Autoren schreiben hunderte Seiten. Doch was passiert, wenn sie ihr Buch auf seine Essenz herunterbrechen müssen? Unsere Serie „Nachgefragt“ liefert Antworten. Heute das Buch „Mit Kindern über Diskriminierung sprechen“.
IslamiQ: Wem würden Sie ihr Buch gerne schenken und warum?
Olaolu Fajembola und Tebogo Niminde-Dundadengar: Das Buch ist für alle, die sich gegen Diskriminierungen einsetzen möchten. Eltern, die ihre Kinder sensibilisieren möchten für die verschiedenen Formen von Diskriminierungen, die in unserer Gesellschaft existieren und sie selbst unterschiedlich betreffen und verletzen. Das Buch ist für Menschen, die sich für eine gerechtere Gesellschaft einsetzen möchten.
IslamiQ: Warum ist die Thematik Ihres Buches wichtig?
Fajembola und Niminde-Dundadengar: In unserer heutigen Zeit werden wir mit vielen verschiedenen Realitäten konfrontiert. Immer mehr Stimmen, die bisher von der Mehrheitsgesellschaft ignoriert wurden, werden endlich mit ihren eigenen Perspektiven, Erfahrungen und Wahrheiten gehört. Narrative über Menschen, die häufig Diskriminierungserfahrungen machen, z.B. Schwarze Menschen, muslimisch gelesene Menschen, queere Menschen etc. wurden häufig von ihnen selbst nicht problematisiert. Häufig wussten Betroffene schon, wenn das eine oder andere sich schief anfühlt bzw. lachten aus Verlegenheit mit.
Heute gibt es Worte, Selbstbezeichnungen, Erkenntnisse und Studien, die belegen, dass bestimmte Worte rassistische Bilder transportieren, bestimmte Witze einfach nicht witzig sind, weil sie beispielsweise auf die Abwertung von Menschen beruhen. Wir schrieben das Buch, um in einer Gegenwart der komplexen Realitäten eine Orientierung zu bieten und auch zu erklären, woher bestimmte Bilder kommen, warum bestimmte Gruppen von Menschen immer wieder auf verschiedene Art und Weisen beleidigt und verletzt werden.
Und vor allem wollen wir empowern und zeigen, dass das Problem nicht bei der oder die betroffene Person liegt. Sie sollen wissen, dass sie wundervoll sind, so wie sie sind. Und wir möchten Eltern und Begleitpersonen von Kindern dabei unterstützen, ihre eignen Kinder zu empowern und ihnen ein positives Selbstwert zu vermitteln. Und falls sie selbst oder ihre Kinder nicht von einer Diskriminierungsform betroffen sind, möchten wir ihnen zeigen wie sie zu guten Allies werden, die für andere Menschen einstehen und vor allem verstehen, warum bestimmte Aussagen, Handlungen und Worte verletzen können.
IslamiQ: „Beim Lesen guter Bücher wächst die Seele empor.“ Warum trifft dieses Zitat von Voltaire auf Ihr Buch zu?
Fajembola und Niminde-Dundadengar: Unser Buch soll den Lesenden Zugang zum Thema eröffnen, ihnen die Augen öffnen und möglicherweise Zugänge füreinander eröffnen. Es geht ja nicht darum, Gruppen gegeneinander auszuspielen, sondern vor allem neue Wege zu finden, einander mit Respekt und Wertschätzung zu begegnen. Dazu gehört, das erlernte und häufig nicht hinterfragte Wissen über einander zu hinterfragen und gegebenenfalls auch abzulegen. Dazu gehört sich auch zu entschuldigen. Und dazu gehört vor allem auch aufzustehen und gegebenenfalls für andere einzustehen.
Wenn unser Buch dazu beitragen kann, Menschen, die häufig diskriminiert werden, von der Seele zu sprechen, hat das Buch einen guten Anteil geleistet. Wenn das Buch dazu beitragen kann, dass Menschen, die bisher ihre eigenen Privilegien nicht erkannt haben, die Augen zu öffnen über andere Realitäten, die Menschen erleiden, haben wir ein weiteres Ziel erreicht.
Wenn Menschen durch unser Buch neue Erkenntnisse über sich und die Welt, insbesondere zu ihren Mitmenschen gewonnen haben, erfreut sich unsere Seele und auch wir haben viel dazugelernt.
IslamiQ: Ihr Buch in drei Wörtern zusammengefasst?
Fajembola und Niminde-Dundadengar: Kindzentriert- antidiskriminatorisch – empowernd
IslamiQ: Eine spezielle Frage an Sie: Wie würden Sie das Problem des antimuslimischen Rassismus in Schulen und anderen Bildungseinrichtungen charakterisieren, und welche besonderen Herausforderungen (auch für das Lehrpersonal) sehen Sie in diesem Kontext?
Fajembola und Niminde-Dundadengar: In Deutschland existiert eine prinzipielle Bildungslücke, was muslimische Perspektiven und Erfahrungen betrifft. Wie die, von der Bundesregierung in Auftrag gegebene Studie, „Muslimfeindlichkeit – eine deutsche Bilanz“ aus dem Jahr 2023 verdeutlichte, nehmen Bildungseinrichtungen und Lehrkräfte eine besondere Rolle ein, Schüler*innen ein eindimensionales Bild des Islams und muslimischer Menschen zu zeichnen. Häufig werden im Unterricht, beide Aspekte auf die Schlagbilder, Terror, Gewalt und religiöser Extremismus reduziert. Muslimisch gelesene Kinder werden zum „Erklärbär“ und „Islamexpert*innen“ im Klassenraum konstruiert und müssen für Fragen von Mitschüler*innen und Lehrkräften herhalten. Sie lernen sich ständig positionieren zu müssen, zu ihrer Religion, ihrer politischen Haltung etc. Gleichzeitig wird im Bildungssystem kein Raum geschaffen, um historische Beiträge von muslimsichen Menschen oder Beiträge zu Deutschland oder Europa zu besprechen.
Um dies zu ändern sollten sich Lehrkräfte selbst kritisch überprüfen: Wie gestalte ich die Inhalte meines Unterrichts? Welche Perspektiven werden im Geschichtesuterricht aufgegriffen? Welche Perspektiven auf die Geschichte werden darin repräsentiert. Wird mitgedacht, dass Kinder mit anderen geopolitischen Bezügen sich durch die Geschichtserzählung abgewertet und irrelevant fühlen könnten? Wird z.B. auch die Geschichte der sog. Gastarbeiter*innen als Teil der deutschen Nachkriegserzählung behandelt? Erfahren Kinder in diesem Kontext auch von Diskriminierungen, die die Menschen erfahren haben, von Unterbezahlung, rassistischer Gewalt und Ausgrenzungen? Wie gehen die Bildungseinrichtungen mit muslimischen Feiertagen um? Werden diese im Schulcurriculum aufgegriffen? Und kenne ich meine Biases (siehe Max- und Murat-Studie), reflektiere ich sie und versuche sie aktiv anzugehen?
Diese und andere Fragen zeigen auf, wie sehr die Haltung und Selbstreflexion der Lehrkräfte in die Inhalte des Unterrichts einfließen können und entsprechen, welche Inhalte alle Kinder dieser Gesellschaft über uns und unsere Beziehung als Gesellschaft miteinander erlernen.