Bayern

Bayerische Doppelstandards – Kreuz erlaubt, Kopftuch verboten

Das Bundesverwaltungsgericht hat entschieden: Der Freistaat Bayern muss die angebrachten Kreuze in seinen Dienstgebäuden nicht entfernen. Der Jurist Adil Demirkol schreibt über die Bedeutung des Urteils und ihre Auswirkungen auf das Kopftuchverbot.

20
04
2024
Kreuz in Bayern
Kreuz in Bayern © shutterstock, bearbeitet by iQ.

Nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) am 19.12.2023 stellte Ministerpräsident Söder prompt klar: „Das Kreuz ist ein Zeichen unserer christlichen und kulturellen Prägung. Es gehört zu Bayern.“ Söder wagte es, sich zu dem christlichen Element – nach Anlaufschwierigkeiten – klar zu bekennen. Dem BVerwG reicht das Aufhängen des Kreuzes als christliches Symbol im Eingangsbereich staatlicher Gebäude nicht aus, um eine Verletzung des Neutralitätsgrundsatzes des Staates anzunehmen. Aber was war geschehen?

Das BVerwG hatte sich mit den Klagen einer Weltanschauungsgemeinschaft und 25 Privatpersonen zu beschäftigen. Diese begehrten, die im Eingangsbereich bayerischer Verwaltungsgebäude angebrachten Kreuze zu entfernen. Seit der am 1.6.2018 in Kraft getretenen behördeninternen Anweisung ist im Freistaat Bayern nach § 28 der Allgemeinen Geschäftsordnung für die Behörden des Freistaates Bayerns (AGO) im Eingangsbereich eines jeden Dienstgebäudes als Ausdruck der geschichtlichen und kulturellen Prägung Bayerns gut sichtbar, ein Kreuz anzubringen.

In den Vorinstanzen waren die Klagen erfolglos, obgleich der Verwaltungsgerichtshof München zumindest eine Verletzung des Grundsatzes der weltanschaulich-religiösen Neutralität des Staates annahm. Es stellte jedoch ausdrücklich fest, es handele sich bei jenem Grundsatz um ein objektiv-rechtliches Verfassungsprinzip, das als solches keine subjektiven Rechte für den Einzelnen begründe.[1] 

Das Kreuz verletze keine Grundrechte

Das BVerwG hat einen Anspruch auf Entfernung unter Verletzung des Grundrechts auf Glaubensfreiheit aus Art. 4 Abs. 1, Abs. 2 GG und des Verbots der Diskriminierung wegen des Glaubens und der Weltanschauung aus Art. 3 Abs. 3 GG in Verbindung mit dem Grundsatz der religiös-weltanschaulichen Neutralität des Staates abgelehnt. 

Zutreffend stellt das Gericht fest, durch das Aufhängen des Kreuzes werde die Religions- und Weltanschauungsfreiheit der Kläger*innen nicht verletzt, da das Ausleben und die Betätigung ihrer Weltanschauung nicht eingeschränkt und kein Konfrontationsschutz mit religiöser Symbolik gewährleistet werde.

Um festzustellen, ob das grundrechtliche Diskriminierungsverbot wegen des Glaubens aus Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG verletzt ist, sei entscheidend, wie sich das Aufhängen des Kreuzes auf die Kläger*innen auswirke. Das Kreuz könne zwar als „zentrales Symbol des christlichen Glaubens“ eingeordnet werden, jedoch gebe es durch die Passivität des religiösen Symbols und dessen flüchtiger Wahrnehmung im Eingangsbereich einer Behörde keinen Werbeeffekt für den christlichen Glauben. Daher scheide eine Verletzung des speziellen Diskriminierungsverbots aus. Die Berücksichtigung des Neutralitätsgrundsatzes des Staates in religiös-weltanschaulichen Fragen ändere daran keineswegs etwas. Unter Bezug auf die Präambel des Grundgesetzes und anderen Textstellen im Grundgesetz wird in Abgrenzung zur Laizität die Offenheit des Staates für religiöse und weltanschauliche Überzeugungen festgehalten. Erst bei einer gewissen Intensität sei die Verletzung des Neutralitätsgrundsatzes anzunehmen. Durch den passiven Charakter des Kreuzes in Form des Aufhängens an der Wand sei die Schwelle zur Verletzung noch nicht überschritten.

