Islamiq
Die Zakat gilt als Zeichen der Solidarität – insbesondere mit Menschen, die Kriege erleben oder davor flüchten. Wir sprechen mit Bekir Altaş, dem Präsidenten von Hasene International e. V., über die aktuelle Zakat-Kampagne und die Nothilfe im Gazastreifen
IslamiQ: Können Sie uns zunächst allgemeine Informationen über Ihre aktuelle Zakat-Kampagne geben?
Bekir Altaş: Hasene International e. V. sieht die Zakat als ein fundamentales Prinzip des Islams, das gezielt auf die Lösung gesellschaftlicher Herausforderungen und die Deckung der daraus resultierenden Bedürfnisse ausgerichtet ist. Als soziales Unterstützungssystem dient die Zakat der Förderung individueller und gesellschaftlicher Entwicklung. Sie umfasst beispielsweise nicht nur die Unterstützung Bedürftiger, Hochverschuldeter und etwa die Integration von Konvertiten, sondern auch Investitionen in Bildung und Gesundheit.
Unsere Zakat-Kampagne leistet darüber hinaus einen wesentlichen Beitrag zum Aufbau und zur Weiterentwicklung von Institutionen, die sich der Förderung und Unterstützung der muslimischen Jugend in Europa widmen.
IslamiQ: Wie verteilen Sie die Zakat-Hilfen an die Bedürftigen?
Altaş: Wir verfügen über ein differenziertes System zur Verteilung der Zakat-Hilfen. Zunächst wird der Bedarf durch Feldstudien in Zusammenarbeit mit lokalen NGOs und Behörden ermittelt, um detaillierte Profile der Hilfsbedürftigen zu erstellen. Diese Profile umfassen Informationen über die Familiengröße, das Alter der Mitglieder, ihren Gesundheitszustand und ihre finanzielle Lage.
Anschließend wird basierend auf diesen Daten für jede Familie ein individueller Hilfeplan entwickelt, der sowohl Grundbedürfnisse als auch spezifische Anforderungen in den Bereichen Bildung, Gesundheit und Wohnen berücksichtigt. Die Verteilung der Hilfe erfolgt durch unsere regionalen Teams und in Kooperation mit lokalen NGOs. Unsere Zakat-Beobachter sind bei der Verteilung vor Ort, um die korrekte und angemessene Verwendung der Mittel zu gewährleisten, was durch Fotos und Videos dokumentiert wird.
Nach der Verteilung finden Überwachungs- und Evaluierungsmaßnahmen statt. Unsere Beobachter führen ganzjährig Kontrollen durch, um die Effektivität der Hilfen und ihre Passgenauigkeit zu überprüfen. Basierend auf diesen Erkenntnissen werden die Hilfepläne angepasst und das Unterstützungssystem weiter optimiert.
IslamiQ: In welchen Regionen werden Projekte entwickelt?
Altaş: Im Laufe des Jahres führt Hasene International e. V. Zakat-Projekte in etwa hundert Ländern und Regionen durch. Trotz der jährlich wechselnden Schwerpunktregionen bleibt das primäre Ziel, bedürftige Menschen zu unterstützen. Dieses Jahr liegt der Fokus, insbesondere auf Kriegsopfern und Flüchtlingen, mit speziellen Projekten in Gebieten wie Gaza, Palästina, dem Libanon, Jordanien, dem Sudan, der Ukraine, Nepal und der Krim.
IslamiQ: Welche Art von Projekten sind in diesen Regionen vorgesehen?
Altaş: Die geplanten Projekte sind auf die spezifischen Bedürfnisse der jeweiligen Regionen zugeschnitten. Neben der Deckung von Grundbedürfnissen wie Ernährung, Wohnraum, Bildung und Gesundheitsversorgung zielen unsere Hilfsmaßnahmen darauf ab, nachhaltige Einkommensquellen zu schaffen. So werden bedürftige Familien beispielsweise mit Arbeitsgeräten wie Nähmaschinen ausgestattet, Geschäfte eröffnet und landwirtschaftliche Projekte gefördert, um ihnen die Möglichkeit zu geben, ein eigenständiges und beständiges Einkommen zu erwirtschaften.
IslamiQ: Wie ist die aktuelle Situation in Gaza und welche Projekte sind in Planung?
Altaş: Die Lage in Gaza unterscheidet sich deutlich von den anderen Regionen. Der seit Oktober 2023 andauernde Konflikt hat zu einer schwerwiegenden humanitären Krise geführt. In den vier Monaten der Auseinandersetzungen gab es über 100.000 Opfer, Verletzte oder Vermisste, was rund 5 Prozent der Bevölkerung des Gazastreifens entspricht. Die Infrastruktur, einschließlich Wohnhäuser, Schulen und Gesundheitseinrichtungen, hat erheblichen Schaden genommen.
Viele Menschen leiden unter den Folgen von Hunger und Durst. Laut Berichten des palästinensischen Flüchtlingshilfswerks (UNRWA) hat die Unterernährung bei Kindern infolge von Nahrungsmittel- und Wasserknappheit sowie zunehmenden Krankheiten dramatisch zugenommen.
