Brandanschlag

30 Jahre Solingen: Familie Genç ruft zur Bekämpfung von Rassismus auf

Vor 30 Jahren starben fünf Menschen, als Rechtsradikale in Solingen das Haus der Familie Genç anzündeten. Zum Gedenktag am 29. Mai wird Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier dort erwartet.

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05
2023
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Brandanschlag ın Solingen, Mevlüde Genç © Facebook, bearbeitet by iQ.
Brandanschlag ın Solingen, Mevlüde Genç © Facebook, bearbeitet by iQ.

„Ich habe in der Badewanne Gardinen gewaschen“, berichtet Hatice Genç (55). „Und ich habe geschlafen“, sagt ihr Mann Kamil. Sie habe noch ein Geräusch gehört, erinnert sich Hatice. Das Geräusch dürfte von den Mördern ihrer Töchter verursacht worden sein, die in jener Nacht Benzin ausschütteten und im Hausflur an der Unteren Wernerstraße 81 in Solingen ein Flammeninferno entfachten.

Hatice und Kamil sind Überlebende des rassistischen Brandanschlags von Solingen 1993. Sie haben zwei Töchter verloren. Nun treten sie aus dem Schatten ihrer Mutter und Schwiegermutter Mevlüde Genç, die Ende Oktober vergangenen Jahres gestorben ist.

30 Jahre nach dem verheerenden rassistischen Anschlag stellen sie sich im Rathaus von Solingen den Fragen von Journalisten. „Wir wollen da weitermachen, wo unsere Mutter aufgehört hat. Sie war immer die, die am besten ausgesprochen hat, was wir gefühlt haben. Wir vermissen sie sehr.“ Tränen fließen.

Mevlüde Genç – ein Symbol menschlicher Größe

Die Bilder des ausgebrannten Hauses gingen 1993 um die Welt. Die Brandruine ist längst abgerissen. Große Kastanien füllen die Baulücke. Der Brandanschlag von Solingen gilt bis heute als eines der schwersten rassistischen Verbrechen in der Bundesrepublik. Kurz nach der Tat waren vier junge Solinger im Alter zwischen 16 und 23 Jahren festgenommen worden. Sie waren der rechten Szene zuzuordnen und wurden 1995 wegen Mordes verurteilt.

Ende Oktober 2022 starb Mevlüde Genç, die nach dem Anschlag immer wieder zur Besonnenheit aufrief, obwohl sie zwei Töchter, zwei Enkelinnen und eine Nichte verloren hatte: Sie waren 4, 9, 12, 18 und 27 Jahre alt. Die Bundesverdienstkreuzträgerin, eine kleine Frau mit Kopftuch, wurde zum Symbol menschlicher Größe: „Dem Hass muss Einhalt geboten werden. Lasst uns Freunde sein.“

Was die überlebenden und nachgeborenen Familienmitglieder 30 Jahre später umtreibt, sind nicht nur die Hass-Botschaften auf den Social-Media-Kanälen, sondern auch das Vergessen: „Die Jugendlichen heute wissen nicht mehr, was damals passiert ist. Weder hier noch in der Türkei.“

Bundespräsident kommt zur Gedenkfeier

Am 29. Mai, dem 30. Jahrestag des Brandanschlags, wird Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in Solingen erwartet, begleitet von den Spitzen der nordrhein-westfälischen Landesregierung.

Es ist ihnen wichtig, auch 30 Jahre danach: „Wir freuen uns, dass der Bundespräsident zugesagt hat. Das Problem Rassismus ist noch lange nicht gelöst, das haben die Morde des NSU gezeigt. Aufklärungsarbeit ist wichtig. Erinnern ist wichtig. Insofern können wir die Forderung nach einem Schlussstrich nicht nachvollziehen. Gegen den Hass stellen wir unsere Botschaft: Liebe, Frieden, Toleranz. Liebe lässt den Menschen leben, aber der Hass bringt den Tod.“

Die Familie hat einen Vorschlag mitgebracht: Gegen das Vergessen bei der jüngeren Generation könnte eine Schule nach ihrer Mutter benannt werden, der Bundesverdienstkreuzträgerin und Friedensbotschafterin Mevlüde Genç.

Täter sind wieder auf freiem Fuß

Keiner der vier Täter habe sich in den vergangenen vier Jahren bei ihnen gemeldet, geschweige denn entschuldigt. „Wir hatten keinen Kontakt zu diesen vier Personen und wollen auch keinen. Wir wollen nicht einmal ihre Namen hören.“ Alle vier sind längst wieder auf freiem Fuß. „Als Mutter kann ich nicht damit leben, wenn ich daran denke, dass ich Ihnen begegnen könnte.“

Dennoch hätten sie nicht eine Sekunde überlegt, Solingen zu verlassen: „Nein. Niemals.“ Nach dem Tod ihrer Töchter haben Hatice und Kamil, damals waren sie 25 und 28 Jahre alt, zwei Söhne auf die Welt gebracht. Wir haben hier Kinder, Enkelkinder und uns ein Leben aufgebaut. Wir sind hier glücklich und wollen hier leben. Solingen ist unsere zweite Heimat. „Ich lebe hier und werde hier sterben“, hat unsere Mutter gesagt. So ist es gekommen. Und das gilt auch für uns.“ (dpa, iQ)