Bei einem rassistischen Brandanschlag in Solingen verlor Mevlüde Genç fünf ihrer Familienmitglieder. In derselben Nacht wurde sie eine Friedensbotschafterin.
Mevlüde Genç kam 1943 in der türkischen Stadt Amasya zur Welt. Mit 30 Jahren verließ sie ihre Heimat und wanderte mit ihrem Mann Durmuş Genç nach Deutschland aus. Solingen wurde ab da an ihre neue Heimat. Untergebracht war sie zunächst in einer einer Asylunterkunft. In einem für sie noch fremden Land arbeiteten sie hart für ihre neue Zukunft. Das Fremde wurde immer mehr zu einem neuen Zuhause. Und das neue Zuhause, wurde ihrer Heimat.
Das Jahr 1993 hat nicht nur die Familie Genç verändert, sondern hat auch Deutschland bis heute geprägt. In der Nacht zum 29. Mai 1993 wurden zwei Töchter, eine Nichte und zwei Enkelinnen von Mevlüde und Durmuş Genç durch einen rassistischen Brandanschlag von Neonazis auf ihr Haus in Solingen ermordet. Gürsün Ince (27), Hatice Genç (18), Gülüstan Öztürk (12), Hülya Genç (9), Saime Genç (4). 14 weitere Familienmitglieder erlitten zum Teil lebensgefährliche Verletzungen.
Der Sohn von Mevlüde Genç, Bekir Genç, erlitt so starke Verbrennungen, dass sein Leben bis heute von Krankenhausaufenthalten und Pflege bestimmt wird.
Bereits wenige Tage nach dem Anschlag wurden vier männliche Jugendliche aus der Solinger Nachbarschaft festgenommen. Sie waren zwischen 16 und 23 Jahren alt. Alle vier waren zuvor bereits mit rechtsextremen Äußerungen aufgefallen. Der Prozess gegen die vier Angeklagten startete im April 1994 vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf. Nach 18 Monaten – 127 Verhandlungstagen – wurden die Täter am 13. Oktober 1995 wegen fünffachen Mordes in Tateinheit mit 14-fachem versuchten Mord und besonders schwerer Brandstiftung zu Jugend- und Haftstrafen zwischen zehn und 15 Jahren verurteilt.
Solingen war nicht der Anfang, sondern der traurige Höhepunkt einer Welle rechtsextremer Gewalt in den Jahren nach der Wiedervereinigung.
Nach dem rassistischen Anschlag gingen viele Menschen auf die Straßen und protestierten gegen die Morde von Rechtsextremisten. Mevlüde rief nur wenige Tage nach dem Brandanschlag die Menschen dazu auf, nicht dem Hass zu verfallen und sich gegenseitig mit Liebe, Respekt und Frieden zu begegnen. „In der Nacht habe ich geweint. Aber am Tag habe ich meinen überlebenden Kindern ins Gesicht lächeln müssen, um dafür zu sorgen, dass der Hass nicht Eingang findet in ihre Herzen“.
In den Jahren nach dem rechtsextremen Mordanschlag auf ihre Familie rief sie immer wieder zur Versöhnung auf und erhielt für ihr zivilgesellschaftliches Engagement zahlreiche Auszeichnungen. 1996 wurde ihr das Bundesverdienstkreuz am Bande und 2015 der Verdienstorden des Landes NRW verliehen. Seit 2019 wird rund um den Jahrestag des Brandanschlags von Solingen am 29. Mai die Mevlüde-Genç-Medaille verliehen. Die Auszeichnung soll die vorbildliche Haltung von Mevlüde Genç in Erinnerung halten und damit zugleich diejenigen würdigen, die sich wie sie für Versöhnung, Toleranz und den gesamtgesellschaftlichen Zusammenhalt engagieren.
Mevlüde Genç starb am 30. Oktober 2022 im Alter von 79 Jahren.