Berlin

Islamkonferenz läuft an Muslimen vorbei

Der Nahostkonflikt überschattet die Deutsche Islamkonferenz. Neben Islamfeindlichkeit ist der Antisemitismus unter Muslimen ein zentrales Thema. Doch kamen Muslime kaum zu Wort.

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11
2023
Nancy Faeser redet auf der Islamkonferen
Nancy Faeser redet auf der Islamkonferenz © Henning Schacht, BMI, bearbeitet by iQ

Großer Presse-Andrang und Sicherheitskontrollen wie auf dem Flughafen: Im Bundesinnenministerium (BMI) startete am Dienstag die zweitägige Fachtagung der Deutschen Islamkonferenz (DIK). Ziel des Treffens war es, die Auswirkungen des Nahostkrieges auf die Gesellschaft zu analysieren. Anders als in früheren Jahren nahmen an den insgesamt drei Gesprächsforen keine Vertreterinnen und Vertreter des Koordinationsrats der Muslime teil. Auch wurde der ZMD nicht zu der Tagung eingeladen. Eine offizielle Begründung wurde nicht genannt.

Gastgeberin Nancy Faeser (SPD) nimmt die islamischen Religionsgemeinschaften in ihrer Begrüßungsrede in die Pflicht und räumt dem Problem Antisemitismus unter Muslimen viel Raum ein: Es reiche nicht, Synagogen zu besuchen und sich gegen Judenhass zu erklären, wenn dies nicht auch in den islamischen Gemeinden und in Freitagspredigten kommuniziert werde, appelliert sie.

Die muslimischen Vertreter, die den Großteil der Muslime in Deutschland, waren trotz ihrer unüberschaubaren Anzahl an Distanzierungen zum Nahostkonflikt, unter Druck geraten. Faeser stellt klar: „Die furchtbaren Terrorattacken der Hamas kennen kein ‚Aber‘. Denn dieser Terror verachtet alles, was wir an Werten haben.“ Wegen der Shoah sei Israels Sicherheit deutsche Staatsraison, bekräftigt sie. „Wer Bürger dieses Landes werden will, muss das wissen.“

Wulff: Judenhass im Islam verwurzelt

Auch Altbundespräsident Christian Wulff ruft die Muslime zur Selbstkritik auf. Antisemitismus gebe es im Koran und der islamischen Geschichte – und vielfach auch in der Erziehung. Muslime müssten sich dieser Wahrheit stellen. Für Wulff müsste es allen Muslimen klar sein, dass man nicht mehr in der Zeit der Propheten Muhammad lebe, wo Juden vertrieben wurden, sondern im Jahr 2024. Aus diesem Grund sollten auch Muslimen gegen Antisemitismus kämpfen. Aus Überzeugung wiederhole er aber seinen bekannten Satz „Der Islam gehört inzwischen auch zu Deutschland.“

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Für einige Zuschauer hörten sich die Grußworte für „lehrmeisterlich“, heißt es in der TAZ. Weitere vermissen das Mitgefühl mit den Muslimen und beklagen die steigende Islamfeindlichkeit nach dem 07. Oktober.

Kesici: Muslime werden verdächtigt

Der Vorsitzende des Islamrats Burhan Kesici kritisiert die Aussagen von Wulff. „Diese Behauptung von Herrn Wulff basiert auf einer fragwürdigen, voreingenommenen und verzerrten Lesart der islamischen Quellen. Weder aus der islamischen Theologie noch aus der islamischen Geschichte kann man einen sogenannten islamischen Antisemitismus herleiten, da dies einen klaren Kontrast zum islamischen Menschenbild darstellt“, so Kesici. Es sei ein modernes Phänomen, dass heute bestimmte Passagen über die Geschichten der gläubigen Völker in den heiligen Schriften zunehmend antisemitisch gelesen und instrumentalisiert werden. „Diesem Phänomen sollte man keine Bühne geben“.