IslamiQ: Wie sieht die Arbeit von Hasene in Gaza aus und was wird dort getan?
Altaş: Angesichts der dringenden Notlage in Gaza haben wir uns auf die Bereitstellung humanitärer Hilfe konzentriert. Unser Fokus liegt auf der Deckung der grundlegenden Nahrungsmittelbedürfnisse, wobei wir bereits etwa 70.000 Menschen mit lebenswichtigen Gütern wie Mehl, Hülsenfrüchten und Konserven erreicht haben. Derzeit laufen die Vorbereitungen für die Verteilung von 450.000 Dosen Fleischkonserven.
Weiterhin umfasst unsere Unterstützung die Lieferung von Zelten sowie Hygiene- und Gesundheitsprodukten. Wir haben auch Anträge für den Ausbau sanitärer Anlagen und die Bereitstellung von sauberem Wasser sowie Krankenwagen gestellt, entsprechend den Bedürfnissen, die in Koordinationstreffen identifiziert wurden. Unsere Hilfsmaßnahmen im Bereich der Nahrungsmittelversorgung werden während des gesamten Ramadans fortgeführt.
IslamiQ: Wie gehen Sie mit den Berichten um, dass Kinder in Gaza besonders stark von der Hungersnot betroffen sind? Gibt es spezielle Programme oder Maßnahmen für Kinder?
Altaş: Ein zentrales Vorhaben von Hasene International e. V. in Gaza ist die Wiedervereinigung vermisster Kinder mit ihren Familien sowie die Suche und Unterstützung von Pflegefamilien für Waisenkinder. Schätzungen zufolge gibt es über 17.000 Kinder, die entweder unbegleitet sind oder von ihren Familien getrennt wurden. Angesichts der Tatsache, dass mindestens 10.000 Kinder einen Elternteil verloren haben, könnte die Gesamtzahl bei mindestens 27.000 liegen. Diese Kinder sind grundlegenden Bedürfnissen wie Sicherheit, Ernährung, Gesundheitsversorgung, Bildung, Schutz und psychologischer Betreuung beraubt.
Es ist von entscheidender Bedeutung, diese Kinder zu unterstützen, damit sie den Kontakt zu ihren Familien wiederherstellen, sich mit ihren Angehörigen vereinen und notwendige Dienste in den Bereichen Gesundheit, Bildung und Schutz in Anspruch nehmen können. Zudem muss man ihnen bei der Bewältigung psychologischer Herausforderungen wie posttraumatischen Belastungsstörungen beistehen.
IslamiQ: Wie sieht das Unterstützungsprojekt für Waisen und vermisste Kinder in Gaza im Einzelnen aus?
Altaş: Im Zuge unserer Zakat-Kampagne entwickeln wir, in Kooperation mit dem UNRWA, ein spezielles Unterstützungsprogramm für Waisen und vermisste Kinder in Gaza. Das Hauptanliegen des Projekts ist es, Waisenkinder materiell und emotional zu fördern, ihre Grundversorgung sicherzustellen, und ihnen den Zugang zu Gesundheits- und Schutzdiensten zu ermöglichen, um ihr psychosoziales Wohlergehen zu steigern.
Das Projekt umfasst die Durchführung von Untersuchungen zur Identifikation vermisster Kinder, die Bewertung von Risiken und speziellen Bedürfnissen sowie die Etablierung von Übergangswegen. Es beinhaltet auch die Suche und Unterstützung von Pflegefamilien und die Durchführung von Schulungen. Zusätzlich ist eine finanzielle Unterstützung für Familien vorgesehen, die sich um diese Kinder kümmern. In der ersten Phase des Projekts liegt der Schwerpunkt auf der Unterstützung von rund 5.000 Waisenkindern.
IslamiQ: Was plant Hasene International e. V. an Hilfsprojekten in Gaza nach dem Ende des Konflikts?
Altaş: Wir werden auch nach dem Ende des Konflikts in Gaza seine Hilfsmaßnahmen fortsetzen. Sobald das volle Ausmaß der Zerstörung sichtbar wird, werden der Wiederaufbau und die Etablierung langfristiger Projekte für die Bedürftigen zu unseren Hauptanliegen zählen.
Mit dem Ende des Krieges kommen größere Herausforderungen und Verantwortlichkeiten auf uns zu. Die Unterstützungsmaßnahmen sind jetzt wichtiger denn je, um diesen Aufgaben gerecht zu werden. Wir bitten die Spender daher, Hoffnung für Gaza zu schaffen, indem sie ihre Zakat an Hasene International weiterleiten.
IslamiQ: Können Sie uns etwas über die Kampagnen der UNRWA erzählen?
Altaş: Das UNRWA, das im Jahr 1949 gegründet wurde, widmet sich der Unterstützung palästinensischer Flüchtlinge, die während der Nakba vertrieben wurden. Das Ziel der Organisation ist es, humanitäre Hilfe und Schutz zu bieten, bis eine faire und dauerhafte Lösung für ihre Lage erreicht ist. Mit 30.000 Mitarbeitenden versorgt das UNRWA etwa 6 Millionen registrierte Flüchtlinge, inklusive 540.000 schulpflichtige Kinder. Es unterhält 60 Flüchtlingslager im Westjordanland und im Gazastreifen, wo es umfassende humanitäre Unterstützung leistet.
