MEDIENKRITIK

Zwischen Fakten und Vorurteilen: Die Debatte um „Islamismus“ unter Schülern

Von einer extremistischen Bedrohung durch muslimische Schüler berichten viele Medien. Doch ein Blick auf Zahlen und Fakten zeigt: Die Gefahr geht eher von schlechten Journalisten aus.

04
05
2024
Fabian Goldmann über die Berichterstattung zur "Islamismus-Studie"
Fabian Goldmann über die Berichterstattung zur "Islamismus-Studie"

Wer in der vergangenen Wochen Zeitung las, konnte schnell den Eindruck gewinnen, Deutschland stünde kurz vor der „islamistischen Machtübernahme“: „45,8 Prozent der jungen Muslime wollen islamischen Gottesstaat“, erfuhren Leser von Focus Online. „Muslimische Schüler nehmen Koran wichtiger als Gesetze“, bekam das Publikum von BILD zu lesen. „Studie fördert islamistische Tendenzen unter Schülern zutage“, berichtete die Hannoversche Allgemeine. Und die Junge Freiheit titelte: „Islamische Schüler stellen Koran über deutsche Gesetze.“ Das Problem daran: Nichts davon stimmt.

Grundlage der Berichterstattung ist ein schon Ende letzten Jahres veröffentlichter Bericht des Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen. In dessen „Niedersachsensurvey 2022“ finden sich allerdings weder allgemeine Erkenntnisse über „junge Muslime“ noch über „islamische Schüler“. Stattdessen wurden muslimische niedersächsische Neuntklässler befragt. Um genau zu sein: zwischen 270 und 308 von ihnen (nicht alle haben auf alle Fragen geantwortet). Wenn Medien nun berichten: „45,8 Prozent der jungen Muslime wollen islamischen Gottesstaat“ dann stecken dahinter im Zweifel gerade einmal 124 Schulkinder.

Schon der erste Satz der Studie weist auf fehlende Repräsentativität hin

Auf dieser Basis lassen sich weder allgemeine Aussagen über „junge Muslime“ noch über „muslimische Schüler“, nicht einmal über „muslimische Schüler in Niedersachsen“ treffen. Um das zu erkennen, müssen Journalisten keine empirische Sozialforschung studiert haben. Es reicht die Studie, über, die sie berichten, einfach nur zu lesen. Im entsprechenden Kapitel heißt es dort im allerersten Satz: „Die Auswertungen für islamistische Einstellungen können nicht als repräsentativ für muslimische Schüler*innen in Niedersachsen gesehen werden.“

Das bedeutet: Rückschlüsse auf irgendeine Gruppe jenseits der tatsächlich befragten rund 300 muslimischen niedersächsischen Schüler lassen sich aufgrund der geringen Größe der Befragung und der nicht repräsentativen Auswahl der Schüler, nicht ziehen. Einige Medien wie der WDR wiesen im in ihrer Berichterstattung zwar auf die fehlende Repräsentativität der Untersuchung hin. Von alarmistischen Schlagzeilen wie „Wenn die Scharia wichtiger ist als deutsche Gesetze“ hielt die Redaktion diese Erkenntnis aber auch nicht ab.

Stimmungsmache trotz fehlender Fakten

Von fehlenden Daten ließen sich auch viele Politiker die Stimmungsmache nicht vermiesen. „Die Vermittlung demokratischer Werte gelingt offensichtlich nicht, damit droht der gesellschaftliche Zusammenhalt ins Rutschen zu kommen“, schlussfolgerte die stellvertretende CDU-Bundesvorsitzende Karin Prien aus den Aussagen von ein paar Dutzend niedersächsischen Neuntklässlern und kritisierte TikTok und die Jugendarbeit von Moscheegemeinden (nichts davon kommt in der Studie vor). CDU-Innenpolitiker Christoph de Vries nahm in der BILD die nicht repräsentative Befragung zum Anlass mal wieder „Multikulti“ für „gescheitert“ zu erklären. Und der Präsident des Deutschen Lehrerverbands, Stefan Düll, forderte „mehr Demokratie-Erziehung im Werte-Kanon des Grundgesetzes“ und „Null Toleranz“ gegenüber Islamismus.

