Eine Mehrheit der Menschen in Deutschland wünscht sich laut einer Studie mehr Engagement gegen Diskriminierung und sieht die Politik in der Verantwortung. 72 Prozent der befragten Muslime geben an, Diskriminierung erlebt zu haben.
Diskriminierung ist eine Problematik, die in der deutschen Gesellschaft laut einer Studie der Bertelsmann Stiftung immer stärker wahrgenommen wird – viele Befragten wünschen sich auch, dass stärker dagegen vorgegangen wird. 72 Prozent der befragten Muslime geben an, ethnische bzw. rassistische Diskriminierung erlebt zu haben. 70 Prozent haben angegeben, dass für die Gleichbehandlung von Menschen mit Migrationshintergrund und „Menschen, die als fremd oder nicht weiß wahrgenommen werden“ viel oder mehr getan werden sollte. Im Jahr 2008 hatten das nur 43 Prozent angegeben. Dies zeige, dass die Unterstützung für eine Antidiskriminierungspolitik gestiegen sei, sagte Ulrike Wieland von der Bertelsmann Stiftung am Dienstag.
Der Studie zufolge machen Muslime besonders oft Rassismuserfahrungen. 72 Prozent von ihnen geben an, ethnische bzw. rassistische Diskriminierung erlebt zu haben. Daraus leite sich ein klarer Auftrag ab, so Ali Mete, Generalsekretär der Islamischen Gemeinschaft Millî Görüş (IGMG). Dem Kampf gegen antimuslimischen Rassismus müsse eine höhere Priorität eingeräumt werden. Die dafür notwendige Mehrheit sei laut Studie vorhanden: 54 Prozent sehen hier Handlungsbedarf.
Die Islamische Gemeinschaft appelliert an den Gesetzgeber, den Schutz vor Diskriminierung zu stärken, damit Opfer zu ihrem Recht kommen und Täter bestraft werden. „Die Qualität des Rechtsstaats und der Demokratie bemessen sich daran, wie sich Minderheiten fühlen. Danach beurteilt, muss man Deutschland leider ein schlechtes Zeugnis ausstellen., so Mete. Es gelinge ihm nicht, Minderheiten vor Diskriminierung zu schützen und ihre Positionen ausreichend zu berücksichtigen.
49 Prozent der Befragten seien der Ansicht, dass „Menschen, die als fremd oder nicht weiß wahrgenommen werden“ stark diskriminiert würden. Im Vergleichsjahr 2008 hätten 31 Prozent eine starke Diskriminierung von „Menschen mit fremdländischem Aussehen“ gesehen. Gleichzeitig wird die Verantwortung, sich um die Gleichbehandlung benachteiligter Gruppen in der Gesellschaft zu kümmern, laut Wieland von einer Mehrheit der Menschen vor allem bei der Politik gesehen. Ebenso werde Polizei und Justiz eine Verantwortung bei der Umsetzung zugeschrieben – genauso wie den Medien und Unternehmen. „Allerdings glaubt eine Mehrheit, dass die Wirtschaft kein echtes Interesse an Gleichbehandlung habe“, betonte Wieland.
Dadurch würde nicht nur das Zusammenleben in Deutschland besser, sondern auch das Land attraktiver für ausländische Fachkräfte, so Mitautor Ulrich Kober von der Bertelsmann Stiftung. „Denn die kommen nicht, wenn sie das Gefühl haben, Deutschland diskriminiert.“ Daher sei Diskriminierung auch ein Wirtschaftsfaktor.
Im Jahr 2022 hatte der Fachkräftemangel in Deutschland ein neues Rekordniveau erreicht. Rechnerisch hätten im vergangenen Jahr mehr als 630 000 offene Stellen für Fachkräfte nicht besetzt werden können, weil bundesweit keine entsprechend qualifizierten Arbeitslosen zur Verfügung standen, berichtete Mitte April das Kompetenzzentrum Fachkräftesicherung (Kofa) des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW). Experten sind sich einig: Ohne Zuwanderung aus dem Ausland wird die Lücke nicht zu schließen sein.
Für die Antidiskriminierungsbeauftragte des Bundes, Ferda Ataman, schadet Diskriminierung nicht nur den Menschen – sondern auch der Gesellschaft und dem Wirtschaftsstandort Deutschland. Die vorgestellte Studie zeige, dass sich die Haltung zum Thema Antidiskriminierung in Deutschland gewandelt habe. Die Gesellschaft sei nicht nur bereit für Antidiskriminierung, sondern erwarte diese auch. „Antidiskriminierung ist in der Mitte angekommen“, sagte Ataman bei der Vorstellung des Papiers. Es gebe keine gesellschaftliche Spaltung oder Polarisierung bei dem Thema. Für die Bundesbeauftragte spalte Diskriminierung die Gesellschaft, nicht das Engagement dagegen.
Den Machern der Studie zufolge liegt das gestärkte Bewusstsein für Diskriminierung unter anderem daran, dass der Anteil der Menschen mit Migrationshintergrund gestiegen ist. Es sei nicht verwunderlich, dass es Rückenwind in dieser Frage gebe, so Kober. Derzeit sei im internationalen Vergleich der Antidiskriminierungsschutz in Deutschland „mittelmäßig“, sagte der Mitautor weiter. „Da ist wirklich Luft nach oben.“ Es gebe zwar Debatten zur Reform des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes, doch vor allem gehe es darum, dass die Menschen, die von Diskriminierung betroffen seien, Schutz fänden.
Oftmals fehle es den Menschen auch an Beratung: So komme laut der Autoren auf eine Million Menschen nicht mal eine Beratungsstelle für Diskriminierung. Laut Kober ist es Aufgabe der Politik und der Zivilgesellschaft den Schutz der Menschen zu verbessern und die Prävention auszubauen. Es müsse dafür gesorgt werden, dass ein Klima entsteht, in der Diskriminierung gar nicht erst ausbreche. (dpa, iQ)