Das Gericht äußert sich auch zu der Frage, ob sich durch das Aufhängen des Kreuzes der Freistaat mit dem christlichen Glauben identifiziert. Der Freistaat Bayern bezwecke laut eigener Angaben keine Identifikation, was sich objektiv auch am Wortlaut des § 28 AGO zeige, da das Kreuz als Ausdruck der geschichtlichen und kulturellen Prägung Bayerns aufgehängt werde. Daher erfolge keine Werbung für den christlichen Glauben und keine staatliche Identifikation mit christlichen Glaubenssätzen.

Verfassungsrechtliche Kritik

Die Ausführungen des Gerichts hinsichtlich der Verletzung der Glaubensfreiheit sind überzeugend. Gleichzeitig sind die Erwägungen zu den gleichheitsrechtlichen Aspekten und dem Neutralitätsgrundsatz nur schwer nachvollziehbar. Für eine Verletzung des speziellen Gleichheitssatzes wird die missionierende Wirkung eines religiösen Symbols als Maßstab herangezogen, der grundsätzlich für die Feststellung einer Verletzung der negativen Religionsfreiheit, also der Freiheit nicht glauben zu müssen, entscheidend ist. Daher werden aufgrund dieser freiheitsrechtlichen Blickweise gleichheitsrechtliche Besonderheiten ausgeblendet. 

Gerade der Aspekt einer Verletzung des religionsverfassungsrechtlichen Grundsatzes der Gleichbehandlung wird unzureichend erörtert. Mittels des Grundsatzes der Parität soll gerade die Privilegierung bestimmter Bekenntnisse und Religionsgemeinschaften unterbunden werden. § 28 AGO ordnet aber ausschließlich die Anbringung von Kreuzen an und lässt Symbole anderer Religionen außen vor. Gleichzeitig ist einer der wesentlichen Eckpfeiler des deutschen Religionsverfassungsrechts, dass der Staat sich nicht mit einer einzelnen Religion, ihren Glaubensinhalten und religiösen Symbolen identifizieren darf. Dieses Identifikationsverbot wird durch das Aufhängen des Kreuzes verletzt. Dies nahm der Verwaltungsgerichtshof München als Vorinstanz richtigerweise an.

Der Freistaat gibt zwar an, sich nicht mit den christlichen Glaubenssätzen zu identifizieren und das Kreuz als Ausdruck einer gewissen Prägung aufzuhängen, jedoch sollte für die Frage der Identifikation nicht ausschließlich dessen subjektiver Wille entscheidend sein. Wie das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) bereits 1995 im Urteil zum Kruzifix an der Wand im Klassenraum einer bayerischen Volksschule festgehalten hat, ist „das Kreuz […] ein Symbol einer bestimmten religiösen Überzeugung und nicht etwa nur Ausdruck der vom Christentum mitgeprägten abendländischen Kultur“.[2] So „wäre es eine dem Selbstverständnis des Christentums und der christlichen Kirchen zuwiderlaufende Profanisierung des Kreuzes, wenn man [das Kreuz]…als bloßen Ausdruck abendländischer Tradition oder als kultisches Zeichen ohne spezifischen Glaubensbezug ansehen wollte.“[3] Dies zeigt sich auch an dem Unmut christlicher Verantwortungsträger wie Kardinal Reinhard Marx, welcher sich gegenüber dem Kreuzerlass kritisch geäußert und eine Instrumentalisierung christlicher Symbolik moniert hat.[4]

Außerdem fragt sich, wieso beim Kreuz der subjektive Wille für die Deutung des religiösen Symbols ausreichen soll, während sich das BVerfG bei der wahrzunehmenden Wirkung des Kopftuchs in der Frage der Verfassungskonformität eines Kopftuchverbots für eine Rechtsreferendarin eines „objektiven Dritten“ bedient. Dem Freistaat darf nicht die Deutungshoheit über (religiöse) Symbole überlassen werden, da dies ein Missbrauchspotential eröffnet. 

Selbst unter der Annahme, mit dem Kreuz sei keine Identifikation mit christlichen Glaubenssätzen verfolgt worden, verwundert es, dass die Feststellung des Kreuzes als zentrales Symbol des Christentums alleine nicht ausreicht, um das Gebot der Nichtidentifikation zu beschneiden. Es scheint, dem BVerwG genüge die Darlegung einer vielfältig begründeten Verwendungsabsicht, um eines der klassischen religiösen Symbole faktisch seiner religiösen Bedeutung zu entziehen.