Das Dienstleistungsspektrum des UNRWA reicht von Bildung und Gesundheitsfürsorge über Sozialdienste bis hin zur Infrastrukturverbesserung und Notfallhilfe. Die Präsenz des UNRWA sichert den internationalen Flüchtlingsstatus und den Schutz der palästinensischen Geflüchteten, was essenziell für den Zugang zu grundlegenden Menschenrechten ist.
IslamiQ: Seit wann arbeitet Sie mit dem UNRWA zusammen und was ist der Hauptzweck dieser Zusammenarbeit?
Altaş: In Übereinstimmung mit unserer Zielsetzung, dem palästinensischen Volk und den Flüchtlingen beizustehen, hat die Hasene-Familie im Jahr 2020 ein strategisches Kooperationsabkommen mit dem UNRWA geschlossen. Diese Partnerschaft markiert einen entscheidenden Schritt hin zu einer dauerhaften Zusammenarbeit und stärkt unsere Hilfsprogramme für Geflüchtete nachhaltig.
Die Kooperation zwischen Hasene International und dem UNRWA minimiert durch sorgfältige Planung und Koordination Doppelungen in der Hilfeleistung und ermöglicht eine optimierte Ressourcenverwendung. Diese Strategie erweitert den Wirkungsbereich unserer Hilfsangebote und sichert die fortlaufende und langfristige Unterstützung der Geflüchteten. Zudem fördert sie den Zugang zu Bildung, Gesundheitsfürsorge und sozialen Diensten für palästinensische Flüchtlinge und trägt dazu bei, ihnen Perspektiven in ihrer Heimat zu eröffnen.
IslamiQ: Könnten Sie die Art der Unterstützung beschreiben, die Sie in den Flüchtlingslagern in Jordanien und im Libanon leisten?
Altaş: In den palästinensischen Flüchtlingslagern in Jordanien und im Libanon leistet Hasene International umfassende humanitäre Unterstützung, die Nahrungsmittelversorgung, Gesundheitsdienste, Hygiene, Bildung und Entwicklungsmaßnahmen umfasst. In der ersten Phase der Hilfsaktionen konnte bereits 15.000 palästinensischen Flüchtlingen geholfen werden. Zusätzlich erhalten erwerbslose Flüchtlingsfamilien finanzielle Beihilfen, um ihren Lebensunterhalt zu sichern.
IslamiQ: Wie gestaltet sich die aktuelle humanitäre Situation im Sudan und welche Projekte führen Sie in Nepal durch?
Altaş: Am 15. April 2023 löste ein bewaffneter Konflikt im Sudan eine der schwerwiegendsten Flüchtlingskrisen der jüngeren Geschichte aus, mit etwa 8,1 Millionen Vertriebenen. Zusätzlich bietet der Sudan Zuflucht für nahezu eine Million Geflüchtete aus Äthiopien und Eritrea. Die humanitäre Situation ist in allen 18 Bundesstaaten des Sudans, insbesondere in Darfur, desolat. In Zentral-Darfur beispielsweise ist Wasser vorhanden, jedoch für Vertriebene unzugänglich, und mehr als die Hälfte der Bevölkerung hat keinen Zugang zu adäquater Gesundheitsversorgung. Folglich sind Projekte zur Bereitstellung von Nahrungsmitteln, sauberem Wasser und medizinischer Versorgung von essenzieller Bedeutung.
Eine der wirkungsvollsten Methoden, um den Menschen ein Leben in Würde und Sicherheit zu ermöglichen, ist die Schaffung von Arbeitsmöglichkeiten. Daher planen wir, Flüchtlingsfamilien in Unternehmensführung und unternehmerischen Fähigkeiten zu schulen und ihnen Startkapital für den Aufbau einer eigenständigen Existenz zur Verfügung zu stellen.
In Nepal wurden spezielle Projekte für Rohingya-Flüchtlinge initiiert, die nicht nur die Grundversorgung sicherstellen, sondern auch in den Bereichen Wohnen, Bildung und Gesundheit Unterstützung bieten. Ziel ist es, den Flüchtlingen einen Status und Arbeitserlaubnisse zu verschaffen, damit sie ein eigenständiges Einkommen erzielen können.
IslamiQ: Wie kann man die Zakat an Hasene International e. V. spenden?
Altaş: Es stehen Ihnen mehrere Wege offen, um Ihre Zakat an uns zu übermitteln. Zum einen können sie ihre Online-Spenden über die Webseite tätigen. Zum anderen ist es möglich, Ihre Zakat telefonisch zu entrichten. Eine weitere Option bietet die direkte Überweisung auf die Bankkonten von Hasene. Zudem können Sie unsere speziellen Zakat-Umschläge verwenden, die in unseren Büros oder in den Moscheen der Islamischen Gesellschaft Milli Görüş erhältlich sind. Die ausgefüllten Umschläge können anschließend in den Moscheen oder direkt bei uns abgegeben werden.
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