wie in der Silvesternacht wird ständig der kulturelle bzw. religiöser Hintergrund erfragt. In einem Interview sagten sie, dass die Migrationshintergründe instrumentalisiert werden. Wie genau passiert das? Und wie bewerten sie diese Instrumentalisierung?

Fereidooni: Ich frage mich, warum überhaupt die Vornamen von der CDU in Berlin abgefragt worden sind. Diese Ansicht basiert auf der Vorstellung, dass jeder Mensch einen deutschen Pass erwerben kann, da es sich dabei um ein Stück Stoff handelt. Aber Ali, Muhammed, Ayşe und Kazım können niemals richtige Deutsche sein. Ein echter Deutscher kann man nur werden, wenn deutsches Blut in den Adern fließt. Und genau diese Logik wird auch von der AfD und der Identitären Bewegung propagiert. Die Instrumentalisierung besteht darin, dass der Migrationshintergrund für Problemlagen verantwortlich gemacht wird. Ich würde allen Politiker zurufen: „Hören Sie auf, mit Rassismus Wählerstimmen zu generieren. Kriminalität lässt sich nicht mit Rassismus bekämpfen“.

IslamiQ: Stichpunkt Generalverdacht. Nach der Silvesternacht stehen Jugendliche mit einem Migrationshintergrund noch mehr unter Druck und müssen teils negative Konsequenzen befürchten. Was macht das mit den jungen Menschen?

Fereidooni: Zuerst einmal möchte ich sagen, dass die Täter, die in der Silvesternacht Polizisten und Rettungskräfte angegriffen haben, bestraft werden müssen. Und das hat nichts mit dem Migrationshintergrund zu tun, sondern mit dem Umstand, dass sie kriminell geworden sind.  

Zweitens: Menschen, denen einen Migrationshintergrund zugeschrieben wird, die in der dritten und vierten Generation hier leben, gar keine andere Heimat besitzen als Deutschland und sich als Deutsche fühlen, bekommen wieder mal mit, dass die Zugehörigkeit zu Deutschland von manchen Politikerinnen sehr exklusiv betrachtet wird. Und für sie heißt es dann, egal, wie sehr du dich anstrengst, oder wie sehr du hier beheimatet bist, wenn du mit Vornamen Ali oder Ayşe heißt, kannst du kein richtiger Deutscher sein. Mit dieser „Wahrheit“ werden Jugendliche mit internationaler Familiengeschichte konfrontiert. Sie werden nicht als gleichberechtigter Partner in diese Gesellschaft aufgenommen. Denn wenn es zu Schwierigkeiten kommt, wird alles mit ihrem Migrationshintergrund erläutert. 

IslamiQ: Die Berliner Integrationsbeauftragte, Katarina Niewiedzial erklärte, dass die Botschaft hinter den Angriffen lautet: Wir gehören nicht dazu. Die CDU fragt nach den Vornamen, um den Jugendlichen das „Deutschsein“ abzusprechen. Doch viele Jugendliche mit Migrationsgeschichte fühlen sich in Deutschland beheimatet. Was bedeutet das für die gesellschaftliche Teilhabe?

Fereidooni: Viele Politiker glauben, Menschen mit internationaler Familiengeschichte hätten entweder einen Hang zu Kriminalität oder sonstige Defizite. Und wir können nicht von uns behaupten, dass unsere Gesellschaft plural, demokratisch und diversitätssensibel ist, wenn wir kriminelle Handlungen mit dem Migrationshintergrund oder der Religion erklären. Das widerspricht den Grundsätzen unseres Staates und unserem Grundgesetz.

IslamiQ: Mit welchen Angeboten müssen wir jungen Menschen dann begegnen, damit sich die Krawalle in der Silvesternacht nicht wiederholen? Braucht es überhaupt welche?

