Gender und Islam

Die Rolle von Frau und Mann – statische und wandelbare Normen

Die Beziehung zwischen Mann und Frau wird im Islam durch statische und wandelbare Normen bestimmt. Obwohl diese Normen auf traditionellen Texten basieren, passen sie sich auch der sozialen und kulturellen Dynamik an. Ein Gastbeitrag von Dr. Hakkı Arslan.

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2024
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Frau und Mann im Islam © Shutterstock, bearbeitet by iQ.
Frau und Mann im Islam © Shutterstock, bearbeitet by iQ.

Der Islam ist eine Religion, die sich neben der Glaubenslehre und der Mystik durch eine ausgeprägte Normenlehre auszeichnet, die das Handeln der Menschen nach religiösen Kategorien ordnet. Eine Handlung ist entweder verpflichtend, empfohlen, verpönt, verboten oder religiös neutral. Die Gelehrten versuchten, die Handlungen anhand der Offenbarungsquellen Koran und Sunna sowie der jeweiligen Kontexte zu bewerten, um den Gläubigen ein gottgefälliges Leben zu erschließen.

Die Befolgung dieser Normen galt jahrhundertelang als authentischer Weg, dem Willen Gottes näher zu kommen, weshalb sich in der islamischen Tradition (Sunniten wie Schiiten) neben einer Orthodoxie (Glaubenslehre) auch eine Art Orthopraxie (Normenlehre) entwickelte, die sich gegenseitig ergänzten.

Diese Normenlehre war jedoch nur in wenigen Kernelementen monolithisch, während sie in den meisten Fragen unterschiedliche Auffassungen zuließ. Dieses Zusammenspiel von stabilen und flexiblen Elementen war charakteristisch für das sunnitische und schiitische Verständnis von Handlungsnormen. Diese Normenlehren, die bis zu den Reformbewegungen gegen Ende des 19. Jahrhunderts eine unangefochtene Autorität besaßen, sind in den letzten Jahrzehnten zunehmend in Frage gestellt worden und haben bei manchen an Autorität verloren. Dennoch spielen sie für die meisten Muslime weltweit und auch in Deutschland eine wichtige Rolle im religiösen und sozialen Alltag.

Betrachtet man das religiöse Selbstverständnis der großen Dachverbände der muslimischen Religionsgemeinschaften in Deutschland sowie der nationalen und transnationalen religiösen Organisationen in der islamischen Welt, so zeigt sich, dass die traditionelle Normenlehre nach wie vor sehr dominant ist und als Referenzrahmen herangezogen wird. Diese Normen werden heute nicht mehr eins zu eins übernommen, sondern stets kontextbezogen überarbeitet, revidiert oder weiter interpretiert. Es fällt jedoch auf, dass bestimmte Normen eine kontextübergreifende Stabilität aufweisen und heute genauso verstanden werden wie Jahrhunderte zuvor.

In diesem kurzen Beitrag soll das Zusammenspiel von unveränderlichen und veränderlichen Handlungsnormen aus sunnitischer Perspektive anhand einiger Beispiele im Kontext der Interaktion zwischen Männern und Frauen dargestellt werden. Welche Normen sind aus sunnitischer Sicht statisch und welche wandelbar, wenn es um die eheliche oder gesellschaftliche Interaktion von Männern und Frauen geht? Es geht also nicht um eine detaillierte Diskussion einzelner Regelungen, sondern um die Frage, ob bestimmte Regelungen in der sunnitischen Normenlehre einen wandelbaren oder einen statischen Charakter haben. Die Themenauswahl ist exemplarisch und ohne Anspruch auf Vollständigkeit.

Zu fast jeder Frage gibt es im heutigen Diskurs Gegenpositionen liberaler Denker, die in diesem Artikel jedoch ausgeblendet werden. Es geht lediglich darum, die Grundpositionen des sunnitischen Mainstream-Islam zu diesen Fragen deskriptiv darzustellen, die als Grundlage für einen Dialog zwischen verschiedenen Ansätzen dienen können. Bevor man mit Etiketten wie „liberal“ oder „konservativ“ um sich wirft, ist es gut, einen Schritt zurückzutreten und zumindest die Grundpositionen zur Kenntnis zu nehmen. Jeder sollte seine Position vertreten dürfen, ob liberal oder traditionell, ohne Angst zu haben aus dem Diskurs ausgeschlossen zu werden.

