Rassismusforschung

„Wir alle sind in rassistische Verhältnisse verstrickt“

Seit Jahren forscht der Sozialpädagoge Prof. Dr. Rudolf Leprecht in Oldenburg zu Diversity Education. Ein Gespräch über Rassismuskritik und ihre Herausforderungen in der Bildung.

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07
2023
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IslamiQ: Was bedeutet Rassismuskritik?

Prof. Dr. Rudolf Leiprecht: Bevor ich darauf antworten kann, muss ich deutlich machen, was ich unter Rassismus verstehe. Etwas vereinfacht gesagt, gehe ich davon aus, dass es sich bei Rassismus um soziale Konstruktionen von Großgruppen handelt. Diese sind durchzogen von Vorstellungen zur sog. „Rasse“, aber auch ‚Kultur‘, ‚Volk‘, ‚Nation‘, wobei für all diese Konzepte ein inneres, unveränderbares Substrat phantasiert wird. In diese Vorstellungen sind stereotypisierende Negativbewertungen und Verallgemeinerungen eingebunden. 

Zudem geht es bei Rassismus um Macht. Und zwar um die Macht, bestimmte Vorstellungen, Praktiken, Diskurse und Strukturen dominant werden zu lassen und inhaltlich so zu bestimmen und zu durchdringen, dass diese für den Großteil der Menschen in einer Gesellschaft als ‚selbstverständlich‘ und ‚normal‘ erscheinen.

Rassismuskritik ist dann also die Kritik gegenüber solchen Vorstellungen, Praktiken, Diskursen und Strukturen, aber in meinen Augen als Folge eben auch der praktische Versuch, sie nicht dominant, nicht selbstverständlich werden zu lassen, sie zurückzudrängen, ihnen etwas entgegen zu setzen, ein anderes Leben zu entwickeln.  

IslamiQ: Wer braucht Rassismuskritik? 

Prof. Dr. Rudolf Leiprecht: Es macht einen Unterschied, ob man selbst entlang von rassistischen Zuschreibungen Ausgrenzungserfahrungen gemacht hat, also zur direkten Zielscheibe von Rassismen geworden ist, oder ob man im Verhältnis zu Rassismus privilegiert durchs Leben geht und sich diesbezüglich keine Gedanken machen muss und will. Die erste ‚Gruppe‘ ist natürlich nicht einheitlich und besteht aus Menschen mit den unterschiedlichsten biografischen Erfahrungen. Bei der zweiten ‚Gruppe‘ geht es um Angehörige der sogenannten Mehrheitsgesellschaft. Auch diese ‚Gruppe‘ ist nicht homogen. Allerdings unterscheiden sich beide ‚Gruppen‘ eben durch die Erfahrung bzw. Nicht-Erfahrung, selbst oder nicht selbst zur Zielscheibe von rassistischen Zuschreibungen und Ausgrenzungsmustern geworden zu sein. 

IslamiQ: Warum braucht man Rassismuskritik? 

Prof. Dr. Rudolf Leiprecht: Hinsichtlich der ersten ‚Gruppe‘ würde ich sagen: Für ein besseres Leben mit weniger Stress. Für mehr Teilhabe an der Gesellschaft. Für ein Leben, in dem man nicht ständig mit Ausgrenzung rechnen muss. Für ein Leben, in dem man nicht ständig das Gefühl hat, man gehört nicht richtig dazu. Und die Angehörigen der zweiten ‚Gruppe‘ muss sich fragen: In welcher Gesellschaft will ich eigentlich leben? In einer Gesellschaft, wo ein gewisser Teil ständig mit Negativ-Bildern, Abwertung und Ausgrenzung konfrontiert wird? Wenn die Antwort Nein sollte, braucht es Rassismuskritik. Für den sozialen Frieden in einer Gesellschaft, den Zusammenhalt, die Umgangsweisen miteinander, ist die sehr wichtig. 

