Religiöse Symbole in der Justiz

Kopftuch in der Justiz: Wie regeln es die Bundesländer?

Derzeit sorgt ein Kopftuchverbot wieder für einen Rechtsstreit. Eine Muslimin aus NRW hat gegen ihre Streichung aus der Schöffenliste Beschwerde eingelegt. Doch wie gehen die restlichen Bundesländer mit dem Tragen religiöser Symbole in der Justiz um? Eine Recherche.

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07
2024
Kopftuch in der Justiz: Wie regeln es die Bundesländer? (c)shutterstock, bearbeitet by iQ
Kopftuch in der Justiz: Wie regeln es die Bundesländer? (c)shutterstock, bearbeitet by iQ

Eine Muslimin aus Dortmund wurde vergangenes Jahr zur Jugendschöffin gewählt.  Nachdem ihr mitgeteilt wurde, dass sie ihr Kopftuch aus religiösen Gründen auch während der Verhandlungen nicht ablegen könne, darf sie nicht als Schöffin auftreten. 

Das zuständige Amtsgericht Dortmund beantragte ihre Amtsenthebung beim Oberlandesgericht (OLG) Hamm. Richter widersprachen aber und erklärten, dass die Weigerung, das Kopftuch während der Gerichtsverhandlung abzunehmen, eine Unfähigkeit zur Ausübung des Schöffenamtes ist. Deswegen wurde die Muslimin nun von der Schöffenliste gestrichen. Dagegen legte sie jedoch Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht ein.

Grund für die Streichung aus der Schöffenliste ist das nordrhein-westfälische Justizneutralitätsgesetz, welches im März 2021 beschlossen wurde. Demnach dürfen neben Richtern und Staatsanwälten auch Schöffen keine religiösen Symbole oder Kleidungsstücke tragen. 

Doch wie sieht es in den anderen Bundesländern aus? Wie aus Recherchen von IslamiQ hervorgeht, gibt es in Deutschland keine einheitliche Regelung zum Tragen des Kopftuchs in der Justiz. Während es in einigen Bundesländern klare Verbote gibt, werden in anderen Ländern Einzelfallentscheidungen getroffen. Die Diskussion um religiöse Symbole in der Justiz bleibt somit komplex und vielschichtig. 

Brandenburg

In Brandenburg dürfen Beamte gemäß dem Beamtenstatusgesetz das Vertrauen in ihre neutrale Amtsführung nicht beeinträchtigen. Auf Anfrage von IslamiQ erklärt das Justizministerium jedoch, dass eine Verordnungsermächtigung es ermöglicht, bereichsspezifische Regelungen zur Einschränkung oder Untersagung von religiös oder weltanschaulich konnotierten Merkmale des Erscheinungsbildes zu erlassen. Diese Vorschriften gelten auch für Richterinnen und Rechtsreferendarinnen, aber nicht für ehrenamtliche Richterinnen. „Für den Bereich der Justiz wurde von der Verordnungsermächtigung bisher kein Gebrauch gemacht“, so das Justizministerium Brandenburg.

 Nach der bestehenden Rechtslage können in Brandenburg Personen mit Kopftuch das Schöffinnenamt ausüben, solange sie unparteiisch bleiben. Aktuell gebe es aber keine Schöffinnen, die im Dienst ein Kopftuch tragen wollten. Des Weiteren sei dem Ministerium nur ein Fall bekannt, bei dem eine Rechtsreferendarin aus religiösen Gründen ein Kopftuch trug. Diese Referendarin absolvierte ihren juristischen Vorbereitungsdienst von 2017 bis 2019 und bestand die zweite juristische Staatsprüfung erfolgreich. Es gab keine Anordnungen vom Präsidenten des brandenburgischen Oberlandesgerichts, die ihre Ausübung hoheitlicher Tätigkeiten beschränkten oder untersagten. Allerdings trat sie in Gerichtssitzungen nur im Beisein ihres Ausbilders auf. Sie konnte alle ihr zu Ausbildungszwecken übertragenen Aufgaben regulär wahrnehmen. 

