Rechtsextremismus

Razzien und Verbot gegen rechtsextremistische „Artgemeinschaft“

Vergangene Woche hat die Innenministerin eine Neonazi-Gruppierung verboten. Jetzt geht es gegen andere Rechtsextremisten. Die Polizei durchsucht die Wohnungen von Anhängern eines rassistischen Vereins mit pseudoreligiöser Ideologie.

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09
2023
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Gewalttaten, Terrorgefahr von Rechts, Hasskriminalität, (c)shutterstock, bearbeitet by iQ
Gewalttaten, Burg , Terrorgefahr von Rechts, Hasskriminalität (c)shutterstock, bearbeitet by iQ

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hat eine weitere rechtsextremistische Vereinigung verboten. Einsatzkräfte der Polizei durchsuchten am Mittwochmorgen 26 Wohnungen von 39 Mitgliedern sowie Räume des Vereins „Die Artgemeinschaft – Germanische Glaubens-Gemeinschaft wesensgemäßer Lebensgestaltung“ in zwölf Bundesländern, wie das Innenministerium in Berlin mitteilte.

Das Verbot gegen die Vereinigung, die sich häufig in einem Hotel in Thüringen traf, wurde nach Angaben des Ministeriums seit mehr als einem Jahr vorbereitet. Maßgeblich seien hierbei Erkenntnisse des Verfassungsschutzes gewesen, hieß es. Die Vereinigung richte sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung und den Gedanken der Völkerverständigung.

Durchsuchung bei Beamten

In Rheinland-Pfalz durchsuchten dem Landesinnenministerium zufolge rund zehn Beamtinnen und Beamte des Landeskriminalamts und des Polizeipräsidiums Mainz das Wohnanwesen eines Ehepaars im Landkreis Alzey-Worms. „Bei den Personen handelt es sich um langjährige Mitglieder der 1951 gegründeten Organisation“, hieß es. Die Polizei stellte unter anderem Kommunikations- und IT-Geräte sowie Unterlagen sicher. Insgesamt werde der „Artgemeinschaft“ im Bundesland eine Personenzahl im mittleren einstelligen Bereich zugerechnet, hieß es.

Nach dem Verbot der „Hammerskins Deutschland“ zeige der Rechtsstaat einmal mehr, „dass er wehrhaft ist und rechtsextremistischer Gesinnung entschieden begegnet“, teilte Innenminister Michael Ebling (SPD) mit. Der Rechtsextremismus stelle nach wie vor die größte Bedrohung für die freiheitliche demokratische Grundordnung dar. Wie ernst der Staat diese Bedrohung nehme, dokumentiere „das entschlossene Vorgehen der Sicherheitsbehörden“.

Faeser beschrieb „Die Artgemeinschaft“ in einer Mitteilung als „sektenartige, zutiefst rassistische und antisemitische Vereinigung“. Die Ministerin begründete ihre Entscheidung auch mit dem Kindeswohl: „Diese rechtsextremistische Gruppierung hat versucht, durch eine widerwärtige Indoktrinierung von Kindern und Jugendlichen neue Verfassungsfeinde heranzuziehen.“

Durchsuchungen in mehreren Bundesländern

Laut Bundesinnenministerium umfasst das Verbot auch alle Teilorganisationen der Bewegung, die nach Schätzungen des Ministeriums rund 150 Mitglieder hat. Dazu gehörten sogenannte „Gefährtschaften“, „Gilden“, „Freundeskreise“ und ein Verein namens „Familienwerk“. Durchsucht wurde den Angaben zufolge in Baden-Württemberg, Bayern, Brandenburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und Thüringen. Aus Sicherheitskreisen hieß es, eine größere Siedlung zum gemeinschaftlichen Wohnen habe die „Artgemeinschaft“ nicht gegründet.

In der vergangenen Woche hatte Faeser die elitäre Neonazi-Gruppierung „Hammerskins Deutschland“ verboten. Vor allem durch die „manipulativ indoktrinierende Erziehung ihrer Kinder“ und den Vertrieb entsprechender Schriften sei die „Artgemeinschaft“ nicht weniger gefährlich als die „Hammerskins“, sagte die Ministerin.

Zur Begründung des Verbots führte ihr Ministerium aus, die Siedlerbewegung verbreite unter dem Deckmantel eines pseudoreligiösen germanischen Götterglaubens ein gegen die Menschenwürde verstoßendes Weltbild. Zentrales Ziel sei die Erhaltung und Förderung der eigenen „Art“, was mit dem nationalsozialistischen Begriff der „Rasse“ gleichzusetzen sei.

Rechtsextreme Gruppierungen

Es lohne sich, Verbindungen der „Artgemeinschaft“ zur rechtsextremen Terrorzelle „Nationalsozialistischer Untergrund“ herauszuarbeiten, sagte die Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen-Bundestagsfraktion, Irene Mihalic. Zudem soll der Rechtsextremist Stephan Ernst, der 2019 den Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke erschossen hatte, der nun verbotenen Vereinigung zeitweilig angehört haben. Darauf deutet nach Informationen aus Sicherheitskreisen eine alte Mitgliederliste hin.

Die Grünen-Innenpolitikerin Misbah Khan sprach von einem wichtigen Schlag gegen die organisierte rechte Szene. Es brauche aber mehr als Vereinsverbote. Sie sagte: „Wir müssen endlich die Finanzstrukturen der Rechtsextremisten trockenlegen, ihre Entwaffnung voranbringen und eine konsequente Gesamtstrategie gegen Rechts auflegen.“

Der Verfassungsschutz führt Siedlungsbestrebungen von Rechtsextremisten in seinem aktuellen Jahresbericht gesondert auf. In dem Bericht heißt es, Ziel dieser Bewegungen sei zumeist der „Erhalt der Deutschen“. „Deutschsein“ werde hierbei vor allem unter Rückgriff auf den ethnischen Volksbegriff im Sinne der völkischen „Blut-und-Boden“-Ideologie definiert. Die „Artgemeinschaft“ taucht hier nicht auf. In einer Publikation des Verfassungsschutzes von 2020 wurde die Gemeinschaft als „die derzeit größte deutsche neonazistische Vereinigung mit völkischer, rassistischer, antisemitischer sowie antichristlicher Ausprägung“ bezeichnet. Ihre Mitglieder werden angehalten, möglichst viele Kinder zu bekommen. (dpa/iQ)