Zudem spielt bei der Beantwortung dieser Frage die Geschichte eine große Rolle. Basierend auf den schrecklichen Erfahrungen von Holocaust und Zweitem Weltkrieg wurde in Deutschland das Grundgesetz geschrieben. Laut des ersten Artikels wird dort die Würde des Menschen als unantastbar erklärt. Leider ist dies nicht unbedingt Realität in Deutschland, aber es ist der Selbstanspruch dieser demokratischen Gesellschaft. Und ich will in einer Gesellschaft leben, wo dieser Selbstanspruch so umfassend wie irgend möglich Realität geworden ist. Es dürfte noch ein langer Weg bis dahin sein. Trotzdem ist es wichtig, dass es diesen Anspruch gibt, dass man daran appellieren kann, dass man weiß, was davor war und weshalb dieser Artikel im Grundgesetz steht. Insgesamt geht es um ein Mehr an sozialer Gerechtigkeit, um eine bessere Lebenslage, um gleichberechtigte Teilhabe aller, um Kommunikation auf Augenhöhe.

IslamiQ: Wie kann man rassismuskritisches Denken lernen?

Prof. Dr. Rudolf Leiprecht: Manche lernen dies dadurch, dass sie Erfahrungen im Leben machen und so ein Gespür dafür entwickeln, was gerecht und was ungerecht ist, was Ausgrenzungen sind und wo diese stattfinden. Viele lernen es, indem sie es im jungen Alter vermittelt bekommen. Dabei ist es natürlich wichtig, in welchem Umfeld man aufwächst. Zu diesem Umfeld gehören Eltern, Großeltern, Erzieher*innen, Lehrer*innen und Schulkamerad*innen. Natürlich ist daneben die Auseinandersetzung mit den Medien sehr wichtig. 

Gerade in den Bereichen Medien, Schule, Erziehung sollte man die rassismuskritische Bildungsarbeit als Querschnittsaufgabe, die sich durch alle Bereiche, Fächer und Bildungsstufen zieht, stärker machen. Allerdings denke ich, dass man nicht mit Pädagog*innen zu tun haben muss, um kritisch gegenüber Rassismus zu sein. Das wäre eine ziemliche Selbstüberschätzung. 

IslamiQ; Was ist rassismuskritische Bildungsarbeit? 

Prof. Dr. Rudolf Leiprecht: Warum sagt man nicht einfach „antirassistische“ Bildungsarbeit? Von meinem wissenschaftlichen Standpunkt aus ist die Unterscheidung zwischen rassismuskritisch und antirassistisch nicht unbedingt relevant. Ich merke allerdings, dass im öffentlichen Diskurs diese Unterscheidung wichtig zu sein scheint. Antirassismus wird dort gerne mit Links-Sein assoziiert. Dabei ist es eigentlich eine grundlegende gesellschaftliche Aufgabe, genauso wie Antifaschismus, die eben nicht nur das linke Spektrum betrifft, sondern alle.

Der „kritische“ Umgang mit Rassismus verdeutlicht, dass wir alle in rassistische Verhältnisse verstrickt sind. Also wenn das Wort „Türke“ fällt, haben die meisten eine stereotype und grob verallgemeinernde Vorstellung im Kopf und sollten diese kritisch hinterfragen: „Woher kommt diese Vorstellung eigentlich her?“ Und hoffentlich: „Von dieser Vorstellung möchte ich mich nicht leiten lassen. Sondern: Ich möchte die Kontrolle über meine eigenen Gedanken haben.“ Solche Stereotype sind leider weitverbreitet. Die Wirkmächtigkeit dieser Stereotype wird durch Strukturen und Diskurse ständig vorantreiben. 

Rassismuskritik sollte den Menschen zeigen, dass sie in diesen historischen, strukturellen, diskursiven Verhältnissen verstrickt sind, nicht außerhalb von diesen Verhältnissen stehen, sondern mitten drinstecken. Es ist ein ständiger Prozess des Sich-Hinterfragens im Kampf gegen Rassismen. Man ist dazu aufgefordert nicht nur kritisch, sondern insbesondere selbstkritisch zu denken – eine Aufgabe, die uns, wie bereits gesagt, alle angeht. Genau diese Fähigkeit zur Selbstkritik, fern von Arroganz, muss rassismuskritische Bildungsarbeit vermitteln. Rassismus ist nämlich nicht nur ein Problem, dass durch die extreme Rechte verursacht wird. 