Bremen

In Bremen gilt für die Justiz ein besonderes Gebot der religiös-weltanschaulichen Neutralität, das durch das Tragen einer neutralen Amtstracht betont wird. Diese Pflicht basiert auf der allgemeinen Verfügung des Senators für Justiz und Verfassung von 1962, zuletzt geändert 1970. „Staatsanwältinnen und Richterinnen tragen bei der Erfüllung ihrer Aufgaben, soweit für diese eine neutrale Amtstracht vorgeschrieben ist (öffentliche Verhandlungen), kein Kopftuch. Gleiches gilt für Referendarinnen“, erklärt das Justizministerium gegenüber IslamiQ. Diese Regelung gilt jedoch nicht für das Schöffinnenamt, da sie als Ehrenamtliche keine Amtstracht tragen.

Hessen

In Hessen gibt es keine spezifische Regelung zum Tragen religiöser Symbole in der Justiz, jedoch müssen auch hier Beamte und Richter auch hinsichtlich ihres Erscheinungsbildes Rücksicht auf das ihrem Amt entgegengebrachte Vertrauen nehmen. Demzufolge können bestimmte Kleidungsstücke untersagt werden, erklärte das hessische Justizministerium gegenüber IslamiQ. Einschränkungen sind möglich, wenn Merkmale des Erscheinungsbildes die neutrale Amtsführung beeinträchtigen. Dies gelte auch für Schöffinnen, aber nicht für Rechtsreferendarinnen. „Es steht Rechtsreferendarinnen grundsätzlich frei, im Vorbereitungsdienst ein Kopftuch zu tragen.  Davon ausdrücklich ausgenommen sind einige wenige Situationen, in denen die Referendarin die Justiz nach außen repräsentiert“, so das Justizministerium. Hierbei hält sich die hessische Justiz an das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Jahre 2020. Aktuell seien keine Fälle bekannt, in denen Staatsanwältinnen oder Richterinnen ein Kopftuch tragen. 

Sachsen

In Sachsen gibt es keine landesrechtlichen Regelungen bezüglich des Kopftuchs in der Justiz. „Allerdings gewährleistet das Grundgesetz dem Einzelnen durch das Recht auf den gesetzlichen Richter und das Gebot der Rechtsstaatlichkeit den Beteiligten eines gerichtlichen Verfahrens, vor einem unabhängigen und unparteilichen Richter zu stehen, der die Gewähr für Neutralität und Distanz gegenüber allen Verfahrensbeteiligten und dem Verfahrensgegenstand bietet“, erklärt das sächsische Justizministerium gegenüber IslamiQ. Dieses staatliche Neutralitätsgebot bezieht sich auf alle nach außen in Erscheinung tretenden religiösen Bekundungen und sei von allen Personen zu beachten, die als Repräsentanten der Staatsgewalt auftreten und als solche wahrgenommen werden.

Berlin

In Berlin regelt das Neutralitätsgesetz vom 27. Januar 2005 das Tragen religiöser Symbole in der Justiz. Beamtinnen und Beamte im Bereich der Rechtspflege und des Justizvollzugs dürfen keine sichtbaren religiösen Symbole oder auffälligen religiös geprägten Kleidungsstücke tragen. Dies gilt auch für Berufsrichterinnen und -richter. Ausnahmen können für Beamtinnen und Beamte im Vorbereitungsdienst gemacht werden. „In Berlin gibt es keine gesetzliche Regelung, welche die Ausübung des Schöffinnenamtes mit Kopftuch ausdrücklich verbietet“, heißt es aus dem Justizministerium.

Auch für Rechtsreferendarinnen gibt es einige Ausnahmen. Sie dürfen während ihrer Ausbildung grundsätzlich ein Kopftuch tragen, außer bei repräsentativen hoheitlichen Tätigkeiten wie der Leitung einer mündlichen Verhandlung oder der staatsanwaltlichen Sitzungsvertretung, sofern sie nicht unter ständiger Aufsicht der ausbildenden Person stehen. In solchen Fällen trägt die ausbildende Person die Robe, nicht die Referendarin, so das Justizministerium. Zwischen 2021 und 2026 gab es in Berlin sieben Referendarinnen, die während ihrer Ausbildung ein Kopftuch trugen. Fälle von Staatsanwältinnen oder Richterinnen mit Kopftuch sind nicht bekannt.