Mann und Frau im Eheleben

Grundsätzlich dürfen im sunnitischen Islam Intimitäten zwischen Mann und Frau nur im Rahmen der ehelichen Gemeinschaft ausgetauscht werden. Vorehelicher und außerehelicher Geschlechtsverkehr gilt als schwere Sünde und ist daher nicht erlaubt. Die Ehe hingegen ist nur zwischen Mann und Frau erlaubt, darin sind sich alle Rechtsschulen und auch die zeitgenössischen Gelehrten einig. Dieser Punkt gilt somit als statisch und in der herrschenden Auslegung als nicht verhandelbar. Eine gleichgeschlechtliche Ehe kann daher nach sunnitischer Normenlehre nicht zulässig sein. In dieser Frage besteht Konsens, weshalb der sunnitische Islam hier keinen anderen Weg gehen kann, ohne seine eigenen hermeneutischen Grundlagen aufzugeben. Deshalb wird es diesbezüglich keine Einigung zwischen den traditionell sunnitischen und reformorientierten Denkern geben können.

Konsens besteht auch darüber, dass muslimische Frauen keinen nichtmuslimischen Mann heiraten dürfen. Wobei der muslimische Mann grundsätzlich mit einer nichtmuslimischen Frau heiraten darf aufgrund einer expliziten Erlaubnis im Koran (5/5). Für die Frau gibt es im Koran keine explizite Erlaubnis dafür, weshalb diese als Verbot für eine interreligiöse Ehe interpretiert wird. Häufig wird aber auch Männern eine interreligiöse Ehe eher abgeraten, weil es zu Verständigungsproblemen hinsichtlich religiöser Inhalte kommen könnte.

Im sunnitischen Islam spielt neben dem Koran und der Sunna des Propheten der Konsens der Prophetengefährten und der nachfolgenden Generationen eine grundlegende Rolle bei der Auslegung von Normen. Gibt es zu einem bestimmten Thema einen unumstrittenen Konsens, so gilt dieses Thema als abgeschlossen, auch wenn die zugrunde liegenden Texte isoliert betrachtet für andere Interpretationen offen wären. So ergibt sich aus den entsprechenden Koranstellen 2/221,60/10 und 5/5 nicht zwingend ein Verbot für muslimische Frauen, Nichtmuslime zu heiraten, wie es z.B. der berühmte Tafsir-Gelehrte Tahir Ibn Ashur sieht. Erst durch den Konsens der Prophetengefährten und der nachfolgenden Gelehrtengenerationen, die diese Verse von Anfang an in diesem Sinne interpretiert haben, hat sich diese Auffassung als herrschende Meinung durchgesetzt. Der Konsens wird hier als hermeneutischer Schlüssel verwendet, der bei solchen Themen benutzt wird, um Mehrdeutigkeiten zu beseitigen und damit Eindeutigkeit zu generieren. Normen, über die ein einstimmiger Konsens tradiert wird, werden daher als stabile, nicht verhandelbare Grundlagen verstanden.

Im Bereich der interreligiösen Eheschließung gibt es jedoch in einigen Punkten Bewegung. Zwar ist die Eheschließung einer muslimischen Frau mit einem nichtmuslimischen Mann grundsätzlich verboten. Wenn jedoch in einer bestehenden Ehe zwischen zwei Nichtmuslimen die Frau zum Islam konvertiert und der Mann Nichtmuslim bleibt, gibt es unterschiedliche Auffassungen. Einige Fatwa-Gremien und Gelehrte vertreten hier die Auffassung, dass eine solche Ehe nicht aufgelöst werden müsse und die Entscheidung bei der Frau liege. Diese Auffassung vertreten beispielsweise das türkische Diyanet und der Europäische Fatwa-Rat. Voraussetzung ist, dass die Frau ihren Glauben praktizieren und die muslimische Erziehung der Kinder gewährleisten kann. Diese beiden Aspekte scheinen hier ausschlaggebend für diese Regelung zu sein. Eine grundsätzliche Neubewertung des Verbots ausgehend von dieser Ausnahmeregelung erscheint jedoch aufgrund des klaren Konsenses eher unwahrscheinlich.