Doppelstandards

Nach Art. 11 Abs. 2 des Bayerischen Richter- und Staatsanwaltsgesetzes dürfen Richter*innen und Staatsanwält*innen keine sichtbaren religiös oder weltanschaulich geprägten Symbole oder Kleidungsstücke bei der Wahrnehmung ihrer Amtshandlungen tragen. Dies gilt nach Art. 57 BayAGGVG auch für Rechtsreferendar*innen. Daher werden kopftuchtragenden Rechtsreferendarinnen (nicht nur) in Bayern die Wahrnehmung gewisser hoheitlicher Tätigkeiten während ihrer Ausbildung verwehrt. Kopftuchtragende Musliminnen werden durch diese Regelungen faktisch mit Berufsverboten für bestimmte Berufe in der Justiz belegt, obwohl diese durch das Bestehen der entsprechenden Examina ihre Qualifikation für den Justizdienst bereits bewiesen haben. An dieser Rechtslage wird sich zeitnah wohl kaum etwas ändern dürfen, da das BVerfG zuletzt im Jahr 2020 die Verfassungskonformität eines Kopftuchverbots für eine Rechtsreferendarin aus Hessen bestätigt hat. 

Die aktuelle Lage in Bayern lässt sich prägnant mit den Worten von Leitmeier aus einer Anmerkung zum Beschluss des Bundesverfassungsgerichts bezüglich des Kopftuchverbots für eine hessische Rechtsreferendarin, wie folgt, beschreiben: „Und so ergibt sich die feine Ironie, dass die Referendarin, wenn sie sich zum Zwecke der weltanschaulich-religiösen Neutralität des Gerichts in den Zuschauerraum neben die Rentner zurückzieht, einen guten Blick erhält auf das Kreuz, das staatlich angeordnet an der Wand hängt – obgleich die noch nicht einmal ein Grundrecht hat“.[5]

Möchte der Staat tatsächlich „Heimstatt aller Bürger“[6] sein, muss er das Neutralitätsprinzip ernst nehmen und nicht nur selektiv religiöse Symbole gerade bei Fragen der staatlichen Selbstdarstellung zulassen. 

Blick nach Karlsruhe

Die Weltanschauungsgemeinschaft hat bereits angekündigt, vor das BVerfG zu ziehen. Es bleibt abzuwarten und zu hoffen, dass in Karlsruhe klare Worte zur Verletzung des Diskriminierungsverbots und des Neutralitätsgrundsatzes des Staates in religiös-weltanschaulichen Fragen gefunden werden.

[1] BayVGH, Urteil vom 1.6.2022 – 5 B 22.674, NVwZ 2022, 1837 (1838) Rn. 25 ff.

[2] BVerfGE 93, 1 (19).

[3] BVerfGE 93, 1 (20).

[4] https://www.sueddeutsche.de/bayern/kreuz-erlass-kardinal-marx-wirft-soeder-spaltung-vor-1.3962223.

[5] Leitmeier, Das Kopftuchverbot für Rechtsreferendarinnen, NJW 2020 1036 (1038).

[6] BVerfGE 108, 282 (299).

 

