Eine Wissenschaftlerin aus Lüneburg will Näheres über die „Reichsbürger“-Bewegung wissen. In einem dreijährigen Forschungsprojekt untersucht sie die totale Ablehnung der Menschen gegen staatliche Institutionen.
„Reichsbürger“ erkennen die staatlichen Institutionen meist nicht an, geben teils eigene Pässe aus und sehen die Bundesrepublik als Firma. Andrea Kretschmann, Kultursoziologin der Leuphana Universität Lüneburg, untersucht in einem auf drei Jahre angelegten Forschungsprojekt von April an die „Subkultur der Reichsbürger“. „Warum beziehen sie sich auf das Recht, wenn sie zu diesem doch in Totalopposition gehen“, fragt die Professorin.
Nur der Wunsch auszusteigen und nach eigenen Regeln zu leben, sei vergleichbar mit Aussteigergruppen in den USA. „Die „Reichsbürger“ geben sich eigene Gesetze, erfinden Symbole mit rechtsstaatlichem Charakter wie Personalausweise. Manchmal geben sie sich eine eigene Verfassung, in Österreich ist schon ein eigener Gerichtshof ausgerufen worden“, berichtet sie. Das habe sie verblüfft.
Nicht immer sei klar, wie die imaginierte politische Ordnung funktionieren soll. „Sie wollen aussteigen, sie berücksichtigen dabei aber nicht, dass die Infrastruktur vom Gemeinwesen abhängt.“ Dabei sei es frappierend, dass sich die „Reichsbürger“ als rechtliche Laien mit Recht beschäftigten. „Das Ganze hat mich stark verwundert, weil man es selten sieht, dass Subkulturen oder soziale Bewegungen sich in so starkem Maße auf das Recht beziehen.“
So war Ende vergangenen Jahres am Landgericht in Lüneburg eine Frau aus der Szene verurteilt worden, die sich unter falschem Namen als Rechtsanwältin ausgegeben hatte. Sie nahm Geld für Urkunden und Vorträge, war die Chefin des verbotenen Vereins „Geeinte deutsche Völker und Stämme“. Was bei diesen Personen möglicherweise Masche und was feste Überzeugung ist, sei oft schwer zu beurteilen, meint die Leuphana-Professorin.
Bisher gebe es erst eine empirische Studie zu den „Reichsbürgern“, sagt Kretschmann. Die Szene sei sehr heterogen, es gebe viele Einzelpersonen. Deshalb will sich die Wissenschaftlerin mit ihrem Team auch zunächst online den Personen nähern. „Da spielt sich ganz viel im Internet ab“, erklärt sie. Dann wolle man auch beispielsweise auf Demonstrationen den Kontakt suchen.
Seit fünf, sechs Jahren habe die Szene einen kontinuierlichen Zulauf. Gemein haben die Menschen, dass sie die Bundesrepublik und ihre demokratischen Strukturen nicht anerkennen. (dpa/iQ)