Wann gilt eine Partnerschaft als Ehe?

Geschlechtsverkehr und andere Intimitäten sind also nur in einer Ehe erlaubt. Aber wann gilt eine Partnerschaft als Ehe? In den klassischen Rechtstexten werden einige Aspekte genannt, die für eine Eheschließung notwendig sind, die sich jedoch von Rechtsschule zu Rechtsschule unterscheiden, wie z.B. die Brautgabe, die Anzahl der Trauzeugen, die bei der Eheschließung zu verwendenden Ausdrücken, etc.  All diese Aspekte wären aber nur dann relevant, wenn diese Regeln von einer staatlichen Behörde anerkannt und damit rechtlich verbindlich werden. Ist dies, wie in Deutschland, nicht der Fall, spielen diese Normierungen in unserem Kontext kaum eine Rolle.

Die meisten Dachverbände und Moscheegemeinden akzeptieren eine rein religiöse Eheschließung vor einem Imam oder einer anderen Person nicht, solange keine standesamtliche Trauung stattfindet. Eine religiöse Eheschließung wird als Segnung und nicht als bindende Eheschließung interpretiert, da sie nicht rechtsverbindlich ist. Eine Eheschließung muss jedoch Rechtssicherheit für beide Parteien bieten, weshalb die standesamtliche Eheschließung von den meisten Gelehrten und Institutionen als gültige Ehe anerkannt wird.

Die traditionellen Regelungen der Normenlehre zu Eheschließung, Scheidung, Unterhalt etc. können daher in diesem Bereich keineswegs eins zu eins übernommen werden, sondern müssen kontextspezifisch interpretiert und umgesetzt werden, was zu sehr unterschiedlichen Auffassungen geführt hat, die hier in ihrer Breite nicht behandelt werden können. In der konkreten Praxis gibt es zwar Meinungsverschiedenheiten im Detail, grundsätzlich besteht aber Einigkeit darüber, dass Eheschließung und Ehescheidung auf staatlich anerkannten Wegen zu erfolgen haben und religiöse Normen in diesen Rahmen einzuordnen sind.

Verantwortlichkeit und Rollenbilder innerhalb der Ehe

Die Ehe wird im Koran als Ort des Friedens und der Ruhe beschrieben und soll auf dem Fundament gegenseitiger Liebe und Barmherzigkeit stehen. Die Rollenverteilung in der Ehe muss daher auf diesem Fundament aufbauen und aus dieser Perspektive verstanden werden. Darüber hinaus zeichnet der Koran grundsätzlich ein traditionelles Familienbild, das dem Mann die finanzielle Verantwortung und damit auch die Position des Familienoberhauptes zuweist. Er hat für den Lebensunterhalt der Familie zu sorgen, die Mitgift für die Frau zu zahlen, während die Frau nicht zu einer solchen Verantwortung verpflichtet wird.

In den klassischen Rechtswerken wird der Aspekt der Liebe, der Barmherzigkeit und des Friedens auch erwähnt, aber nur nebenbei. Es geht in diesen Texten mehr um Rechte und Pflichten. Nach diesem Verständnis ist der Mann der Versorger und trägt die gesamte finanzielle Last. In den Rechtswerken steht sogar, dass die Frau nicht verpflichtet sei, den Haushalt zu führen, die Kinder zu stillen oder zu kochen. Auch für diese Arbeiten muss der Mann finanziell aufkommen. Es ist offensichtlich, dass aus solchen Rechtswerken nicht die Grundlagen einer liebevollen, partnerschaftlichen Ehe abgeleitet werden können, sondern nur Regelungen, die im Streitfall angewendet werden können und die damaligen Kontexte reflektieren. Das war die Funktion dieser Werke. Deshalb sind diese Normen immer im Kontext zu lesen und nicht als allgemeingültige Aussagen zu interpretieren. Das Eheleben war auch damals schon viel komplexer, als es in solchen Rechtswerken beschrieben wird.