Fragwürdige Konzeption

Aber nicht nur die mediale und politische Rezeption der Befragung gibt Grund zur Kritik. Auch die Studie selbst lässt Fragen offen. Unklar bleibt zum Beispiel, was die Studienmacher eigentlich unter „islamistischen Einstellungen“ verstehen. Eine entsprechende Definition findet sich nicht in der Untersuchung. Stattdessen verweisen die Studienmacher auf eine frühere Untersuchung des Hamburger „Monitoringsystem und Transferplattform Radikalisierung“ (MOTRA). Dessen Konzept und Fragenkatalog zielt aber allerdings nicht auf die Messung von „Islamismus“, sondern von „Affinität zu Islamismus“. Was „islamistisch“ und „islamismusaffin“ genau unterscheidet, erfährt man leider in keiner von beiden Studien.

Wenn nun also die niedersächsischen Forscher mit dem MOTRA-Fragebogen zu „islamismusaffinen Einstellungen“ zu dem Ergebnis kommen, dass 22,2 Prozent der befragten muslimischen Schüler „islamistische Einstellungen“ vertreten, ist das mindestens begrifflich und vermutlich auch konzeptionell fragwürdig.

Zweifeln lässt sich auch daran, ob der lediglich neun Fragen umfassende Fragenkatalog tatsächlich ausreicht, um „islamistischer Einstellungen“ zu messen. Zumal viele Fragen nicht auf extremistische politische Einstellungen, sondern auf die Religiosität der Schüler abzielen. Fragen wie „Nur der Islam ist in der Lage, die Probleme unserer Zeit zu lösen“ oder „Die Regeln des Korans sind mir wichtiger als die Gesetze in Deutschland“ hätten Gläubige anderer Bekenntnisse möglicherweise ähnlich beantwortet – ohne dadurch unter Extremismus-Verdacht zu geraten. Einen Vergleich zwischen den Konfessionen lässt die Studie allerdings nicht zu. Muslimische Schüler sind die Einzigen, deren Glaube in der Studie in Verbindung mit Extremismus gebracht wird. Fragen, die auf die Einstellungen von christlichen, jüdischen oder atheistischen Schülern abzielen, gibt es in der Untersuchung nicht.

Doppelte (Qualität)standards

Dass den niedersächsischen Forschern das Abstempeln von muslimischen Schülern leichter von der Hand geht als bei ihren nichtmuslimischen Klassenkameraden, legt auch ein Vergleich mit anderen Kapiteln der Untersuchung nah. Die Messung von „rechtsextremen Einstellungen“ basiert mit 8.536 befragten Schülern nicht nur auf einer sehr viel größeren Stichprobe, auch der Fragenkatalog ist sehr viel ausdifferenzierter. Während den Forschern im Fall von vermeintlich „islamistischen“ Schülern neun Fragen ausreichen, um ein Urteil zu fällen, sind es bei Schülern mit rechtsextremen Einstellungen über 50. Anders als im „Islamismus“-Kapitel werden im „Rechtsextremismus“-Kapitel zudem nicht nur Meinungen, sondern auch reale Handlungen und Straftaten wie Beleidigungen und Gewalttaten abgefragt.

Journalisten und Politiker, die sich wirklich um die demokratische Verfasstheit von Niedersachsens Schülern sorgen, finden in dem Kapitel jede Menge besorgniserregende (und repräsentative) Erkenntnisse. So stimmt fast jeder sechste niedersächsische Schüler (16,0 Prozent) der Aussage zu: „Die meisten Geflüchteten begehen in Deutschland Straftaten.“ Fast jeder fünfte niedersächsische Schüler (18,2 Prozent) empfindet es als „ekelhaft, wenn sich Homosexuelle in der Öffentlichkeit küssen.“ Davon, dass sich „Personen, die Hartz-IV empfangen, auf Kosten der arbeitenden Menschen ein bequemes Leben machen“, zeigt sich mehr als jeder dritte niedersächsische Schüler überzeugt (37,7 Prozent). Und nicht einmal jeder dritte niedersächsische Schüler (28,7 Prozent) „hätte kein Problem damit, von einer muslimischen Frau mit Kopftuch unterrichtet zu werden“.

Dass diese und viele weitere problematische Entwicklungen in Niedersachsens Schülerschaft kaum öffentliche Empörung hervorrufen, verrät vielleicht auch etwas über kritikwürdige Weltbilder: nicht an niedersächsischen Schulen, sondern in deutschen Redaktionen und Politiker-Büros.

