Seit Jahren beschäftigt sich Jürgen Micksch mit den Themen Rassismus und das Miteinander der Religionen. Nun wurde ihm das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse verliehen. Ein Gespräch.
IslamiQ: Sie gehören zu den Personen in Deutschland, die sich seit vielen Jahren aktiv für den Kampf gegen (antimuslimischen) Rassismus einsetzen. Bundespräsident Steinmeier hat Ihnen nun für Ihr „bedeutendes Wirken gegen Rassismus und für ein Miteinander der Menschen und Religionen“ das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse verliehen.Können Sie Ihren Werdegang kurz darstellen? Warum ist Ihnen dieses Thema so wichtig, was ist Ihre Motivation?
Jürgen Micksch: Seit Mitte der Siebzigerjahre bemühte ich mich als damaliger Ausländerreferent der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) um ein gutes Miteinander mit zugewanderten Menschen. Im Jahr 1976 gründete ich auf Bundesebene die Islamisch-Christliche Arbeitsgruppe (ICA), in der wir uns auf Augenhöhe mit Muslimen um ein gutes Zusammenleben bemühten. Im Jahr 1980 veröffentlichte ich die Broschüre „Miteinander mit Muslimen“, die eine Auflage von über 200.000 Exemplaren erreichte. Weitere Veröffentlichungen wie z.B. „Antimuslimischer Rassismus“ im Jahr 2009 folgten und erreichten teilweise hohe Auflagen.
Im Jahre 2002 gründete ich das „Deutsche Islamforum“ und viele weitere Foren. Immer ging es mir dabei um ein besseres Verständnis für die zugewanderten muslimischen Menschen in Deutschland. Denn das Miteinander ist für die Menschen, die hier leben und zugewandert sind, eine neue und historische Erfahrung, die natürlich auch Konflikte mit sich bringt.
IslamiQ: Schon in den 1980er-Jahren haben Sie die These aufgestellt, dass die Bundesrepublik eine multikulturelle Gesellschaft sei. Wie sind Sie zu dieser Einschätzung gekommen? Und wie hat sich diese These aus Ihrer Sicht seitdem entwickelt?
Micksch: In der damaligen Zeit gingen die meisten Menschen davon aus, dass die „ausländischen Arbeitnehmer“ einige Zeit in Deutschland arbeiten und dann wieder zurückkehren. Dem gegenüber war ich davon überzeugt, dass Deutschland durch die Zuwanderung zu einem Einwanderungsland geworden ist. Darauf haben sich Staat und Gesellschaft einzustellen. Und dazu gehört es, die Vielfalt der Kulturen zu erkennen und zu akzeptieren, die unser Land auf Dauer verändert. Daher formulierte ich die These, dass die Bundesrepublik zu einer multikulturellen Gesellschaft geworden ist. Dies führte zu einer kontroversen Debatte, die unsere Gesellschaft sehr geprägt hat. Inzwischen ist es zu einer Selbstverständlichkeit geworden, dass Deutschland eine multikulturelle Gesellschaft ist. Nur noch wenige Extremisten bezweifeln diese Realität.
Es gibt ungezählte interkulturelle Institutionen, wissenschaftliche Lehrstühle und Projekte. Die von mir gegründete „Interkulturelle Woche“ mit jährlich etwa 5.000 Veranstaltungen ist ein Beispiel dafür.
IslamiQ: Wie hat sich die Stimmung der Gesellschaft gegenüber Muslimen im Laufe der Zeit verändert?
Micksch: Es gibt große Schwankungen in der Stimmung gegenüber Muslimen. In den ersten Jahren der Zuwanderung wurden Muslime nicht beachtet. Ende der Siebzigerjahre wurde mit Schrecken festgestellt, wie viele Muslime es in Deutschland gibt und es folgten aggressive Reaktionen wie die Diskussion um den angeblichen Untergang multikultureller Gesellschaften. Bundeskanzler Helmut Kohl gewann seine ersten Wahlen mit dem Versprechen, die Zahl der zugewanderten Menschen zu halbieren – am Ende seiner Amtszeit waren es mehr als vorher.
Ein Einschnitt waren die Terror-Angriffe am 11. September 2001. Menschen bekamen Angst vor Muslimen. Die Stimmung war katastrophal. Es hat Jahre gedauert, bis sich das wieder änderte. Dann kamen die Verbrechen durch den sogenannten „Islamischen Staat“. Dadurch verstärkten sich Vorurteile und der antimuslimische Rassismus. Terroristische Anschläge wurden häufig in Verbindungen zu muslimischen Einrichtungen gebracht und erschwerten das Miteinander.
Erst in den letzten Jahren wurde immer deutlicher, dass solche Anschläge von den meisten Muslimen und ihren Organisationen verurteilt werden. Inzwischen haben viele Kooperationen mit Muslimen gezeigt, dass ein gutes Miteinander mit Muslimen in Deutschland möglich ist.
IslamiQ: Seit Jahren sind Sie im Dialog mit Muslimen und deren Organisationen. Welche Veränderungen haben Sie im Laufe der Zeit beobachten können?