Rollenverteilung in der Ehe

Wie die Rollen- und Aufgabenverteilung in der Ehe aussieht, bleibt letztlich den Ehepartnern überlassen. Eine klassische Rollenverteilung mit dem Mann als Ernährer und der Frau als Hausfrau ist ebenso möglich wie die, dass beide erwerbstätig sind und gemeinsam zum finanziellen Haushalt beitragen und sich auch die Hausarbeit und Kindererziehung teilen. Es kommt auch häufiger vor, dass die Frau mehr verdient als der Mann und somit die Hauptverdienerin ist. Alle diese Konstellationen sind aus Sicht der islamischen Normenlehre möglich, da es diesbezüglich keine eindeutigen Gebote oder Verbote gibt. Hervorgehoben wird lediglich, dass die Frau nicht gezwungen werden kann, einen finanziellen Beitrag zum Haushalt zu leisten, sondern dies freiwillig tun kann, während der Mann dazu verpflichtet ist. Es sei denn, es liegen besondere Umstände vor, die dies verhindern.

Dieser Aspekt scheint für viele traditionelle Gelehrte eine Konstante zu sein, da die finanzielle Verantwortung des Mannes explizit im Koran erwähnt wird. Daraus leiten einige Gelehrte ab, dass dies auch die einzig mögliche Rollenverteilung sei und die Frau deshalb grundsätzlich nicht arbeiten dürfe. In konservativeren Kreisen wird die Erwerbstätigkeit der Frau daher als sehr bedenklich angesehen, wenn sie dadurch z.B. die religiöse Erziehung der Kinder vernachlässigt, es sei denn, die Familie ist dringend auf das Geld angewiesen, so dass es ausnahmsweise erlaubt wäre. Solche Positionen treten aber immer mehr in den Hintergrund, weil die Lebenswirklichkeit ganz andere Konzepte erfordert.Ein grundsätzliches Arbeitsverbot für Frauen oder die alleinige Zuständigkeit der Frau für Hausarbeit und Kindererziehung lässt sich weder aus den Offenbarungsquellen noch aus der Normenlehre eindeutig ableiten.

In muslimischen Familien gibt es die unterschiedlichsten Formen, wie Paare Rollen und Aufgaben in der Familie verteilen und wahrnehmen, je nach Beruf, Sozialisation, Religionsverständnis, persönlicher Einstellung oder familiärer Unterstützung. In diesem Bereich gibt es kaum starre und unveränderliche Normen, so dass der Kontext und soziale Faktoren ausschlaggebend sind.

Wie sieht es in der Gesellschaft aus?

In der sozialen Interaktion zwischen Männern und Frauen gibt es wenige Normen, die als statisch gelten, weite Bereiche werden entsprechend den gesellschaftlichen Konventionen verstanden und geregelt. Über die Grenzen der zwischengeschlechtlichen Interaktion gibt es jedoch starke Meinungsunterschiede, die auch je nach Sozialisation, Milieu, Religionsverständnis stark variieren können. Eine grundsätzliche Trennung von Männern und Frauen in allen Bereichen gibt es in den normativen Lehren nicht. Es wird jedoch auf bestimmte Grenzen hingewiesen, die sowohl von Männern als auch von Frauen in Form von Kleidungsvorschriften und Verhaltensmustern zu beachten sind..

Frauen sind nach der sunnitischen Normenlehre verpflichtet, ihren gesamten Körper mit Ausnahme von Händen, Gesicht und Füßen zu bedecken. Dementsprechend ist auch die Kopfbedeckung eine religiöse Pflicht. Männer müssen mindestens den Bereich zwischen den Knien und dem Bauchnabel bedecken, was nicht bedeutet, dass sie sich in der Öffentlichkeit mit nacktem Oberkörper zeigen dürfen. Es ist lediglich der Bereich, der mindestens bedeckt sein muss. Erwachsene Männer sollten daher in der Öffentlichkeit keine kurzen Hosen tragen, die nicht bis zu den Knien reichen, und auch nicht mit kurzen Badehosen schwimmen, wenn die entsprechenden Stellen nicht bedeckt sind..