Leserkommentare

Timotheus sagt:
Dem beflissenen Doktoranden Adil Demirkol wäre es sicherlich willkommen, wenn das islamische Kopftuch erlaubt und das Kreuz verboten würde. So könnte er sich noch besser und intensiver für eine Etablierung von muslimischen Standards engagieren und diese auch juristisch zu erstreiten versuchen. Ein gültiges Scharia-Recht in Deutschland wäre wohl sein größter islamischer Traum, auch wenn er dies kaum im öffentlichen Raum zugeben würde. Der Kampf für den wahren Islam mit seinen Interessen muss voranschreiten.
20.04.24
15:55
Evergreen sagt:
Ein schlimmer Verstoß gegen die Neutralitätspflicht des Staates liegt in Berlin vor. Während auch in Berlin Kirchen oft großenteils leer stehen, entwidmet oder gar ersatzlos abgerissen wurden und für andere Kirchen Käufer gesucht werden, während die Mitgliedschaft in der evangelischen Kirche auf unter 13 % der Bevölkerung sinkt und sonntags nicht einmal 0,5% einen evan- gelischen Gottesdienst besuchen, soll ein sogenanntes „HOUSE of ONE“, also ein kultischer Sakralbau, erbaut werden – über- wiegend mit staatlichen Geldern, welche von überwiegend nicht- religiösen Steuerzahlern aufgebracht werden sollen! Das stinkt gen Himmel, und darauf wird auch kein Segen ruhen. Interreligi- öser Dialog, auf gleicher Augenhöhe, ehrlich und ohne Tabuthe- men, ist sinnvoll und nötig, und ich praktiziere ihn seit Jahrzehn- ten. Doch ein kultischer Sakralbau – größtenteils finanziert vom Staat - wie das sogenannte „ HOUSE of ONE“ ist kontrapro- duktiv : 1] Kirche macht sich wieder unglaubwürdig. Anderen predigt sie das Jesuswort: „Geben ist seliger als Nehmen“ (Apostelgeschichte 20,35). Beim „HOUSE of ONE“, dem sakralen kultischen Prestigebau, macht man die Hand auf und lässt sich sogar kostenlos das Bau- grundstück geben . Die Steuergelder fehlen dann anderswo, zum Beispiele für fehlende Kitaplätze. Auch diese UNGLAUBWÜR- DIGKEIT wird wieder Kirchenaustritte zur Folge haben. 2] Mit diesem kultischen Sakralbau holt man sich die Probleme des Tempelbergs nach Berlin. Für das sogenannte „HOUSE of ONE“ wählte man als Partner die islamische Gülen-Bewegung. Diese hat in Berlin nach eigenen Angaben 6.000 Mitglieder. Doch die überwältigende Mehrheit der ca. 300.000 Muslime in Berlin lehnt die Gülen-Bewegung als Vertretung der islamischen Seite ab. Das sogenannte „HOUSE of ONE“ wird auch in Berlin ständig weitere Sicherheitskräfte binden, wie wir das von „Brennpunkten" aus dem Ausland kennen. [ Wie würde man es empfinden, wenn in Peking die KPCh für ein „ HOUSE of ONE “ als christlichen Partner die pflegeleichten „ChristInnen für den Sozialismus“ aus- wählt und den anderen Christen vor die Nase setzt? ] 3] Unehrlich sprach man von einem „Graswurzelprojekt“, doch die evangelischen Laien-Christen hatte man gar nicht befragt und entsprechende Anfragen nicht beantwortet. 4] Wo der Staat in religiösen Fragen wieder reinfummelt, ist die Sorge nicht abwegig, dass er wieder einmal als Religionsinge- nieur wirkt. 5] Auch unser demokratische Staat ist eigentlich verpflichtet zu religiöser und weltanschaulicher Neutralität. Wenn er verfas- sungswidrig einen kultischen sakralen Prestigebau finanziert – zudem für ausgewählte religiöse Minderheiten (auch Christen sind inzwischen eine Minderheit, die evangelischen sowieso – in Berlin unter 13 %) und die evangelische Kirche verfas- sungswidrig sich das gefallen lässt, schafft das böses Blut – denn anderswo fehlen diese Millionen. Durchaus sinnvoll ist es dagegen, wenn der Staat über schu- lische Lehrpläne und mit entsprechenden Angeboten bei Volks- hochschulen, Akademien, politischen Landes-zentralen, usw., usf. den interreligiösen Dialog fördert. Und die Religionsgemein- schaften können ihrerseits im Sinn eines Graswurzelprojekts interreligiösen Dialog, Trialog usw. institutionalisieren auch ohne teuren kultischen sakralen Prestigebau – reihum in bestehenden Gemeindezentren, mal in christlichen, mal jüdischen, mal musli- mischen, usw. oder auch auf neutralem Boden in öffentlichen Räumen. Oder damit man nicht diskriminierend kleinere Religi- onsgemeinschaften – wie beim sogenannten „HOUSE of ONE“ - ausgrenzt, könnte man ein gemeinsames, nichtkultisches Haus der Religionen für Gespräche und gemeinsame Aktionen der unterschiedlichen Religionsgemeinschaften errichten.
20.04.24
21:14