Das Neutralitätsgesetz in Berlin bedeutet für Musliminnen praktisch ein Berufsverbot. Aktuell wird es vom Bundesverfassungsgericht geprüft. Abhängig vom Urteil soll das Gesetz abgeschafft werden.
Das Bundesarbeitsgericht hatte im August 2020 in einem Einzelfall über das Berliner Neutralitätsgesetz entschieden. Einer Muslimin wurde eine Entschädigung wegen Diskriminierung zugesprochen, weil sie wegen ihres Kopftuches nicht in den Schuldienst des Landes Berlin eingestellt wurde. Die damalige Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) hatte im Jahre 2021 gegen das Urteil eine Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht eingereicht.
Die aktuelle Koalition in Berlin erklärte im Koalitionsvertrag, dass sie die Zukunft des Neutralitätsgesetzes und das damit zusammenhängende Kopftuchverbot von dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts abhängig machen werde. Doch seitdem ist nichts mehr zu hören.
Wie die Pressestelle des Bundesverfassungsgerichts auf Anfrage von IslamiQ nun mitteilte, befinde sich das Verfahren noch in Bearbeitung. „Es lässt sich derzeit zeitlich nicht näher eingrenzen, wann mit einer Entscheidung zu rechnen ist. Ein Termin für eine mündliche Verhandlung wurde (bislang) nicht bestimmt“, erklärte ein Pressesprecher des Bundesverfassungsgerichts. Die aktuelle Bildungsministerin des Landes Berlin war für ein Statement nicht zu erreichen. Eine Anfrage von IslamiQ blieb unbeantwortet.
Das vorhandene Neutralitätsgesetz in Berlin erhitzt weiter die Gemüter. Die Abschaffung des Neutralitätsgesetzes ist eine zentrale Forderung der Fachkommission, die 2021 als Reaktion auf den fremdenfeindlichen Terroranschlag in Hanau eingesetzt wurde. Auch die Grünen-Politikerin und Sprecherin für Antidiskriminierung Tuba Bozkurt spricht sich für eine Abschaffung des Neutralitätsgesetzes aus. „Das Neutralitätsgesetz diskriminiert Kopftuch tragende Frauen, bedeutet praktisch ein Berufsverbot und greift in das Selbstbestimmungsrecht von Frauen ein. Das müssen wir überwinden – ich bin klar für eine Abschaffung“, erklärt sie in einem Interview mit der TAZ.
Aus einer schriftlichen Anfrage zum Neutralitätsgesetz im Berliner Abgeordnetenhaus geht hervor, dass sich das Land Berlin seit 2017 mit neun Gerichtsverfahren zum Neutralitätsgesetz auseinandergesetzt hat. Dabei sind für das Land Berlin Kosten in Höhe von 117.022,04 Euro entstanden. Derzeit werde in einem weiteren Fall ein Rechtsstreit mit einer Lehrkraft geführt. Ihr wurde das Tragen des Kopftuches im berufsbegleitenden Vorbereitungsdienst untersagt.
Bereits im August 2021 forderte das Bündnis #Gegenberufsverbot, das Land dazu auf, die verfassungsrechtliche Lage endlich ausdrücklich gesetzlich klarzustellen. „Das sogenannte Neutralitätsgesetz muss einschränkend ausgelegt werden, eine pauschale Ablehnung aufgrund des Tragens eines Kopftuches ist nicht gerechtfertigt“, erklärt das Bündnis in einer Pressemitteilung. Für Musliminnen bedeute das, dass sie ihrem erlernten Beruf nicht nachgehen können, weil sie aus religiösen Gründen ein Kopftuch tragen. „Dass ihnen nur wegen des Tragens eines Kopftuches ihre Neutralität gegenüber den Schülern abgesprochen wird, stößt auf Unverständnis und Ärger“, so das Bündnis.
Das Bundesverfassungsgericht hatte 2015 entschieden, dass ein pauschales Kopftuchverbot für muslimische Lehrerinnen nicht mit der grundgesetzlich garantierten Religionsfreiheit vereinbar ist. Derartige Verbote könnten nur in Einzelfällen erlassen werden, wenn konkrete Gefahren für den Schulfrieden bestünden. Doch verbietet das Berliner Neutralitätsgesetz weiterhin das Tragen religiöser Symbole in Teilen des Öffentlichen Dienstes, vor allem in Polizei, Justizdienst und im Bildungsbereich. Es ist die in Deutschland weitestgehende Regelung auf diesem Gebiet.