Der Nahostkonflikt spiegelt sich auch in deutschen Schulen wider. Das Bildungsministerium gibt den Lehrern die einzunehmende Haltung vor. Viele Lehrer kritisieren die selektive Solidarität.
Die Auswirkungen des andauernden Nahostkriegs sind auch in Deutschland spürbar, besonders in Schulen. Immer wieder kommt es in Schulen zu Konflikten, sei es auf dem Schulhof oder im Unterricht. So ging Mitte Oktober ein Video aus einer Berliner Schule viral, in dem ein Schüler eine palästinensische Fahne im Schulhof hochgehalten hatte. Berichten zufolge geriet er im Anschluss mit einem Lehrer in eine hitzige Diskussion, woraufhin der Lehrer ihn ohrfeigte. Die Ermittlungen zu diesem Fall laufen.
Wie es aus einer IslamiQ-Recherche hervorgeht, haben kurz vor Ende der Herbstferien mehrere Bundesländer ihren Lehrerinnen und Lehrern sowie den Schulleitungen eine Rundmail bezüglich dem aktuellen Nahostkonflikt verschickt. In den Briefen werden Lehrkräfte darin bekräftigt, den Nahostkonflikt im Unterricht zu thematisieren.
So heißt es in einem Rundschreiben aus NRW wie folgt: „Sie alle wissen aus Ihrer täglichen Arbeit im Lern- und Lebensort Schule um die Bedeutung einer von Offenheit, Respekt und Toleranz für verschiedene Ansichten geprägten Gesprächs- und Diskussionskultur in den Klassen und Stufen – und auch auf den Schulhöfen. (…) Offenheit, Respekt und Toleranz für verschiedene Ansichten finden aber seit jeher ihre Grenzen dort, wo Menschen beleidigt, erniedrigt, angegriffen und in ihrer Menschenwürde verletzt werden. Daher ist es uns in Anbetracht der schrecklichen Ereignisse im Nahen Osten wichtig, Sie darin zu bestärken, dass jeder antisemitischen oder israeldämonisierenden Äußerung sowie jeder menschenverachtenden Aussage entschieden entgegengetreten werden muss.“
Auch wenn viele Bundesländer ihren Lehrkräften auch Materialien für den Unterricht zur Verfügung gestellt haben, gibt es auch Lehrkräfte, die ihre eigenen Arbeitsblätter erstellt haben. Ein Berliner Abgeordneter teilte auf der Plattform X ein Arbeitsblatt, der in einer Berliner Schule verteilt wurde. In dem Arbeitsblatt stehen Fragen wie: “Ist es richtig, dass Hamas-Anhänger israelische Bürger im Krieg töten?“ Viele User kritisieren das Arbeitsblatt als Gesinnungsprüfung. Die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie dementierte den Inhalt auf Anfrage von IslamiQ als „Fake News“. Die Herkunft des Arbeitsblatts ist weiterhin unbekannt.
Doch wie wird der Nahostkonflikt in Schulen wirklich thematisiert? IslamiQ hat mit zwei muslimische Lehrern gesprochen.
Feride (32) ist Lehrerin für Mathematik und Philosophie. In der Schule beobachtete sie, wie ein palästinensischer Schüler und ein jüdischer Lehrer ständig in Konflikt gerieten. Feride, die bereits mehrfach Zeugin geworden ist, dass Schüler ihre Meinung nicht frei äußern konnten, erklärt, dass auch der betreffende Schüler zum Teil Schuld am Konflikt hatte. Er glaubte, er habe absichtlich schlechte Noten gegeben. Diese Behauptungen werden nie untersucht und niemand hört den Schülern zu. Bei solchen Themen werden den Aussagen des Lehrpersonals eine größere Bedeutung beigemessen. „Natürlich möchte ich, dass man auch mir als Lehrerin Bedeutung zumisst, aber man sollte auch den Schülern zuhören.“
Viele Schüler an Ferides Schule sind Muslime. Sie kann sich vorstellen, wie die Einstellungen und Meinungen vieler von ihnen nach dem Konflikt zwischen Israel und Palästina sind. Sie erinnert sich an ihre eigene Schulzeit: „Am 11. September hatte ich das Gefühl, ich wäre verpflichtet, etwas zu erklären. Jetzt fühle ich wieder dasselbe: Ich muss den Menschen etwas erklären. Ich denke, dass die Schüler auch das gleiche Bedürfnis haben, Dinge zu erklären.“
In einer E-Mail der Landesregierung stand, dass die Lehrer den Nahostkonflikt im Unterricht behandeln sollen. Dabei machten sie auch deutlich, dass die Schule mit dem israelischen Volk trauerte. Die Zivilisten in Palästina wurden ignoriert. „Diese einseitige Erklärung hat mich gekränkt, da ich auch um die getöteten Palästinenser trauerte“, so Feride.