Und rassismuskritische Bildungsarbeit sollte also Wissen und Kompetenzen zur Selbstreflexion vermitteln, genauso wie zur Emanzipation und zu Empowerment.

Bei dem Wort „Kritik“ denken viele, dass es an erster Stelle um Intellektualität geht, um ‚richtiges‘ und ‚scharfes‘ Denken. Daraus entsteht leider oft wieder eine Hierarchie. Die einen können schreiben, haben die ‚richtigen‘ Worte, und die anderen müssen eben gut zuhören und lernen. So kann es aber meiner Erfahrung nach nicht funktionieren. Ich muss mich immer selbst als Teil des Problems mitdenken können, denn es geht ja letztlich um gesamtgesellschaftliche Verhältnisse, in denen ich mit drinstecke, und ich muss auch so auftreten. Es geht immer auch darum, dass ich selbst mitlerne.

Hier lohnt es sich auch, über Sprache und Handeln nachzudenken. Natürlich geht es viel um eine angemessenere Sprache. Niemand sollte durch Sprache verletzt oder ausgegrenzt werden, sollte feststellen müssen, dass er oder sie bei Fragen, die eigentlich alle angehen, überhaupt nicht mitgedacht wird. Zugleich geht es aber nicht nur um Sprache, sondern auch um Handeln. Ich habe lange Erfahrungen an der Universität gemacht. In meinem Berufsleben musste ich oft erleben, dass Menschen zwar kritisch gesprochen, aber nicht entsprechend gehandelt haben. Sie konnten gute Texte schreiben, aber mit Menschen, vor allem mit ihren eigenen Studierenden, nicht so umgehen, wie man es aufgrund ihrer eigenen Text vermuten würde. 

IslamiQ: Was ist der Unterschied zwischen rassismuskritischer Bildungsarbeit von Kindern/jungen Menschen und Erwachsenen?

Prof. Dr. Rudolf Leiprecht: Rassismuskritische Bildungsarbeit findet nicht nur in Kindertagesstätten, in der Schule oder in der Jugendarbeit statt. Menschen mit Professionen, in denen mit anderen Menschen kommuniziert wird, in denen Machtverhältnisse eine große Rolle spielen, sind aus professionellen Gründen ebenfalls Adressat*innen rassismuskritischer Bildungsarbeit. Also Menschen in der Justiz, in der Polizei, in der Verwaltung, im Gesundheitssystem, in der Bildung, in der Sozialen Arbeit. In diesen Professionen geht es um Beziehungen zwischen Menschen und um wechselseitige Erwartungen und Zuschreibungen. Da kann viel schiefgehen. Dementsprechend ist es wichtig, dass diese sich mit Rassismus auseinandersetzen und sich regelmäßig fragen: Und wie ist mein Verhältnis zu rassistischen Strukturen und Diskursen? Was macht die Organisation, in der ich arbeite? Realisiert sie tatsächlich, dass die Würde des Menschen geschützt und verteidigt wird?

Erwachsene haben ein größeres Ausmaß an Verantwortung. Sie sollten, zumindest wäre das der Anspruch, kognitiv in der Lage zu sein, gesellschaftliche Verhältnisse zu durchschauen, zu reflektieren und den eigenen Beitrag diesbezüglich einzuschätzen. Kinder benutzen Rassismen, ohne zu wissen, was sie tun. Erwachsene können sich auch wie Kinder verhalten, aber eigentlich sollten sie wissen können, was sie tun.

Kinder merken vielleicht, wenn sie ein rassistisches Wort benutzen und ein anderes Kind daraufhin anfängt zu weinen, dass sie das umstrittene Spielzeug bekommen und mächtiger sind als das andere Kind. Aber sie wissen nicht genau, was Rassismen eigentlich sind, woher sie kommen, wie sie funktionieren, welche Auswirkungen sie haben, sondern sie erleben Rassismen als ein nützliches Instrument.  

