Mehr als die Hälfte der Deutschen sieht im Islam eine Bedrohung. Dem aktuellen Religionsmonitor zufolge trägt eine differenzierte Sicht auf Muslime maßgeblich zur Verringerung von Diskriminierung bei.
Neben tief verwurzelten antimuslimischen Vorurteilen gibt es in weiten Teilen der deutschen Bevölkerung auch eine differenzierte Sicht auf muslimisches Leben in Deutschland. Diese differenzierte Wahrnehmung baut die Vorurteile zwar nicht ab, trägt aber dazu bei, dass Muslime weniger benachteiligt und diskriminiert werden. Das zeigt der aktulle Religionsmonitor 2023 „Zwischen Pauschalisierung und Differenzierung. Einstellungen gegenüber Muslim und dem Islam in Deutschland“ der Bertelsmann Stiftung.
Die Studie verdeutlicht, dass antimuslimische Vorbehalte und ein differenziertes Bild der muslimischen Bevölkerung nebeneinander existieren können. Diese Haltungen stehen nicht im Widerspruch zueinander und bauen sich nicht gegenseitig ab. Ein wichtiger Effekt ist jedoch, dass sie diskriminierendes Verhalten verhindern. Insbesondere das Bewusstsein darüber, dass Muslime häufig Diskriminierung und Rassismus erleben, trägt dazu bei, dass Vorurteile nicht in ausgrenzendes Verhalten umschlagen.
„Dieser bedeutende Befund zeigt, wie wichtig und wirksam Bemühungen sind, eine differenzierte Sichtweise auf muslimisches Leben in Deutschland zu fördern“, betont Yasemin El-Menouar, Religionsexpertin der Bertelsmann Stiftung, gegenüber dem MiGAZIN. Interreligiöse Bildung bleibt hierbei ein zentraler Faktor. Auch die Förderung einer differenzierten Debattenkultur trägt zur Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhalts bei. „Auch wenn es derzeit noch nicht greifbar ist, kann eine differenziertere Wahrnehmung von Muslim und ihrer Religion langfristig dazu beitragen, antimuslimische Vorurteile abzubauen“, so El-Menouar weiter.
Antimuslimische Vorurteile sind weit verbreitet. Laut Daten aus dem Religionsmonitor 2023 sehen 52 Prozent der Deutschen im Islam eine Bedrohung, während nur 18 Prozent den Islam als Bereicherung empfinden. Diese Negativwahrnehmung spiegelt sich auch in den Diskriminierungserfahrungen der muslimischen Bevölkerung wider: Etwa ein Drittel berichtet von regelmäßiger Benachteiligung im Alltag.
Für die Studie haben die Expertinnen ein breites Spektrum an antimuslimischen Vorurteilen untersucht und deren Auswirkungen auf Verhaltensintentionen analysiert. Die Daten stammen aus dem Jahr 2022, also vor den Ereignissen im Nahen Osten im Oktober 2023. Die Studienautorinnen vermuten daher, dass antimuslimische Einstellungen seither weiter zugenommen haben könnten. Die Daten von 2022 zeigen einen klaren Zusammenhang zwischen negativen Stereotypen und diskriminierendem Verhalten. Vorurteile, die sich direkt auf Muslime beziehen, führen häufiger zu diskriminierenden Handlungen als negative Einstellungen gegenüber der Religion Islam. Besonders die Unterstellung, Muslim seien anfällig für Extremismus, hat deutliche Auswirkungen auf die Verhaltensabsicht und führt zu starken Distanzierungsreflexen.
Zu den häufigsten Vorurteilen gehört die Annahme, Muslime würden lieber unter sich bleiben (74 Prozent), in eigenen Stadtteilen leben (70 Prozent) und seien frauenfeindlich (65 Prozent). Vorurteile gegenüber dem Islam sind noch verbreiteter und beinhalten oft die Vorstellung, der Islam sei mit „westlichen“ Werten unvereinbar und gewaltbereit (57 Prozent). Zudem haben 58 Prozent der nichtmuslimischen Befragten ein Problem damit, in einen Stadtteil zu ziehen, in dem viele Muslime leben.
Trotz dieser Vorurteile gibt es auch differenzierte Ansichten: 83 Prozent der Befragten wissen, dass es sowohl streng religiöse als auch weniger streng religiöse Muslime gibt. 85 Prozent sind sich bewusst, dass Handlungen einzelner Muslime oft der gesamten Gruppe zugeschrieben werden. 60 Prozent stimmen zu, dass Muslime häufig benachteiligt oder angefeindet werden, und 69 Prozent glauben, dass Muslime Rassismus erfahren.
Weniger Bedenken haben die Befragten bei muslimischen Lehrkräften mit einem Kopftuch: Immerhin 60 Prozent der Befragten würden ihr Kind an einer Schule anmelden, in der auch eine kopftuchtragende Muslimin unterrichtet. Auf der anderen Seite würden immerhin 40 Prozent sich gegen eine Schule entscheiden, wenn dort eine kopftuchtragende Lehrkraft angestellt ist.
Um den Zusammenhang zwischen Vorurteilen und diskriminierendem Verhalten zu durchbrechen, fordert die Studienleiterin mehr Begegnungen zwischen Muslimen und Nichtmuslimen. Besonders die jüngere Generation hat eine differenziertere Sicht auf Muslime und den Islam, basierend auf alltäglichen Erfahrungen und interreligiösen Kontakten in Schule und Ausbildung. Auch die Erwachsenengeneration müsse sensibilisiert werden, wofür es neben persönlichem Kontakt auch differenzierteres Wissen über muslimisches Leben in Deutschland brauche. „Mehr Erzählungen über die Normalität muslimischen Lebens können den kursierenden Negativbildern etwas entgegensetzen“, so El-Menouar abschließend.