Die vom Verfassungsschutz bundesweit als rechtsextremer Verdachtsfall eingestufte AfD feiert Erfolge bei Landrats- und Bürgermeisterwahlen im Osten. Nun könnte sie dort bald auch einen Oberbürgermeister stellen. Sind das Vorboten für die Kommunalwahlen 2024 im Südwesten?
Der derzeit vorherrschende Unmut in der Bevölkerung könnte sich nach Einschätzung von Südwest-Politikern bei den Kommunalwahlen im kommenden Jahr widerspiegeln. Sie setzen aber darauf, bis dahin wieder das Vertrauen der Menschen zu gewinnen. Dafür bleibe jedoch nicht mehr viel Zeit, sagte Städtetagspräsident Frank Mentrup (SPD) der Deutschen Presse-Agentur in Karlsruhe. „Sonst verfestigt sich so eine Unzufriedenheit.“ Er wünsche sich, dass sich mehr Parteien sehr offensiv der aktuellen Diskussion stellen.
„Wenn es zum Zeitpunkt der Kommunalwahlen weiter diese Unzufriedenheit gibt, dann hat das sicherlich auch Auswirkungen darauf, dass eher am rechten oder linken Rand stehende Parteien mit Zuwächsen rechnen können“, sagte Mentrup. Verunsicherung führe immer zu Zuwächsen an den Rändern. „Jetzt gibt es auf der linken Seite im Moment kein Angebot, das überzeugt“, analysierte Mentrup.
Von einem Rechtsruck wolle er aber trotz der Erfolge der AfD bei einer Bürgermeisterwahl in Sachsen-Anhalt und einer Landratswahl in Thüringen sowie dem Umfragehoch der Partei nicht sprechen. Ergebnisse von Umfragen seien oft volatil, bis zum 9. Juni könne sich viel tun.
Gemeindetagspräsident Steffen Jäger erklärte, auf Ebene der Städte und Gemeinden stehe weniger die Parteipolitik im Vordergrund, sondern vielmehr das Suchen nach pragmatischen und sachgerechten Lösungen. „Schließlich geht es in der Kommunalpolitik um das Gelingen des gesellschaftlichen Zusammenlebens in unseren Städten und Gemeinden.“
Der Pforzheimer Oberbürgermeister Peter Boch (CDU) erwartet, dass Stadtparlamente nach der Kommunalwahl weiter zersplittern. Momentan sei die Gesellschaft sehr gespalten, sagte er. „Demokratie ist nicht immer einfach.“ Wenn in einem Gremium immer mehr Gruppierungen und Fraktionen sind, ließen sich Einzelmeinungen kaum noch zusammenführen und in einen Kompromiss einschließen. „Dort Mehrheitsfindung zu betreiben, das wird spannend“, sagte er. Da hebele sich Demokratie vielleicht ein Stück weit auch aus. 13 Listen waren in Pforzheim in den Gemeinderat gewählt worden, einige schlossen sich zusammen.
Explizit von einem Rechtsruck sprach auch Boch nicht. „Aber jemand, der bislang nicht in der Verantwortung war oder ist, hat es natürlich einfacher mit populistischen Äußerungen“, sagte der CDU-Mann. Mit 15,8 Prozent lag der Stimmenanteil für die AfD bei der Landtagswahl 2021 in Pforzheim so hoch wie in keinem anderen Wahlkreis. Fünf Jahre zuvor hatte die AfD hier – wie in Mannheim – ein Direktmandat geholt.
Bezogen auf den Hype um die aktuellen AfD-Erfolge dürfe das nicht vergessen werden, sagte auch Mentrup. „Es ist also auch bei uns nicht etwas völlig Neues, dass AfD-Politiker in gewichtige politische Funktionen kommen.“ Da zieme es sich nicht, mit Fingern auf Menschen in einem kleinen Landkreis im Osten der Republik zu zeigen.
Eine Chance sieht der Verbandspräsident darin, dass die Kommunalwahlen wieder zeitgleich mit den Europawahlen stattfinden. Beim letzten Mal habe das zu einer gestiegenen Wahlbeteiligung geführt; mehr junge Menschen als sonst üblich seien zur Wahl gegangen. Und im Endeffekt habe es trotz Befürchtungen keinen Rechtsruck gegeben, sagte Mentrup. Insofern könnte die Grundstimmung zu Europa einen größeren Einfluss auf die Kommunalwahlen haben als die Frage, wie gerade die Stimmung zur deutschen Politik ist.
Derzeit gebe es viel Verunsicherung, stellte der Pforzheimer Oberbürgermeister Boch fest und nannte die Themen Energie, Inflation, Krieg, Flüchtlinge und bezahlbarer Wohnraum. Politiker müssten Lösungswege aufzeigen und Hoffnung geben. „Wir tun alle gut daran, wenn wir hier Ruhe in den Karton reinkriegen.“
Nichts sei näher an Menschen als Kommunalpolitik. Beim Heizungsgesetz etwa habe „hier die Hütte gebrannt“, sagte Boch. „Bei mir saßen Leute am Tisch und haben geweint, weil sie nicht wissen, was auf sie zukommt. Das sind Ängste, die auf kommunaler Ebene aufschlagen.“
Die Kommunen stünden vor dem Problem, dass man Geld und Flächen nur einmal nutzen könne, es aber vielfachen Bedarf gebe: für Flüchtlingsunterkünfte, für den Bau von Kitas oder Schulen, für (sozialen) Wohnungsbau oder um Bestand energetisch zu sanieren.
Gemeindetagspräsident Jäger betonte zudem, dass es auch wieder mehr Vertrauen in die Kommunen brauche. „Denn diese haben ein gutes Gespür dafür, was für die Zukunftsfähigkeit benötigt wird, aber auch was in Zeiten knapper Kassen und leerer Arbeitsmärkte wirklich wichtig und machbar ist“, erklärte er. „Und bei nüchterner Betrachtung ist die Vielzahl der Leistungsversprechen eben nicht mehr erfüllbar. Die Kommunen – als letzte in der Kette der staatlichen Ebenen – erfahren das gerade leidvoll.“ Neues Vertrauen könne aber nur dadurch begründet werden, dass der Staat auch im Stande sei, das zu liefern, was er zusagt. Daher gelte: „Prioritäten setzen und weniger zusagen.“ (dpa/iQ)