Fereidooni: Es ist möglich, mit multiprofessionellen Teams auf die Jugendlichen und die Bewohnerinnen dieser Stadtteile zuzugehen und mit denen sprechen. Ich glaube nicht, dass dadurch jede Kriminalität verhindert werden kann. Die Prävention von Straftaten ist zweifellos wichtig, aber es bedarf auch einer effektiven Aufklärungsarbeit, um die Täter zu verfolgen und zu bestrafen. Aber wir können Kriminalität nie gänzlich aus der Welt schaffen. Diverse Studien belegen, dass 90 Prozent der Männer im Laufe ihrer Sozialisation in irgendeiner Art und Weise kriminell werden, ohne allerdings dafür strafrechtlich belangt zu werden. Dies bedeutet jedoch nicht, dass sie Polizistinnen oder Rettungskräfte angreifen. Dazu gehören viele unterschiedliche Delikte.

Ich möchte die Ereignisse aus der Silversternacht nicht relativieren, aber wir sollten diesen Jugendlichen auf Augenhöhe begegnen. Da hilft es nicht, die Vornamen abzufragen und den Menschen zu suggerieren, ihr gehört sowieso nicht dazu. Eine kleine Minderheit von Kriminellen hat es geschafft, den Rassismus, den es in der Mitte der Gesellschaft gibt, sichtbar zu machen. Die Mehrheit der Menschen mit internationaler Familiengeschichte, die nicht kriminell auffällig sind und die unsere Gesellschaft funktionsfähig halten, verlieren das Vertrauen in staatliche Institutionen, weil sie rassistisch angegangen werden. Viele Politikerinnen haben sich bei ihrer Analyse der Taten rassistisch geäußert.

IslamiQ: In einer Talkshow bezeichnete der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz, die Söhne von Migranten als „kleine Paschas“. Nach dem Auftritt wurden seine Aussagen stark kritisiert. Wie bewerten sie seine Äußerung? Welche Konsequenzen müssen folgen? 

Fereidooni: Herr Merz ist ein großer Pascha. Denn er hat 1997, als es darum ging, die Vergewaltigung in der Ehe unter Strafe zu stellen, dagegen gestimmt. Das war ein Pascha-Verhalten, und zwar von einem Mann, der sehr mächtig ist. Er sollte seine Sprache und seine Denkweise rassismuskritisch überprüfen, da er eine rassistische Sprache benutzt. Herr Merz ist leider nicht in einer Migrationsgesellschaft und in einer diversitätssensiblen Gesellschaft angekommen. Er versucht mit billigen Tricks Wählerstimmen zu generieren.

Das Interview führte Kübra Zorlu und Kübra Layık.

