Demos gegen Rechts

Erneut bundesweite Proteste gegen Rechtsextremismus

Hunderttausende Menschen sind am Wochenende wieder gegen die AfD und Rechtsextremismus auf die Straße gegangen. Laut Protestforscher kann das in eine langfristige Protestbewegung münden.

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02
2024
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Demos gegen Rechts
Demos gegen Rechts in Hamburg © shutterstock, bearbeitet by iQ

Die zahlreichen Demonstrationen in Deutschland gegen Rechtsextremismus und die AfD der vergangenen Wochen könnten nach Einschätzung des Protestforschers Tareq Sydiq in eine langfristige Protestbewegung münden. Ein Anzeichen dafür sei, dass bereits seit knapp einem Monat die vielen Demos gegen rechts Zulauf hätten. Entscheidend für einen Fortbestand der Bewegung sei auch, ob sich die Teilnehmenden zu Bündnissen zusammenschließen und sich auf gemeinsame Ziele und Strategien verständigen, sagte Sydiq.

Mögliches Vorbild für die aktuellen Proteste könnten die Demonstrationen während der 1990er Jahre sein, sagte der Wissenschaftler. Sie hätten viele Menschen dazu bewegt, sich für Geflüchtete zu engagieren und brachten somit langfristige Effekte hervor. Auch die jetzigen Proteste könnten solch eine politisierende und demokratiefördernde Wirkung entfalten. Zwar sei noch keine klare Zielsetzung zu erkennen – einen Erfolg könnten die Demonstrierenden aber schon jetzt für sich verbuchen: Mit ihrem Zeichen gegen rechts hätten sie einen „gewissen Narrativ-Wechsel“ erzeugt, indem nun nicht ständig über Inhalte der AfD gesprochen werde, „sondern dass man über Rechtsextremismus in der AfD spricht“, sagte Sydiq.

Die Strategie der Partei bestehe derzeit darin, „das wegzureden und alles zu delegitimieren, was irgendwie an Kritik ihre Anhängerschaft erreichen könnte“, so der Protestforscher. Das gelinge auch, denn gerade die Kern-Anhänger seien nicht durch Proteste oder durch Skandalisierung zu erreichen. Diese glaubten, was die Partei sage, und könnten durch Gegenproteste in ihrem Weltbild bestärkt werden, sagte Sydiq.

150.000 Menschen protestieren in Berlin

Nach der Großdemonstration gegen rechts in Berlin hat die Polizei ein positives Fazit gezogen. Es sei ruhig und friedlich geblieben, sagte eine Sprecherin am Sonntag. Rund 150 000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer zählte die Behörde in der Spitze rund um das Reichstagsgebäude. Die Veranstalter selbst sprachen sogar von 300 000 Menschen, nur ein Drittel davon hatten sie vorab angemeldet. Ähnliche Veranstaltungen zogen in vielen weiteren deutschen Städten am Wochenende ebenfalls Tausende an. Auch dort sprachen sich Menschen mit teils bunten Plakaten für Toleranz sowie gegen Hass, Rechtsextremismus und die AfD aus.

Auf der Reichstagswiese in Berlin zeigten sich einige Demonstranten noch immer aufgerüttelt durch die Rechercheergebnisse des Medienhauses Correctiv zu einem Treffen radikaler Rechter mit einzelnen Politikern von AfD, CDU und Werteunion im November in Potsdam. Dort hatte der frühere Kopf der rechtsextremen Identitären Bewegung in Österreich, Martin Sellner, nach eigenen Angaben über das Konzept der sogenannten Remigration gesprochen. Wenn Rechtsextremisten den Begriff verwenden, meinen sie in der Regel, dass eine große Zahl von Menschen ausländischer Herkunft das Land verlassen soll – auch unter Zwang.

Unter den Teilnehmern waren ältere Menschen ebenso wie Familien mit Kindern, Vertreter von Sozialverbänden und Gewerkschaften, aber zum Beispiel auch Fans von Hertha BSC. Und einige, die sich nach eigenen Worten als Betroffene der rechtsextremen Fantasien sehen – zum Beispiel, weil sie homosexuell sind, dunklere Haut oder einen ausländisch klingenden Namen haben. „Wir wollen ein Zeichen setzen für Solidarität und dass wir gegen Diskriminierung sind“, sagte der 36-jährige Berliner Gymnasiallehrer Serkan Bingöl, der mit einer Gruppe Geflüchteter gekommen war.