Niedersachsen

In Niedersachsen regelt § 31a des niedersächsischen Justizgesetzes (NJG) das Tragen von religiösen, weltanschaulichen oder politischen Symbolen. Richter und Staatsanwälte dürfen während richterlicher oder staatsanwaltlicher Aufgaben keine solchen Symbole tragen. Schöffinnen können mit Kopftuch gewählt werden, dürfen jedoch während strafgerichtlicher Hauptverhandlungen keine sichtbaren religiösen Symbole tragen. Das Justizministerium erhebt keine Daten über das Tragen von Kopftüchern durch Rechtsreferendarinnen, Staatsanwältinnen oder Richterinnen in Niedersachsen; deshalb seien keine konkreten Fälle bekannt.

Mecklenburg-Vorpommern

In Mecklenburg-Vorpommern gibt es keine spezifischen landesrechtlichen Regelungen zum Tragen religiöser Symbole für Richterinnen, Richter, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte. Die bundesrechtliche Regelung gemäß § 34 Absatz 2 Satz 4 des Beamtenstatusgesetzes findet Anwendung, wonach religiös oder weltanschaulich konnotierte Merkmale des Erscheinungsbildes eingeschränkt oder untersagt werden können, sofern sie das Vertrauen in die neutrale Amtsführung beeinträchtigen könnten. Bisher wurde hiervon kein Gebrauch gemacht.

Zur Frage, ob Personen mit Kopftuch das Schöffinnenamt in Mecklenburg-Vorpommern ausüben können, ist bisher kein rechtlicher Präzedenzfall bekannt, da sich keine Gerichte oder Richter bisher mit dieser spezifischen Problematik befasst haben, heißt es auf Anfrage von IslamiQ. Aktuell seien auch keine Fälle bekannt, in denen Rechtsreferendarinnen, Staatsanwältinnen oder Richterinnen in Mecklenburg-Vorpommern ein Kopftuch tragen.

Bayern

In Bayern gilt gemäß dem Bayerischen Richter- und Staatsanwaltsgesetz, das seit dem 1. April 2018 in Kraft ist, dass Richterinnen, Richter, Staatsanwältinnen, Staatsanwälte sowie ehrenamtliche Richterinnen und Richter keine sichtbaren religiös oder weltanschaulich geprägten Symbole oder Kleidungsstücke tragen dürfen, die Zweifel an ihrer Unabhängigkeit, Neutralität oder ausschließlichen Bindung an Recht und Gesetz hervorrufen könnten.

Statistische Daten über die Anzahl der Rechtsreferendarinnen, Staatsanwältinnen und Richterinnen, die in Bayern ein Kopftuch tragen, liegen nicht vor. Es wurden jedoch in den letzten Jahren Rechtsreferendarinnen ausgebildet, die aus religiösen Gründen ein Kopftuch trugen. Diese konnten ihre Ausbildung absolvieren, durften aber keine hoheitlichen Tätigkeiten mit Außenwirkung ausüben.

Thüringen

In Thüringen gibt es keine speziellen Vorschriften zum Tragen religiöser Symbole in der Justiz. Richter und Staatsanwälte müssen unauffällige Kleidung tragen, die mit der Amtstracht vereinbar ist. Personen mit Kopftuch können grundsätzlich das Schöffinnenamt ausüben, jedoch könnte das Tragen religiöser Symbole zu einer Ablehnung wegen Befangenheitsbesorgnis führen. „Situationsbedingt könnte auch eine sitzungspolizeiliche Verfügung ergehen, wenn das Tragen von religiösen Symbolen den ungestörten Ablauf der Sitzung gefährdet“, erklärt der Pressesprecher des Justizministeriums weiter. Bisher sind keine Fälle bekannt, in denen Rechtsreferendarinnen, Staatsanwältinnen oder Richterinnen in Thüringen ein Kopftuch tragen.

Rheinland-Pfalz

In Rheinland-Pfalz müssen Richter und Staatsanwälte eine Kleidung tragen, die das Vertrauen in ihre neutrale Amtsführung nicht beeinträchtigt. Personen, die ein Kopftuch tragen, können grundsätzlich das Schöffinnenamt ausüben, doch liegt die Entscheidung hierbei in der richterlichen Unabhängigkeit der zuständigen Gerichte. Es sind keine Fälle bekannt, in denen Rechtsreferendarinnen, Staatsanwältinnen oder Richterinnen ein Kopftuch tragen. Statistische Daten dazu werden nicht erfasst.