Jugendliche wiederum sollten etwas weiter auf dem Weg sein, zu wissen, was sie tun, und sie tragen dementsprechend auch mehr Verantwortung. Das zeigen auch Diskussionen über das Wahlrecht mit 16 Jahren. Sie werden als Bürger*innen in der Gesellschaft wahrgenommen und können teilweise über die Verhältnisse mitbestimmen. 

Und mit Erwachsenen zu arbeiten, bedeutet, mit Menschen zu arbeiten, die Verantwortung tragen und an ihren jeweiligen Orten, in ihren jeweiligen Positionen, in ihren jeweiligen Möglichkeitsräumen auch verantwortlich sind für rassistische Verhältnisse in der Gesellschaft. Also natürlich nicht alleinverantwortlich, sondern eben – gewissermaßen ‚maßstabsgerecht‘ – mitverantwortlich.

IslamiQ: Welche Herausforderungen bestehen in der rassismuskritischen Bildungsarbeit mit Kindern und Erwachsenen?

Prof. Dr. Rudolf Leiprecht: Viele Professionen nehmen oftmals Diskussionen über Rassismus als einen direkten Vorwurf wahr. Als wolle man sie schlecht machen. Wenn man beispielsweise Schulleiter auf rassistische Vorfälle in der eigenen Schule anspricht, denkt dieser an den Ruf der Schule und möchte diese Vorfälle auf keinen Fall öffentlich machen. Dabei geht es hautsächlich um die Verbesserung der Arbeit. Gerade Rassismuskritik kann dabei helfen. 

Bei der Polizei besteht das gleiche Problem. Dabei sollten sich Polizist*innen fragen: Warum bin ich Polizist geworden? Möchte ich meine Männlichkeit, meine Autorität durchsetzen? Möchte ich lediglich eine Waffe tragen? Oder wollte ich für mehr Gerechtigkeit sorgen und machtlosen Menschen zu ihrem Recht verhelfen? Wenn dies der Fall wäre, was bedeutet dann das eigentlich? Durch solche Fragen kann man Zugänge finden.

Ich als Universitätsprofessor, als Pädagoge, als Lehrer, als Fortbildner darf aber in der Bildungsarbeit nicht so tun, als ob ich mit diesen rassistischen Strukturen und Diskursen in meiner verantwortlichen Position nichts zu tun hätte. Auch wenn die Konflikte der Arbeitsfelder recht unterschiedlich sind, haben Lehrer*innen nicht weniger mit Rassismen zu tun als Polizist*innen. 

Das Auftreten von Menschen, die rassismuskritisch arbeiten wollen, ist also ziemlich wichtig. Sie dürfen sich nicht als die ‚besseren‘ Menschen darstellen, sondern sollten Rassismuskritik und Antirassismus als eine gemeinsame Aufgabe begreifen. In der Theorie klingt dies natürlich viel einfacher als es in der Bildungspraxis dann ist. 

IslamiQ: Was würden Sie einer Schule empfehlen, die sich im Bereich Rassismuskritik sensibilisieren möchte? (Stichwort: Schule ohne Rassismus)

Prof. Dr. Rudolf Leiprecht: Vorab gesagt: Es gibt keine Schulen ohne Rassismus. Man könnte solche Schulen als eine Schule sehen, die sich vorgenommen hat, gegen Rassismen zu kämpfen. Es muss Lehrer*innen klar sein, dass sie in einem System arbeiten, wo aktiv Selektion stattfindet und dass diese Selektion etwas mit dem Alltag von Schüler*innen macht. 

Wenn ich als Lehrer*in meinen Schüler*innen sage, dass Rassismus schlimm ist, aber zugleich deutlich ist, dass ich nicht merke, dass ich in einem Bildungssystem arbeite, das selektierend wirkt und vielen Menschen die Zugänge zu Bildung und zu Lebenschancen verwehrt, dann bin ich nicht glaubwürdig, dann handelt es sich bei der rassismuskritischen Aussage lediglich um eine schöne Sonntagsrede. Lehrer*innen muss klar werden, dass die eigene Alltagspraxis in der Schule zu den eigenen ‚Botschaften‘ irgendwie passen muss. 