Micksch: In den Anfangsjahren waren weder die Menschen in Deutschland noch die zugewanderten Muslime auf ein Miteinander vorbereitet. Es gab auch kaum muslimische Organisationen. Wir sprachen vor allem mit einzelnen muslimischen Persönlichkeiten. Das hat sich grundlegend geändert.
Inzwischen sind religiös aktive Muslime in Religionsgemeinschaften organisiert, die sich kennen und kooperieren, sowie zu Dialogen mit der Gesellschaft bereit sind. Es gibt Hunderte an Gesprächsgruppen mit Muslimen, die große Auswirkungen auf ein gutes gesellschaftliches Miteinander haben. Muslime sind in allen gesellschaftlichen Bereichen sowie im politischen Leben präsent und das prägt das Bewusstsein dafür, dass sie zur deutschen Gesellschaft gehören.
Seit einigen Jahren öffnen sich Muslime auch verstärkt zu anderen Religionsgemeinschaften. Gesprächsgruppen mit Muslimen nehmen weitere Religionsgemeinschaften auf und werden damit nicht mehr als eine besondere Gruppe wahrgenommen. Muslime gehören wie Aleviten, Bahai, Buddhisten, Christen, Eziden, Hindus, Juden und Sikhs zu unserer multireligiösen Gesellschaft und sind häufig besonders aktiv. Das zeigt sich z.B. bei den Internationalen Wochen gegen Rassismus, bei denen alle diese Religionsgemeinschaften mitwirken und an denen sich jährlich über 1.800 Moscheegemeinden beteiligen – deutlich mehr als christliche oder andere Religionsgemeinden.
IslamiQ: Können Sie uns ein positives und ein negatives gesellschaftliches Ereignis nennen, die Sie in Ihrer Arbeit geprägt haben?
Micksch: Die Anschläge vom 11. September 2001 haben dazu beigetragen, dass wir Abrahamische Teams eingerichtet haben, bei denen Juden, Christen und Muslime gemeinsam in Schulen und zu anderen Veranstaltungen gehen, um über Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu sprechen und dadurch vor allem antisemitische und antimuslimische Vorurteile abzubauen. Gleichfalls war dieses Ereignis der Anlass zur Gründung des Deutschen Islamforums im Jahr 2002, bei dem Konflikte im Zusammenleben erörtert wurden.
Gestärkt fühlten wir uns durch die Einrichtung der Deutschen Islam Konferenz im Jahr 2006. Die Bundesregierung griff dabei Erfahrungen unseres Islamforums auf und vermittelte der Öffentlichkeit, dass Dialoge und Kooperationen mit Muslimen möglich und eine wichtige Aufgabe in unserer Gesellschaft sind.
IslamiQ: Auf Bundes- und Länderebene gibt es viele Dialogplattformen mit Muslimen. Wie bewerten sie diese und welche Verbesserungsmöglichkeiten sehen sie bei diesen Formaten?
Micksch: Diese Dialogforen haben und hatten eine wichtige Funktion für ein gutes Miteinander mit Muslimen. Inzwischen können sie weiterentwickelt werden zu Dialogplattformen auch mit anderen Religionen. Dadurch steht der Islam nicht mehr im Vordergrund, was den Eindruck verstärkt, dass ein Miteinander mit Muslimen besonders problematisch ist. Vielmehr sollte künftig vermittelt werden, dass wir in Deutschland unterschiedliche Religionsgemeinschaften mit jeweils eigenen Problemen haben. Wichtig dabei ist, dass diese Religionsgemeinschaften zusammenarbeiten und dazu beitragen, dass Konflikte aus den Herkunftsländern nicht nach Deutschland übertragen werden.
IslamiQ: Welche konkreten Handlungsempfehlungen haben Sie für den Staat und für die muslimischen Religionsgemeinschaften im Hinblick auf den Dialog?
Micksch: Dialoge mit und zwischen den Religionsgemeinschaften sind entscheidend für ein friedliches Miteinander in Deutschland. Deshalb würde ich mir wünschen, dass sich die Deutsche Islamkonferenz öffnet hin zu einer Deutschen Konferenz der Religionen. Und wo es bereits solche Kooperationen gibt, wie z.B. im „Forum Religionen“ beim Abrahamischen Forum in Deutschland, da wäre eine staatliche Förderung wünschenswert.
IslamiQ: Die Stiftung gegen Rassismus organisiert die Internationalen Woche gegen Rassismus, bei denen dieses Jahr über 4.300 Veranstaltungen stattfanden. Das gibt Hoffnung. Allerdings befindet sich die AfD aktuell im Höhenflug, was wiederum viele Menschen verunsichert. Was bedeutet der Umfragetrend der AfD für die Entwicklung der Islamfeindlichkeit im Land?
Micksch: Durch die AfD werden antisemitische, islamfeindliche und rassistische Einstellungen im Land gestärkt. Je erfolgreicher sie wird, desto mehr antisemitische, antimuslimische und rassistische Anschläge sind zu erwarten. Deshalb sind Kooperationen religiöser Gemeinschaften und zivilgesellschaftlicher Einrichtungen so wichtig, die beispielhaft bei den Internationalen Wochen gegen Rassismus erfolgen.
Das Interview führte Muhammed Suiçmez.