Sie möchte das Thema im Philosophie-Unterricht thematisieren, um jeden Schüler die Möglichkeit zu geben, seine Gedanken frei zu äußern. Feride ist aber der Meinung, dass der Krieg erst aufhören muss, bevor man in den Schulen wirklich darüber sprechen kann.
Tarık (36) ist islamischer Religionslehrer. Die Atmosphäre in den Schulen beschreibt er folgendermaßen: „In vielen Schulen ist die Situation derzeit so angespannt, dass man gleich in eine bestimmte Schublade gesteckt wird, wenn man die gleiche Empathie für das Leiden der Palästinenser einfordert. Er betont, wie wichtig es ist, dass die Eltern mit den Lehrern sprechen und, dass sie ihnen zu erklären versuchen, warum ihre Kinder in diesen Tagen womöglich etwas angespannt sind. „Wenn die Lehrer sich unsensibel verhalten, müssen sie um Empathie für ihre Kinder bitten. Um ein Beispiel zu nennen: Ein Lehrer bat die Schüler, die Flaggen ihrer Länder zu zeichnen. Als dann ein palästinensisches Kind eine palästinensische Flagge zeichnete, strich der Lehrer sie durch.“ Für Tarık muss das Lehrpersonal weiterhin geschult werden, um ein solches Verhalten zu verhindern und damit Kinder nicht unter Generalverdacht gestellt werden.
Auch Tarık hat ein Schreiben vom Bildungsministerium erhalten. In den Briefen wird immer wieder betont, dass Israel bedingungslos unterstützt werden muss. Gleichzeitig wird auf die Notwendigkeit hingewiesen, jegliches gegen Israel gerichtetes Wirken zu stoppen. „Leider wird diese Solidarität nur von einer Seite eingefordert. Als Lehrer wünschte ich mir Solidarität mit allen zivilen Opfern der Bombardierungen in Gaza, bei denen auch viele Kinder ihr Leben verloren haben.“ Dieses Narrativ führt bedauerlicherweise auch dazu, dass Lehrkräfte beeinflusst und die Leiden der palästinensischen Schüler teilweise ignoriert werden.
Manche Lehrer wissen nicht, wie sie zwischen Antisemitismus und einer legitimen Kritik der israelischen Politik unterscheiden können, sagt Tarık. Das ist ein Problem im Schulalltag, da es deswegen zu Missverständnissen zwischen Lehrern und Schülern kommt. „In dieser nicht einseitig geführten Konfrontation muss die Lehrerschaft noch mehr geschult werden. Er sagt, dass die Landesregierung zwar ständig Fortbildungskurse mit den Themenschwerpunkten Antisemitismus, Israelfeindlichkeit und ähnliche Themen anbietet, die Lehrer aber mehr Schulungen zum Nahostkonflikt unter Einbeziehung der palästinensischen Sicht bräuchten.
Vielen Schülern ist es ein großes Bedürfnis über dieses Thema zu sprechen, wobei aber der Trauer und dem Schmerz der palästinensischen Seite kein Platz eingeräumt wird. Tarık meint, dass seine Schule gut mit dieser Situation umgehe. In Konfliktsituationen werde er von seinen Kollegen um Rat und Hilfe gebeten. In den meisten Fällen finden sie eine Lösung für die Probleme. „Die Schule, an der ich arbeite, geht mit dieser Situation vorbildlich um. Sie hat nämlich sofort einen Expertenrat einberufen, der alle Perspektiven berücksichtigt hat, um mit dieser Situation umzugehen.“