Ein AfD-Politiker gewinnt in Thüringen eine Landratswahl – ausgerechnet in einem Bundesland, wo die AfD als gesichert rechtsextrem eingestuft wurde. Wie konnte es soweit kommen? Die anderen Parteien wirken ratlos.
Sorgenvoller Blick nach Thüringen: Nach der Wahl des bundesweit ersten AfD-Landrats suchen Bundespolitiker nach Erklärungen und Rezepten gegen das Erstarken der Partei. CDU-Generalsekretär Mario Czaja machte die Politik der Ampel-Koalition für den AfD-Wahlerfolg im südthüringischen Landkreis Sonneberg verantwortlich. „Die Bundesregierung spaltet das Land. Sie hat zu viele Themen und Vorschläge, die im Land eben nicht auf Konsens stoßen“, sagte Czaja am Montag dem Sender Phoenix. Er bezeichnete den Ausgang der Wahl als „bitteres Ergebnis“.
Die SPD-Vorsitzende Saskia Esken sprach von einem „Dammbruch“. Es möge nur eine Landratswahl gewesen sein, aber es handele sich um „ein bekennendes Mitglieder der Höcke-AfD“, sagte sie mit Blick auf den Wahlsieger Robert Sesselmann. Sie führte das Wahlergebnis darauf zurück, dass der Landesregierung in Thüringen unter dem Linke-Ministerpräsidenten Bodo Ramelow stabile politische Mehrheiten fehlen, um Lösungen für die Probleme der Menschen zu erarbeiten. Ramelow führt in Thüringen eine Minderheitsregierung von Linken, SPD und Grünen, die im Parlament auf Stimmen aus der Opposition angewiesen ist. „Das wirkt sich fatal auf die Wahrnehmung der Politik aus“, sagte Esken. „Und auch die Ampel hat ihre Politik in letzter Zeit zu wenig erklärt und nicht gut organisiert.“ Sie nannte das umstrittene Heizungsgesetz als Beispiel.
Der Rechtsanwalt und AfD-Landtagsabgeordnete Sesselmann hatte sich am Sonntag in einer Stichwahl gegen seinen CDU-Kontrahenten Jürgen Köpper durchgesetzt und wurde zum ersten AfD-Landrat Deutschlands gewählt. Er erreichte 52,8 Prozent. Die Thüringer AfD wird vom Landesverfassungsschutz als gesichert rechtsextrem eingestuft und beobachtet. Vor der Abstimmung hatten Linke, SPD, Grüne und FDP zur Wahl des CDU-Mannes aufgerufen – vergebens.
Czaja sagte, die Bundespolitik könne so nicht fortgesetzt werden, es brauche mehr Gemeinschaft und Zugehörigkeit im Land. „Es ist ganz offensichtlich gewesen, dass bundespolitische Themen überragend waren“, sagte der CDU-Politiker. Themen wie das Heizungsgesetz oder die Flüchtlingspolitik bewegten die Menschen intensiv.
Die AfD feierte den Sieg und sieht in ihm den Auftakt für mehr Wahlerfolge – in den Kommunen und bei den Landtagswahlen in Brandenburg, Thüringen und Sachsen, die im kommenden Jahr anstehen. Sesselmann sagte, die AfD sei auf dem Weg zu einer Volkspartei. Am Mittwoch soll das Ergebnis der Landratswahl amtlich festgestellt werden, anschließend wird Sesselmann schriftlich aufgefordert, die Wahl anzunehmen oder abzulehnen. Einen Tag nach Annahme der Wahl beginnt seine Amtszeit.
Linken-Chef Martin Schirdewan sieht in der Landratswahl ein „Alarmsignal für die Demokratie“. Es gehe jetzt auch darum, wie die Erfahrung der Ostdeutschen in die politische Debatte eingespeist werden könnten, sagte er am Montag im ZDF-„Morgenmagazin“.
Der Landkreis Sonneberg im fränkisch geprägten Süden Thüringens ist mit rund 57 000 Einwohnern einer der kleinsten Landkreise Deutschlands. Der Landrat leitet das Landratsamt und vollzieht Beschlüsse des Kreistages, wo die AfD keine Mehrheit hat. Außerdem muss er Vorgaben von Bund und Ländern umsetzen. In Thüringen werden Landräte für die Dauer von sechs Jahren gewählt. Thüringens Ministerpräsident Ramelow betonte, dass Sesselmann als Landrat an Recht und Gesetz gebunden sei.
Der Dresdner Politikwissenschaftler Hans Vorländer rechnete damit, dass nun weitere Erfolge der AfD in den ostdeutschen Ländern folgen werden. „Wenn es nicht zu einem dramatischen Stimmungswechsel kommt, könnten die Landtagswahlen und die Kommunalwahlen im nächsten Jahr zu einem Triumphzug der AfD werden“, sagte er Deutschen Presse-Agentur.
Die AfD werde auf Landesebene zwar mangels Partnern nicht regieren. Doch würden große Bündnisse der übrigen Parteien nötig, um noch Regierungsmehrheiten zustande zu bekommen. „Es wird immer schwieriger, gegen die AfD Politik zu machen oder gegen die AfD Wahlen zu gewinnen“, sagte der Direktor des Zentrums für Verfassungs- und Demokratieforschung an der TU Dresden.
Der Kommunikationswissenschaftler und Politikberater Johannes Hillje bezeichnete das Ergebnis als Mischung aus „Demokratieunzufriedenheit und rechtspopulistischen Einstellungen bei den Wählern der AfD“. Man habe im Landkreis Sonneberg viel Frust über die politischen Eliten erlebt. Für die AfD sei es mehr ein symbolischer und strategischer Erfolg, weniger ein machtpolitischer. Die etablierten Parteien müssten nun Vertrauen wieder aufbauen und rechtspopulistische Einstellungen in der Bevölkerung abbauen. „Es sind natürlich nicht alle rechtsradikal eingestellt, die die AfD wählen. Es sind auch einige dabei, die enttäuscht sind“, sagte Hillje, der 2014 Wahlkampfmanager der Europäischen Grünen war, der dpa. Rechtsextremen Einstellungen müsse man aber entschieden entgegentreten. (dpa/iQ)