Auch 29 Jahre nach dem Genozid in Bosnien und Srebrenica ist das Trauma nicht überwunden. Noch immer werden Opfer identifiziert und beigesetzt. Dabei spielt das ICMP eine wichtige Rolle. Ein Interview.
IslamiQ: Können Sie uns einen Überblick über die internationale Kommission für vermisste Personen (ICMP) und ihre Hauptaufgaben geben?
ICMP: Die ICMP arbeitet mit Regierungen und anderen Behörden zusammen. Sie sucht Personen, die wegen Konflikten, Menschenrechtsverletzungen, Naturkatastrophen oder Naturkatastrophen gesucht werden müssen. Außerdem unterstützt das ICMP die Arbeit anderer Organisationen und trägt zur Entwicklung angemessener Formen des Gedenkens und der Ehrung von Vermissten bei.
IslamiQ: Wie läuft der Prozess der Identifizierung der Opfer des Genozids von Srebrenica?
ICMP: Der Prozess der Identifizierung der Vermissten und Opfer des Völkermords von Srebrenica ist eines der komplexesten forensischen Rätsel überhaupt. Nach der Massenhinrichtung der bosnischen Menschen, meist Männer und junge Kinder, wurden die Leichen in zahlreichen Massengräbern in Ostbosnien verscharrt. Die Leichen wurden später mit schweren Maschinen aus den primären Massengräbern an sekundäre Orte transportiert und verstreut, die manchmal 50 Kilometer von den ursprünglichen Hinrichtungsstätten entfernt waren. Die Bemühungen, die Beweise des Genozids zu vertuschen, führten dazu, dass die Leichen zerstückelt und die Überreste einer Person oft in mehreren verschiedenen Gräbern bestattet wurden.
Die Lokalisierung und Identifizierung der Opfer des Völkermords von Srebrenica waren ein mühsamer und wissenschaftlich strenger Prozess. Unter Einsatz fortschrittlicher forensischen Techniken, einschließlich DNA-Analysen, anthropologischer Untersuchungen und Pathologie, haben die Experten des ICMP unermüdlich an der Identifizierung menschlicher Überreste gearbeitet, die aus den Massengräbern im Gebiet von Srebrenica geborgen wurden. Diese Vorgehensweise hat nicht nur den Familien der Opfer geholfen, sondern auch entscheidend dazu beigetragen, die Gräueltaten des Völkermords zu aufzudecken und die Täter für ihre Verbrechen zur Rechenschaft zu ziehen.
Das DNA-Laborsystem des ICMP wurde 2001 in Betrieb genommen. In den letzten mehr als 20 Jahren wurden fast 7.000 der 8.000 Personen, die im Juli 1995 verschwunden sind, genau identifiziert. Zusätzlich konnte das ICMP durch DNA-basierte Identifizierungen das Ausmaß aufdecken, obwohl die Täter versuchten, ihre Verbrechen zu verbergen. In der Regel finden sich die Körperteile einer vermissten Person aus dem Völkermord von Srebrenica in drei bis vier verschiedenen Massengräbern, die oft mehrere Kilometer voneinander entfernt sind.
IslamiQ: Wie viele Opfer wurden dieses Jahr identifiziert? Wie alt ist das jüngste und das älteste Opfer?
ICMP: Am 11. Juli werden 14 Opfer in Srebrenica beigesetzt. Das jüngste Opfer wurde 1978 geboren (zum Zeitpunkt des Todes 17 Jahre alt), das älteste Opfer 1927 (zum Zeitpunkt des Todes 68 Jahre alt). Sie alle sind Männer.
IslamiQ: Welche besonderen Herausforderungen gab es bei der Identifizierung der Opfer des Genozids von Srebrenica?
ICMP: Wie bereits erwähnt, ist es schwierig, die Leichen zu orten und Beweise zu sichern, da sie später in sekundäre und tertiäre Gräber gebracht wurden. Eine weitere Herausforderung besteht darin, dass es keine glaubwürdigen Informationen über Massen- oder Einzelgräber gibt. Auch hier hat das ICMP Beweise für Kriegsverbrecherprozesse geliefert. Dadurch konnte man die Wahrheit über den Völkermord herausfinden und den den Prozess Heilung der Familien beschleunigen.
IslamiQ: Welche psychologischen und emotionalen Unterstützungsangebote bietet das ICMP den Familien der Opfer des Srebrenica-Genozids?
ICMP: Das ICMP bietet keine psychologische Unterstützung an, arbeitet aber mit vielen verschiedenen Organisationen zusammen, die an der psychologischen und emotionalen Unterstützung der Opfer der Konflikte beteiligt sind.
IslamiQ: Wie beeinflusst die Identifizierung der Opfer von Srebrenica das kollektive Gedächtnis und die historische Aufarbeitung in Bosnien und Herzegowina?
ICMP: Die Erfassung der Vermissten trägt dazu bei, das Gedenken an die Opfer zu wahren, eine korrekte historische Aufzeichnung zu unterstützen und die Versöhnung und das Verständnis innerhalb der Gemeinschaften zu fördern.
IslamiQ: Arbeitet das ICMP mit anderen Organisationen und Institutionen zusammen, um die Erinnerung an den Genozid von Srebrenica zu bewahren? Wenn ja, wie sieht diese Zusammenarbeit aus?
ICMP: Das ICMP kooperiert mit Regierungen, internationalen Gremien (z. B. den Vereinten Nationen, dem Internationalen Strafgerichtshof), Nichtregierungsorganisationen und akademischen Einrichtungen im Rahmen gemeinsamer Projekte, des Datenaustauschs, der technischen Unterstützung und des Aufbaus von Kapazitäten, um die Erinnerung an den Völkermord von Srebrenica zu bewahren. Dazu gehört natürlich auch die Gedenkstätte Srebrenica und alle Vereinigungen der Familien der Vermissten aus der Region Srebrenica.
Das Interview führte Muhammed Suiçmez.