Zeitweise bildete sich eine Menschenkette am Reichstagsgebäude. Auch im Gedränge hielten sich Teilnehmer an den Händen und streckten diese in die Höhe. „Wir sind die menschliche Brandmauer“, war von der Bühne zu hören. Mehrere Redner forderten von den demokratischen Parteien, sich gegen den Rechtsruck zu stellen sowie rechten Forderungen und Narrativen entgegenzutreten. Der Sprechchor „Ganz Berlin hasst die AfD“ wurde auf Bitten eines Moderators ersetzt durch „Ganz Berlin stoppt die AfD.“ Die Klimaaktivistin Luisa Neubauer, die auf der Kundgebung auch eine Rede hielt, schrieb auf der Plattform X (vormals Twitter): „Demokratie hat man nicht, Demokratie lebt man.“

Fotos von sich in der Menge posteten in sozialen Medien etwa die SPD-Politikerinnen und Politiker Saskia Esken, Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach und Berlins Sozialsenatorin Cansel Kiziltepe. Die Grünen-Politikerin Renate Künast schrieb auf der Plattform X angesichts der hohen Beteiligung: 2Berlin, Du bist so wunderbar.“ Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) wertete bereits vorab die zahlreichen geplanten Demonstrationen gegen rechts am Wochenende als „starkes Zeichen“ für die Demokratie und das Grundgesetz. Der Zustrom zur Demo war so groß, dass die Polizei zeitweise Zugänge und U-Bahnhöfe in der Umgebung schloss und letztlich alle vorgesehenen Zusatzflächen freigab. Rund 700 Einsatzkräfte waren vor Ort. Hinter der Aktion gegen Hass und für Toleranz stand ein Bündnis namens „Hand in Hand“ mit mehr als 1800 Organisationen.

Bundesweit Proteste gegen Rechtsextremismus

Nicht nur in der Hauptstadt zog es am Samstag viele Menschen auf die Straßen: In Dresden kamen nach Veranstalterangaben 30.000 Menschen zu einer Kundgebung unter dem Motto „Wir sind die Brandmauer“. Die Polizei machte keine konkreten Angaben zur Teilnehmerzahl. In Freiburg versammelten sich rund 30 000 Menschen, etwa 25 000 waren es in Augsburg, circa 10 000 in Krefeld – jeweils nach Polizeiangaben. Am Sonntag demonstrierten in Bremen laut Polizei zeitweise etwa 16 500 Menschen. Auch in anderen Städten wie Lübeck und Magdeburg waren weitere Proteste angemeldet.

In Kassel sprach die Polizei von etwa 5000 Teilnehmenden, in Darmstadt wurden rund 3000 Menschen gezählt. Weitere Kundgebungen gab es in Bad Hersfeld, Bad Nauheim und Wetzlar. Auch am Sonntag sollte der Protest fortgeführt werden, beispielsweise im mittelhessischen Lich. Bereits am vergangenen Wochenende hatten Zehntausende in Hessen gegen Hass und Hetze demonstriert. Rund 30.000 Menschen haben nach Polizeiangaben am Samstag in Freiburg friedlich gegen Rechtsextremismus protestiert. Zur größten Veranstaltung im Land hatten mehr als 300 Organisationen aufgerufen – darunter der Fußball-Bundesligist SC Freiburg, Gewerkschaften und Kirchen. Bei einer Kundgebung am Mittag zählte die Polizei zunächst rund 20.000 Menschen. Es kamen weitere hinzu. Nach der Kundgebung auf dem Platz der Alten Synagoge setzte sich der Demonstrationszug durch die Freiburger Innenstadt in Bewegung. „In der Spitze waren rund 30.000 Menschen vor Ort“, sagte ein Polizeisprecher.  Greta Waltenberg aus dem Organisationsteam der Demonstration sprach von mehr als 35.000 Teilnehmern.

Zehntausende Menschen demonstrierten in Bayern. In Augsburg versammelten sich nach Angaben der Polizei etwa 25.000 Menschen, die Veranstalter sprachen von 30.000. Ebenso viele beteiligten sich nach Angaben des Versammlungsleiters in Nürnberg, die Polizei sprach dort von 25.000. Auch in Würzburg und anderen bayerischen Städten gingen am Samstag die Menschen auf die Straße. Am Sonntag hatte außerdem das Netzwerk „Wunsiedel ist bunt“ am Nachmittag zu einer Demo in der oberfränkischen Stadt aufgerufen. (dpa, iQ)