Köln

IGMG kritisiert wachsenden Druck auf Muslime in Deutschland

Muslime sehen sich einem Distanzierungsdruck ausgesetzt – vor allem nach dem 7. Oktober. IGMG-Generalsekretär Ali Mete kritisiert den Umgang mit Muslimen und fordert mehr Sachlichkeit.

03
12
2023
Islamische Gemeinschaft Millî Görüş
Ali Mete, Generalsekretär der Islamischen Gemeinschaft Millî Görüş

In Deutschland wächst nach Ansicht der Islamischen Gemeinschaft Millî Görüş (IGMG) der Druck auf Muslime. Das zeigten unter anderem die aktuellen Debatten über Extremismus und den Krieg in Nahost, sagte Generalsekretär Ali Mete am Wochenende der „Neuen Osnabrücker Zeitung“.

„Von uns wird nicht nur erwartet, dass wir uns nach jedem Terrorakt distanzieren, sondern auch von Regierungen, von Personen, von Standpunkten, die als muslimisch motiviert gelesen werden“, kritisiert Mete. „Muslimen wird unterstellt, sie hätten eine Nähe zu solchen Taten oder würden sie insgeheim begrüßen.“ Das nähre Vorurteile.

„Wenn man davon ausgeht, Muslime dächten und handelten aufgrund ihres Glaubens alle gleich, spricht man ihnen ihre Individualität ab und nimmt sie in Sippenhaft“, so Mete weiter. „Dieses Denken ist gefährlich und sollte mit Blick auf die deutsche Geschichte längst überwunden sein.“ Außerdem seien die Standpunkte der IGMG gegenüber Terror und Gewalt seit jeher eindeutig. „Wir verurteilen jede Form von Hass und Gewalt, egal von wem sie ausgeht und wen sie trifft.“ Man sehe in der eigenen Religion Werte wie Frieden und Gerechtigkeit. „Das wird auch gepredigt“, so Ali Mete.

„Islamfeindlichkeit und Antisemitismus sind zwei Seiten derselben hässlichen Medaille“

Islamfeindlichkeit und Antisemitismus sind nach den Worten des Generalsekretärs „zwei Seiten derselben hässlichen Medaille“. Dabei handele es sich nicht um eine Erfindung von Muslimen oder Juden und auch nicht um einen Import, wie oft behauptet werde. „Der allergrößte Teil ist hausgemacht und kommt von Rechten beziehungsweise Rechtsextremisten.“ Wo es Angriffe auf Synagogen gebe, seien auch Moscheen gefährdet. Antisemitismus komme auch unter Musliminnen und Muslimen vor, „ähnlich wie in allen Bereichen der Gesellschaft“, so Mete.

Die Gemeinden der IGMG förderten daher Begegnungen zwischen Juden, Christen und Muslimen und versuchten, gegenseitiges Verständnis zu vertiefen; „etwa in unseren Predigten, unserer Jugend- und Bildungsarbeit“, erläuterte Mete. „Es kann keine Feindschaft gegen eine Religion und keinen Krieg im Namen einer Religion geben.“

Internationale Konflikte wirken sich auf Religionsgemeinschaften in Deutschland aus

Dessen ungeachtet wirkten sich internationale Konflikte auch auf die Religionsgemeinschaften in Deutschland aus, stellte Mete fest. In solchen Zeiten sei es selbstverständlich, dass man sein Beileid ausspricht und solidarisch ist, wenn einem Hass entgegentritt oder Gotteshäuser angegriffen werden, „und zwar ohne mit zweierlei Maß zu messen und Anteilnahme von Religion oder Herkunft abhängig zu machen“.

Die IGMG wurde 1967 von „Gastarbeitern“ aus der Türkei in Braunschweig gegründet. Laut Generalsekretär Ali Mete ist die Gemeinschaft inzwischen weltweit aktiv. In der Bundesrepublik engagierten sich für den Verband meist deutsche Staatsbürger. „Von einer türkischen Organisation zu sprechen, scheint mir daher nicht mehr angemessen“, so Mete. Allerdings fühlten sich viele Mitglieder wegen mit ihrer Herkunftsgeschichte mit der Türkei verbunden. Der Generalsekretär betonte zugleich: „Wir sind als Religionsgemeinschaft theologisch, personell, finanziell, in jeder Hinsicht unabhängig.“

Großteil der Imame in Deutschland ausgebildet

Derzeit kommen nach eigenen Angaben etwa 40 Imame in den bundesweit mehr als 400 Moscheen der IGMG aus der Türkei. Damit stamme der Großteil der Imame aus Deutschland.

„Ich gehe davon aus, dass in einigen Jahren keine Imame mehr aus der Türkei kommen müssen“; dies sei ohnehin nur eine Übergangslösung gewesen, „weil wir in Deutschland einen Imam-Engpass haben“, so Mete. Daher bilde man schon seit Langem Imame aus; „länger als in der Öffentlichkeit darüber diskutiert wird“. (KNA, iQ)