Leserkommentare

Dilaver_Ç. sagt:
Es ist – genauso wie die aktuelle Kalifatshysterie – wieder einmal ein klassisches Beispiel dafür, wie durch Medienmanipulation antimuslimischer Rassismus geschürt und salonfähig gemacht wird. Übliches Schreckgespenst: Islamismus. Deutschland macht damit dem Erbe Adolf Hitlers alle Ehre. Kratzt man an der demokratischen Oberfläche Deutschlands, kommt das hässliche Gesicht Adolf Hitlers zum Vorschein. Die heutige Sprache des Faschismus: Menschenrechte und die volle Härte des Rechtsstaats. Willkommen im Nazistaat Deutschland 2024.
05.05.24
1:32
Rolf B. sagt:
Sehr geehrter Herr Dilaver_ç ! Eine Manipulation durch Medienvertreter kann man nie ganz ausschließen; - da bin ich ganz bei Ihnen, aber eine Hetze mit "(...) Deutschland macht damit dem Erbe Adolf Hitlers; und "(...) Willkommen im Nazistaat Deutschland 2024", sind Aussagen, die sind nicht akzeptabel! Viele Muslime, -und es gibt auch Muslime mit Deutscher Abstammung, setzen sich für den Islam in Deutschland ein und vertreten diesen auch immer mehr durchsetzungsfähiger. Gerade diese sollten Ihnen vehement widersprechen, denn ihre "Arbeit" wird genau durch solche Äußerungen zunichte gemacht. "Hetzen" kann jeder, demokratisch leben nicht unbedingt jedermann, Daran sollten Sie vielleicht einmal arbeiten und gerade den Muslimen in Deutschland nicht so einen Schaden durch "Ihre Kommentare" zufügen! Mit Grüßen aus Berlin!
06.05.24
9:41
Dilaver_Ç. sagt:
@Rolf B. Wenn Sie weiterschlafen und nicht realisieren wollen, dass Demokratie in diesem Land nichts weiter ist als eine verlogene Maske, hinter dem das hässliche Gesicht des Faschismus der White Supremacy sich versteckt, weil Sie das bisher erreichte nicht verlieren wollen, dann will ich Sie auch nicht aufwecken, wenn Sie glauben dass Sie damit kein Problem haben und gut damit leben können, wenn Sie sich nur gut genug anpassen. Ich ziehe es mittlerweile vor, diese Lebenslüge abzulegen, die den Deutschen sowie allen die in dieses Land kommen, politisch sowie medial eingeredet wird. Lieber wache ich auf und vernichte damit alles, was ich bisher erreicht habe, als ich noch am schlafen war. Lieber koche ich in diesem Land ab jetzt mein eigenes Süppchen im Kleinen anstatt mich im Großen anzupassen, mich damit mit dem Lügengebäude der White Supremacy zu arrangieren, um großes zu erreichen und damit nur mich selbst zu betrügen. Ich wünsche Ihnen alles Gute, wenn Sie meinen, sich damit arrangieren zu können, um Ihre bisherigen Errungenschaften wahren und noch mehr erreichen zu können. Tschüss.
06.05.24
19:05
Evergreen sagt:
Herr Goldmann spricht pauschal von schlechten Journalisten; doch Selbst- erkenntnis ist ihm fremd. Mit Scheuklappen beschränkt er sich auf zwei Berichte und schießt sich darauf ein (Niedersachsensurvey 2022; MOTRA), alles Andere blendet er blind oder ängstlich aus: weitere Studien und War- nungen sogar von muslimischen Professoren, Wissenschaftlern und Ima- men. Ich nehme antimuslimischen und muslimischen Rassismus in Deutschland ernst, gerade auch bei jungen Menschen. Herr Goldmann ignoriert muslimischen Rassismus total. Er scheint nie Schulen besucht zu haben, wo muslimische Schüler die Mehrheit stellen. Oder wagte er nicht zu berichten? Er sollte wenigstens Klagen von muslimischen Schüler:innen anhören, welche vom Druck muslimischer Scharfmacher berichten.
06.05.24
19:48
grege sagt:
Gerade islamistisch und homophob gesinnte Islamisten in diesem Forum sind der Inbegriff für Demokratiedefizite. Solchen "Mitbürgern", deren Kleingeistigkeit gutmöglich das Resultat inzestiöser Handlungen widerspiegel. kann nicht oft genug empfehlen heim in Erdowahns Reich oder in das Gazaklo zu kehren. Aber lässt diese Kleingeistigkeit unsere tapferen Islamisten zu Maulhelden verrotten.
09.05.24
12:14
Dilaver_Ç. sagt:
Von Rassisten lasse ich mir hier gar nichts sagen.
12.05.24
14:40