Zu Beginn wurde darauf hingewiesen, dass Intimität nur in der Ehe erlaubt ist. Daher wird nicht nur der außereheliche Geschlechtsverkehr als verboten angesehen, sondern auch alles, was dazu verleiten könnte. Da dieser Aspekt sehr auslegungsbedürftig ist, gab und gibt es Meinungsverschiedenheiten über die konkreten Grenzen dessen, was zu einer verbotenen Intimität führen könnte. Dies ist auch der Bereich, der oft zu heftigen Diskussionen führen kann. Generell gilt jedoch, dass es verboten ist, wenn sich ein Mann und eine Frau allein an einem geschlossenen Ort treffen, zu dem Dritte keinen Zutritt haben. Dies gilt nicht für öffentliche Orte, wenn sich ein Mann und eine Frau in einem Café treffen. Aber auch hier gibt es unterschiedliche Auffassungen. Dies sind die einzigen beiden statischen Gebote in der sozialen Interaktion zwischen Mann und Frau in der Gesellschaft, nämlich die Kleiderordnung und das Verbot der Intimität. Alles andere ist Gegenstand von Meinungsverschiedenheiten, bei denen vor allem verschiedene Faktoren wie gesellschaftliche Konventionen und gegenseitige Vereinbarungen zu berücksichtigen sind.

Händeschütteln zwischen Mann und Frau

So gesehen werden Berührungen zwischen den Geschlechtern werden tendenziell ebenfalls für verboten erklärt, mit Ausnahme des weit verbreiteten Händeschüttelns zur Begrüßung. Hier gehen die Meinungen auseinander. Während einige das Händeschütteln zwischen Männern und Frauen in Anlehnung an die traditionellen Rechtswerke als haram betrachten, gibt es eine breite Mitte innerhalb des traditionellen Spektrums, die das Händeschütteln im Rahmen der lokalen Konventionen als erlaubt und nicht als potenziell sündhafte Handlung betrachtet. Auch die muslimische Praxis in Deutschland hat sich dahingehend entwickelt, dass viele das Händeschütteln als Zeichen des gegenseitigen Respekts als erlaubt betrachten. Wenn es keine klaren, eindeutigen Offenbarungstexte oder einen Konsens zu einem Thema gibt, können die gesellschaftlichen Konventionen entscheidend sein.

Es gibt also unterschiedliche Auffassungen, die es zu berücksichtigen gilt. Da es keine eindeutigen Offenbarungstexte dazu gibt, lassen sich aus sunnitisch-islamrechtlicher Sicht, Argumente für beide Positionen finden, wobei sich eine Tendenz zur Normalisierung des Händeschüttelns in der Öffentlichkeit abzeichnet.

Männer und Frauen können in Vereinen, im Studium, im Berufsleben zusammenarbeiten, kooperieren oder sich austauschen. Aus islamrechtlicher Sicht gibt es diesbezüglich keine eindeutigen Verbote oder Hindernisse, außer die bereits genannten Kleidervorschriften und Intimitätsverbote So können Frauen und Männer gemeinsam an Veranstaltungen teilnehmen, Frauen können auch in Moscheen Vorträge vor Männern halten. Eine Trennwand oder Trennvorhänge, wie sie in manchen Moscheen oder Veranstaltungen üblich sind, sind daher nicht unbedingt notwendig, sondern können entsprechend den Konventionen und Gepflogenheiten der jeweiligen Institutionen gehandhabt werden.

Fazit

Diese exemplarischen Beispiele haben gezeigt, dass in den verschiedenen hier behandelten Bereichen ähnliche Muster zu beobachten sind. Es gibt einige wenige stabile Normen, die dementsprechend als unveränderlich gelten, während in Detailfragen eine ganze Bandbreite von sehr konservativen, pragmatischen oder dynamischen Auslegungen zu beobachten ist. Die unveränderlichen Normen gehen entweder auf klare Aussagen in Koran und Sunna oder auf einen tradierten Konsens der Prophetengefährten und Gelehrten zurück.

Die Besonderheit der sunnitischen Tradition liegt gerade darin, die Offenbarungsquellen Koran und Sunna nach dem Verständnis der großen Gemeinschaft der Altvorderen, also der ersten drei Generationen der Muslime, zu verstehen. Besteht in einer bestimmten Frage Konsens, so gilt dies als verbindlich für die nachfolgenden Generationen. Gibt es Uneinigkeit, so ist dieser Bereich auch für spätere Generationen offen für unterschiedliche Interpretationen. In diesem Spannungsfeld zwischen stabilen und veränderbaren Normen bewegt sich die Normenlehre auch in der Gegenwart, weshalb der Diskurs auch innerhalb des sunnitischen Mainstreams keineswegs monolithisch zu verstehen ist, sondern in vielen Fragen sehr dynamisch bleibt.