Lehrer*innen und Pädagog*innen sollten zudem Schüler*innen nicht von oben herab behandeln, wie: „Ich weiß was Rassismus ist. Ich bin die Lösung. Ihr seid das Problem. Der Rassismus ist bei Euch Schüler*innen und ich bin der antirassistische Pädagoge. Ich erzähle euch, was Rassismus ist, ihr lernt das und dann ist das Thema Rassismus auch schon vorbei.“ Diese Herangehensweise schafft ein hierarchisches Verhältnis zwischen Lehrer*innen und Schüler*innen. Es handelt sich dabei um keine Auseinandersetzung auf Augenhöhe. 

Wichtig wäre es, beim Thema Rassismus eine gemeinsame Untersuchung zu starten und Fragen zu stellen, wie: „Wo gibt es denn Rassismus in unserer Schule, in den Nachbarschaften, an unserem Wohnort? Was habe ich selbst damit zu tun? Wer fühlt sich warum verletzt? Wer wird ausgegrenzt? Was können wir eigentlich dagegen tun? Und weshalb wollen wir etwas dagegen tun? Vielleicht, weil wir unser Leben in der Schule besser machen wollen?“ 

IslamiQ: Welche Rolle spielt Sprache in diesem Bereich?

Prof. Dr. Rudolf Leiprecht: Wie bereits gesagt: Sprache ist enorm wichtig. Es ist wichtig, sensibel mit Sprache umzugehen und so zu sprechen, dass Menschen nicht verletzt, ausgegrenzt oder ignoriert werden. Jedoch sollte man dabei gleichzeitig auch nicht überheblich sein. Es passiert manchmal, dass Studierende, die irgendwas zu Rassismuskritik gelernt haben, in Bezug auf Sprache hochsensibel geworden sind und dann Sachen sagen, wie: „Das, was du jetzt sagst, das geht nicht. Das ist falsch. Du musst das lernen.“ Und das sagen die dann zu Menschen, die nicht das Privileg hatten, an der Universität zu studieren.

So wird man ein Teil des Problems – man wird arrogant und überheblich. Dabei heißt es nicht, dass man weniger rassistisch ist, als jemand, der sich dazu noch keine Gedanken gemacht hat und so spricht, wie er das gelernt hat. Man schafft durch eine Art Sprachpolizei wieder Asymmetrien, obwohl man diesen entgegenwirken wollte. Dabei kommt es gerade darauf an, dass wir Verhältnisse durchschauen und versuchen, diese auch durch eine angemessenere Sprache zu ändern. Wichtig ist also wieder: Augenhöhe. Man darf nicht vergessen, dass Sprache in diesem Bereich zwar unverzichtbar ist, aber trotzdem auch nicht alles sein kann.  

IslamiQ: Wo sehen Sie den größten Bedarf für rassismuskritische Bildungsarbeit und warum? 

Prof. Dr. Rudolf Leiprecht: Leider sehe ich den Bedarf überall. Also von der Kindertagesstätte bis zur Polizei, vom Krankenhaus bis zur Schule. Jedoch ist der Bedarf für rassismuskritische Bildungsarbeit in der Schule schon sehr wichtig. Alle müssen durch die Schule hindurch. Diese soll einerseits Bildung und Wissen vermitteln, anderseits sollte sie aber auch bei den Schüler*innen ein Mehr an Selbstbewusstsein und Selbstwertgefühl und die Fähigkeit zur Reflexion schaffen. Man muss sich aber auch vor Augen halten, dass das Schulsystem ein sehr widersprüchliches Gebilde ist. Durch Selektionsmechanismen und Zugangsbarrieren wird eine Emanzipation – und in dem Begriff Bildung steckt ja die Aufforderung zur Emanzipation – schon von vornherein behindert. 

Der Bedarf ist in der Justiz und in der Polizei ebenfalls enorm wichtig. Diese Bereiche bestimmen die Art und Weise, wie Kriminalität in unserer Gesellschaft bestimmten Lebenslagen und Klassenverhältnissen zugeschrieben wird ist. Das finde ich hochproblematisch. Kriminalität wird vor allem bei den Ärmeren gesucht und nicht bei denen, die reich, mächtig und korrupt sind. 

Das Interview führte Enise Yılmaz.