Zur heutigen Tagung erklärt Kesici, dass er es Schade findet, dass keine der islamischen Religionsgemeinschaften auf dem Podium sitze oder in die Vorbereitung mit aufgenommen wurde. Die Veranstaltung laufe an den Muslimen vorbei. Es werde immer die Anforderung gestellt, dass Muslime sich einbringen und aktiv mitwirken sollen, „aber wie soll man das machen, wenn man sozusagen nur Zuschauer ist?“, fragt sich Kesici.

Weiterhin kritisiert Kesici auch die islamfeindliche Stimmung innerhalb der Gesellschaft und die Appelle der Politik. „Muslime werden seit Wochen verdächtigt, Sympathien für den Terror der Hamas zu haben.“ Deshalb fordere er eine „differenzierte Betrachtungsweise, insbesondere gerade, weil auch die Muslime ein Teil dieser Gesellschaft sind und vor allem sich auch deutlich gegen Antisemitismus und auch für das Existenzrecht Israels und Palästinas ausgesprochen haben“. Das müsste man der Fairness halber auch wahrnehmen.

Kalyon: Forderungen der Politik „dämonisiert“ Muslime

Auf Anfrage von IslamiQ erklärt Eyüp Kalyon, DITIB-Generalsekretär, dass die DITIB nach dem 7. Oktober den Terror und Antisemitismus in Deutschland sofort und „mehrfach und in aller Deutlichkeit kommuniziert“ habe. „Nicht, weil man das von uns verlangt hatte, sondern weil es unseren Glaubensprinzipien entspricht“, so Kalyon weiter. Die Distanzierungsforderungen der Politik würden nicht nur die muslimischen Vertreter, sondern alle Muslime „als ‚potenziell antisemitisch‘ markiert und diskriminiert, gar dämonisiert“.

Antimuslimischer Rassismus ist weitverbreitet

Zur Bekämpfung von Muslimfeindlichkeit kündigt Faeser für 2024 neue Initiativen an, etwa eine genauere Dokumentation und Anlaufstellen für Betroffene. Die Antwort auf Antisemitismus darf nach ihren Worten kein Islamhass sein. Die meisten der mehr als 5,5 Millionen Muslime in Deutschland seien in der demokratischen Gesellschaft verwurzelt. „Wir dürfen uns nicht spalten lassen.“

Anlass für den DIK-Schwerpunkt war im Juni der Bericht eines „Unabhängigen Expertenkreises Muslimfeindlichkeit“ im Auftrag des BMI. Antimuslimischer Rassismus und Diskriminierung sind demnach in der Gesellschaft weitverbreitet und alltägliche Realität, etwa gegen Kopftuchträgerinnen, auf dem Wohnungs- und Arbeitsmarkt. Methodik und Ergebnisse des Reports blieben damals nicht unwidersprochen. Faeser räumt ein, sie stehe nicht hinter allen Befunden des Berichts, ohne Details zu nennen.

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Leserkommentare

Emre sagt:
Vielen Dank für den informativen Bericht. Erinnert daran, von welchen Überzeugungen Andalusien versus Reconquista ausgegangen sind.
22.11.23
17:43
koranus sagt:
Hr Kesici beschwert sich über einen angeblichen Generalverdacht gegenüber Muslimen. Im selben Atemzug wird von ihm die "Gesellschaft" der Islamfeindlichkeit bezichtigt. Herr Kesici lamentiert also über ein Fehlverhalten, das er in demselben Atemzug gleichfalls praktiziert. Glücklicherweise distanziert sich Frau Faeser, wenn auch zögerlich und nur zum Teil, von der eigens in Auftrag gegebenen Studie zur Muslimfeindlichkeit, die haarsträubende Methodikmängel aufweist. Vor dem Hintergrund ist mir unverständlich, wie Frau Faeser so ein Pampflet überhaupt freigeben konnte.
22.11.23
19:21