Leserkommentare

Salim Spohr sagt:
Zu Recht beklagt der Generalsekretär der Islamischen Gemeinschaft Millî Görüş, Ali Mete: „Von uns wird nicht nur erwartet, dass wir uns nach jedem Terrorakt distanzieren, sondern auch von Regierungen, von Personen, von Standpunkten, die als muslimisch motiviert gelesen werden“, moniert er. „Muslimen wird unterstellt, sie hätten eine Nähe zu solchen Taten oder würden sie insgeheim begrüßen.“ Das nähre Vorurteile. Zu einer Zeit, da alle Welt genau wie heute glaubte, daß Muslime sich als solche vom Terrorismus distanzieren müßten, hatte ich auf islampress (5. Juli 2007) einen Artikel gestellt, der sich, in etwas gekürzter Form, gerade heute als hilfreich erweisen könnte, sein Titel: „WARUM ICH MICH NICHT VOM TERRORISMUS DISTANZIERE“ Immer wieder werden Muslime, beispielweise vom Innenminister des Bundes, aufgefordert, sich vom Terrorismus zu distanzieren. Einmal genauer betrachtet, erweist sich eine solche Aufforderung als unsinnig und die offenkundige Folge eines peinlichen Denkfehlers. Ein der Tradition verpflichteter Muslim sollte ihr mit klaren Worten entgegentreten und erklären: »Ich distanziere mich nicht vom Terrorismus, aber nicht deshalb, weil ich für Terrorismus wäre — das bin ich keinesfalls!! —, nicht deshalb, weil ich ihn guthieße — das tue ich keineswegs!! —, sondern schlicht deshalb, weil ich mit Terrorismus gar nichts zu tun habe.« Von einem Muslim zu verlangen, er sollte sich vom Terrorismus distanzieren, heißt zugleich auch, ihn zwingen zu wollen, damit implizite zu erklären, dem Terrorismus als Muslim schon irgendwie nahezustehen oder nahegestanden zu haben. Ich werbe hier um Verständnis dafür, daß eine solche Forderung unbillig, ja diffamierend ist. Ihr liegt eine Art von Denkfehler zugrunde, den Sheikh Immanuel Kant einmal mit folgenden Worten hatte verhüten wollen: »Die Sinne irren nicht« und, um einem naheliegenden Irrtum entgegenzuwirken, fortfährt: »… aber nicht, weil sie immer wahr urteilen, sondern weil sie gar nicht urteilen«. Manche haben Schwierigkeiten, wenn sich die Negation nicht bloß auf eine der Arten bei stillschweigender Geltung der höheren Gattung (»analytische Opposition« (Kant)), sondern auf die Gattung selbst (»dialektische Opposition« (Kant)) bezieht. Wer nicht versteht, daß man auf zwei verschiedene Art negieren kann, sollte übrigens nicht Innenminister sein wollen. Und im Sinne jener besonderen Verwendung des Wörtchens »nicht« im Sinne der dialektischen Opposition Kants wehre ich mich gegen den Quatsch, zu glauben, Muslime müßten sich eis ipsis von etwas distanzieren, mit dem sie gar nichts zu tun haben. Sich von etwas zu distanzieren, hat doch nur dann einen Sinn, wenn man sich damit von etwas entfernt, dem man früher einmal nahegestanden hat. Da ich Terrorismus aber niemals gutgeheißen habe, da ich nie Terrorist war, wieso sollte ich mich also davon distanzieren, ja, schlimmer noch, davon überhaupt distanzieren können? Wenn, sich zu distanzieren, bedeutet, zu etwas Abstand zu nehmen, so ist das doch nur dann plausibel, wenn es zuvor eine Nähe gegeben hatte. Ohne diese vorangegangene Nähe macht es einfach keinen Sinn, ist es sogar widersinnig, sich zu distanzieren, wie es keinen Sinn macht, Nähe aufzugeben, die es nicht gibt und nie gegeben hat. Wenn Frau Merkel oder Herr Schäuble sich vom Terrorismus distanzieren würden, würden die Leute lachen und denken: »Aber sie haben doch damit gar nichts zu tun!« Genau so ist es in meinem Falle und im Falle der großen Zahl der Muslime in Deutschland und auf der ganzen Welt. Wir haben überhaupt keinen Grund, uns zu distanzieren, weil wir damit gar nichts zu tun haben. Der Irrsinn beginnt schon in dem Wahn, zu glauben, Muslime würden als solche dem Terrorismus nahestehen. Das ist einfach falsch und, es zu behaupten, verleumderisch. Ich sehe für mich jedenfalls keinen Grund, das zu tun. Ein Innenminister, der das nicht versteht, sollte seinen Posten räumen oder noch einmal die Schulbank drücken und lernen, was es mit dem Islam wirklich auf sich hat, so er nicht selbst zum Sicherheitsrisiko werden oder ein solches bleiben will.
03.12.23
23:10
grege sagt:
Der Gründer von Milli Görüs Erbakan hat jahrzehntelang mit antisemitischen Parolen gegen Juden gehetzt. Schon allein aus dem Grunde hat dieser Islamverband sich als geistiger Brandstifter mit für Terrorismus und Extremismus betätitgt. Nach wie vor tun sich die Führungsgrößen dieses Verbands schwer sich von Erbakan zu distanzieren. Mit relativierenden Äußerungen wie sinngemäß "Antisemitismus käme unter Muslimen vor wie in allen Bereichen der Gesellschaften" diskrediert sich Ali Mete zusätzlich. Die von Ali Mete und anderen Islamvertretern gerne auch selbstmitleidig beklagte Islamfeindlichkeit, könnte man ebenso mit der Existenz von islamisch motivierter Feindseeligkeit gegenüber anderen Religionen und Weltanschauungen kleinreden.
10.12.23
21:24