Solingen

Ermittler sehen keine Hinweise auf rassistisches Motiv bei Brandstiftung

Eine Familie ist bei einem Brand in Solingen ums Leben gekommen. Die Ermittler gehen von vorsätzlicher Brandstiftung aus. Anhaltspunkte auf ein rassistisches Motiv liegen laut Behörde nicht vor. Die voreiligen Ausschlüsse werden kritisiert.

29
03
2024
0
Solingen_Brand
Brand in Solingen © Anadolu Images, bearbeitet by iQ.

Im Fall des mutmaßlich vorsätzlich in Brand gesetzten Solinger Mehrfamilienhauses mit vier Toten haben die Ermittler weiterhin keine Erkenntnisse, die auf ein rassistisches Tatmotiv hinweisen. Der Ermittlungsstand sei unverändert, teilte Staatsanwalt Heribert Kaune-Gebhardt auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur am Donnerstagabend mit. Bereits am Vortag hatte der Staatsanwalt in Wuppertal erklärt: „Anhaltspunkte, die auf ein fremdenfeindliches Motiv deuten, liegen nicht vor.“

In dem Haus habe es schon einmal gebrannt. Ein Feuer aus dem Jahr 2022 sei Teil der Bewertungen, erklärte der Staatsanwalt weiter. Eventuell eingehende Hinweise würden durch die Ermittlungsbehörden geprüft. Die Ermittler hatten zur Klärung des Großbrands auch die Bevölkerung zur Mithilfe aufgerufen. Ein Hinweis-Telefon (0202 284 1122) und ein Online-Portal stehen dafür zur Verfügung. Bei dem verheerenden Brand in der Nacht von Montag auf Dienstag konnte sich eine aus Bulgarien kommende Familie nicht mehr aus dem Dachgeschoss des Hauses retten. Die 28 und 29 Jahre alten Eltern kamen gemeinsam mit ihrem knapp dreijährigen Kleinkind und einem erst fünf Monate alten Säugling um. Die Leiche des Babys war erst Stunden später in dem stark heruntergebrannten Dachgeschoss gefunden worden.

Integrationsrat vermutet rassistisches Motiv

Viele Menschen hatten am Donnerstagabend bei einer Trauerkundgebung an dem Haus ihre Anteilnahme zum Ausdruck gebracht. Mehr als 150 Menschen waren gekommen, betrauerten die Opfer und zeigten sich solidarisch mit den Angehörigen. Kurzfristig zu der Kundgebung aufgerufen hatten unter anderem die Amadeu-Antonio-Stiftung, die Initiativen gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus unterstützt, sowie das linke Bündnis „Solinger Appell“. Am Mittwoch hatte die Staatsanwaltschaft Ergebnisse eines vorläufigen Gutachtens von Brandsachverständigen vorgelegt. Demnach gehen die Ermittler von vorsätzlicher Brandstiftung aus. In dem hölzernen Treppenhaus seien deutlich Reste eines Brandbeschleunigers nachgewiesen worden, hatte die Staatsanwaltschaft erklärt. Ermittelt wird demnach mit dem Vorwurf des Mordes beziehungsweise versuchten Mordes.  Laut Staatsanwaltschaft werden nach dem Großbrand in dem Mehrfamilienhaus drei Verletzte intensivmedizinisch behandelt. Zudem wurden fünf weitere Mieter verletzt. Die Hausbewohner haben den Angaben zufolge unterschiedliche Nationalitäten. Das hatte unter anderem beim Islamverband Ditib und dem Landesintegrationsrat NRW die Befürchtung genährt, es könne ein rassistisches Motiv hinter der Tat stecken.

Migrantenvertreter sehen das anders. Sie vermuten einen rassistisch motivierten Anschlag dahinter. Der SPD-Vorsitzende des Landesintegrationsrats NRW, Tayfun Keltek, sagte am Mittwochabend in Düsseldorf: „Leider müssen wir davon ausgehen, dass hinter dem feigen Anschlag rassistische Hintergründe stecken“. Die aktuell gesellschaftlich aufgeheizte Lage lasse ihn zu diesem Ergebnis kommen. Das berichtete der Tagesspiegel. Das katastrophale Feuer hatte bei vielen Menschen zudem schlimme Erinnerungen geweckt: Im Mai 1993 waren bei einem nächtlichen Brandanschlag mit rechtsextremem Hintergrund fünf türkischstämmige Frauen und Mädchen der Familie Genç in Solingen ermordet worden. Der Anschlag markierte damals den Tiefpunkt einer Welle rassistischer Anschläge auf Menschen ausländischer Herkunft in Deutschland.

Forderung zur Zurückhaltung mit voreiligen Ausschlüssen

IGMG Vorsitzender Ali Mete teilte seine Besorgnis über die Plattform X mit folgenden Worten: „Die Tat weckt Erinnerungen an den rassistisch motivierten Brandanschlag in Solingen 1993. Allein schon vor diesem Hintergrund offenbaren die Ermittler mangelnde Sensibilität, wenn sie schon kurz nach der Tat mitteilen, es gebe keine Hinweise auf einen rassistischen Hintergrund der Tat.“ Wenn man etwas aus NSU gelernt habe, dann solche voreiligen Schlüsse und Mitteilungen. „Wir fordern eine lückenlose Aufklärung, Ermittlungen in alle Richtungen und Zurückhaltung mit voreiligen Ausschlüssen. Unser Mitgefühl gilt den Opfern, Verletzten und Hinterbliebenen. Wir sind in Gedanken und in unseren Gebeten bei ihnen.“, heißt es weiter.

„Wieder Solingen, wieder ein tödlicher Hausbrand, wieder spät nachts, wieder Brandbeschleuniger. Das erinnert sofort an den rassistischen Terrorakt vom 29. Mai 1993, bei dem 5 türkischstämmige Frauen und Mädchen einer Familie ermordet wurden.“, heißt es in der Pressemitteilung der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion (DITIB). Insbesondere in Solingen, besonders nach den unsäglichen Skandalen nach der NSU, seien Aussagen, die suggerieren, dass bestimmte Tatmotive nicht konsequent verfolgt werden, gefährlich und lösten bei Menschen mit Migrationshintergrund Entsetzen und Misstrauen aus. „Dass dieses Feuer in einem mehrheitlich von Menschen mit Migrationshintergrund bewohntem Haus gelegt wurde, lässt aufhorchen. Denn bis auf eine Person handelt es sich bei allen Bewohnern um türkischstämmige Muslime aus Bulgarien oder der Türkei.“ (dpa, iQ)