Leserkommentare

grege sagt:
Wer gegen Homosexuelle hetzt, sollte ein Rassismusproblem erst einmal bei sich verorten. Insofern ist Schuldumkehr bitter notwendig.
08.02.23
19:12
Johannes Disch sagt:
Es hilft auch nicht weiter, Tatsachen als Rassismus zu diskriminieren. Es ist nun mal Fakt, dass Migranten mit einem besonderen kulturell-religiösen Hintergrund bei der Integration mehr Probleme haben als andere und in der Kriminalitätsstatistik überrepräsentiert sind. Und da geht es nicht um Ladendiebstahl oder Verkehrsdelikte. Es geht um Gewaltverbrechen mit häufig sexuellem Hintergrund. Da wären in erster Linie Afghanen zu nennen. Und das liegt an Besonderheiten der afghanischen Gesellschaft. Die Sozialbeziehungen sind nach dem Prinzip des "PURDAH", der Verhüllung und Ausschließung alles Weiblichen aus der Öffentlichkeit; organisiert. Die asymmetrische Ordnung der Geschlechter ist das wichtigste Kriterium für die afghanischen Sozialbeziehungen. Hier greift der Ehrenkodex des "PASCHTUNWALI." Die Ehre aller Mitglieder eines Clans ist von dem Verhalten der Frauen abhängig. Klar, dass viele Afghanen einen Kulturschock bekommen, wenn sie in westlichen Gesellschaften landen und dementsprechend reagieren (Mord, weil einen afghanische Frau arbeiten will, weil sie sich von ihrem Mann trennen will etc.) So, Herr Fereidooni, das sind alles SOZIOLOGISCHE KRITERIEN und FAKTEN über die afghanische Gesellschaft und hat nichts mit Rassismus zu tun. Da die deutschen Politiker sich um solche Dinge aber nicht kümmern, sie nicht wissen und auch nicht wissen wollen, lassen sie einfach massenhaft Menschen ins Land. die vielfach gar nichts dafür können, dass sie hier nur schwer klar kommen. Die deutschen Politiker glauben, guter Wille und eine moralische Haltung würden genügen. Ein Irrglaube.
09.02.23
19:25
Johannes Disch sagt:
Wie ich in meinem letzten Beitrag ausführte, haben vor allem Afghanen Probleme mit der Integration und sind signifikant stärker vertreten in der Kriminalstatistik, vor allem bei Gewaltverbrechen mit sexuellem Hintergrund. Und ich habe die Gründe dafür genannt: Ein Ehrendkodex des "PASCHTUNWILI" und Sozialbeziehungen, die nach dem Prinzip des "PURDAH"-- des Ausschlusses alles Weiblichen aus der Öffentlichkeit-- charakterisiert sind. Ein weiterer Grund kommt noch hinzu, und da ist die spezielle Interpretation des Islam, die in Afghanistan vorherrschend ist. Es ist der DEOBANDI-ISLAM (oder: "DEOBANDISMUS"). Es ist eine besonders fundamentalistische und radikale Form des Islam, die in ihrer Radikalität dem wahhabitischen Islam der Saudis in nichts nachsteht. Wen Einzelheiten zum DEOBANDISMUS interessieren, der kann das leicht recherchieren. Fassen wir zusammen: Ein archaischer Ehrenkodex, der Frauen aus der Öffentlichkeit ausschließt, gepaart mit einer fundamentalistischen Form des Islam trifft auf eine liberale Gesellschaft --. eine wahrlich explosive Mischung! Die aufgeführten Dinge sind SOZIALE TATSACHEN (im Sinne des großen Religionssoziologen Emile Durkheim), die sich nicht mit der beliebten Allzweckwaffe "Rassismus" unter den Tisch kehren lassen.
09.02.23
20:29
Johannes Disch sagt:
@Rassismus Von wegen Deutschland hätte ein Rassismusproblem: Da frägt man sich doch, warum so viele Flüchtlinge und andere Migranten nach Deutschland kommen.... Sicher: Ein Anreiz ist die unselige Mischung aus laxem Asylrecht und großzügigem Sozialstaat. Es gibt aber noch einen anderen Grund: Weil Deutschland ein hilfsbereites und tolerantes Land ist. Die Mär einer im Kern rassistischen deutschen Gesellschaft verbreiten Muslim-Vertreter, unterstützt von linksidentitären deutschen Politikern. Man schaue sich nur an, wie viele gut dotierte Posten im alltäglichen und nie nachlassenden Kampf gegen den Rassismus inzwischen eingerichtet sind: Eine Anti-Diskriminierungsbeauftragte (Ferda Atamann), eine Anti-Rasssimusbeauftragte der Bundesregierung (Reem Alabali-Radovan), etc. Dazu zig Programme zur Bekämpfung des Rassismus "Demokratie leben", etc) Diese Leute müssen jeden Tag Rassismus entdecken da ansonsten ihr Posten hinterfragt würde. Rassismus gibt es in der Tat. Er richtet sich mittlerweile aber häufig gegen Einheimische. "Der alte weiße Mann" ist das neue Hasssubjekt der Identitätspolitik.
10.02.23
17:13
grege sagt:
Eigentlich ist es eine Binsenweissheit. Aber ein Problem kann nur gelöst werden, wenn die Ursache richtig verstanden und benannt wird. Wenn jeman behauptet, Ostdeutschland hat ein Rassismusproblem, gilt nicht der Umkehrschluss, dass der ein vor mir stehender Bürger aus dem Elbsandsteingebirge automatisch rechtsradikale Ansichten vertritt. Diese Haltung muss man ebenso auf Problemfelder übertragen, in denen Angehörige bestimmter Ethnien oder Religionen vertreten sind und Ursachen erkennbar sind.
12.02.23
17:20
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