Saarland

Im Saarland gibt es keine spezifischen Vorschriften zur Nutzung religiöser Symbole in der Justiz. Allerdings drücke das Tragen eines Kopftuchs bei objektiver Betrachtung „eine bestimmte religiöse Auffassung aus“, erklärt das Justizministerium auf Anfrage von IslamiQ. Die Neutralität des Gerichts habe sowohl für die hauptamtlichen als auch für die ehrenamtlichen Richterinnen und Richter Bestand, und dies gelte es zu wahren. „Auch aus dem Neutralitätsgebot her abgeleitet, sollte das Tragen eines Kopftuchs aus religiösen Gründen, aber auch das Tragen sonstiger sichtbarer religiöser Symbole unterlassen werden“, erklärt das Justizministerium weiter. 

Im Saarland gibt es keine Richterinnen und Staatsanwältinnen, die ein Kopftuch tragen. Doch gibt es im juristischen Vorbereitungsdienst zwei kopftuchtragende Rechtsreferendarinnen. Laut Justizministerium haben diese ein Wahlrecht für den Bereich der praktischen Ausbildung. Sie haben die Möglichkeit, hoheitliche Aufgaben ohne das Tragen religiöser Symbole auszuüben, um das Neutralitätsgebot zu wahren, „können aber auch auf die Wahrnehmung solcher Teile der praktischen Ausbildung verzichten, ohne dass dies (negativ) in die Leistungsbeurteilung einfließen darf“. 

Schleswig-Holstein

In Schleswig-Holstein dürfen nach den Bestimmungen des Landesbeamtengesetzes religiös oder weltanschaulich konnotierte Erscheinungsmerkmale von Beamtinnen und Beamten nur eingeschränkt werden, wenn sie das Vertrauen in die neutrale Amtsführung beeinträchtigen könnten. Diese Regelungen gelten auch für Berufsrichterinnen und -richter. Für ehrenamtliche Richterinnen und Richter, wie Schöffinnen und Schöffen, gibt es keine spezifischen Vorschriften bezüglich des Tragens von Kopftüchern. Bisher ist kein Fall bekannt, in dem eine Schöffin während ihrer Amtsausübung ein Kopftuch trug. 

Derzeit gebe es in Schleswig-Holstein eine Rechtsreferendarin, die im Dienst ein Kopftuch trage und mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft bestimmte hoheitliche Aufgaben vermieden habe. Weitere Fälle seien dem Justizministerium nicht bekannt. 

Hamburg

Bislang haben die Gerichte in Hamburg bei den seltenen Fällen, in denen es um das Zeigen religiöser Symbole und insbesondere die Frage des Kopftuchtragens ging, stets mit viel Fingerspitzengefühl Lösungen im Einzelfall gefunden, erklärt das Justizministerium der freien Hansestadt. Das betraf auch die Schöffinnen, wenngleich hierzu keine Fälle bekannt seien.

Die Justizministerien in Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt ließen die Anfrage unbeantwortet.

 

Leserkommentare

EVERGREEN sagt:
Als Jugendschöffin ist die Dame wohl kaum geeignet. 1] Wenn Jugendliche sie in ihrer Aufmachung sehen, assoziieren sie Bilder aus ihrem Geschichtsbuch: ein Ritter, der gerade sein Visier des Helmes geöffnet hat. Auch die Dame könnte jederzeit ihr Visier wieder schließen. 2] Geschichtskundigere fühlen sich aufgrund der martialischen Assoziation Helm daran erinnert, dass sich der Islam nur mit dem Schwert durchge- setzt und dann mit dem Schwert expandiert hat und auch heute Islami- sten weltweit an diese Tradition anknüpfen. Leider wird diese blutige Geschichte nicht aufgearbeitet. 3] IslamiQ sollte mithelfen, dass Sorgen und Befürchtungen gegenüber dem Islam abgebaut werden. Doch gerade diese Sorgen und Befürchtungen fördert IslamiQ, indem es mit Doppelstandards und zweierlei Maß berichtet. Fände es IslamiQ richtig, dass Juden mit Kippa, Shiks mit ihrem Turban und Bhagwan-Jünger in ihrem Gewand Lehrer und Schöffe werden könn- ten? Wenn irgendwo eine Muslimin wegen Kopftuch (zum Beispiel die französischen Athletinnen, die unter der Staatsflagge antreten) Probleme bekommen, wird regelmäßig berichtet. Doch dort wo von Staats wegen (nicht nur im Iran) Kopftuch mit harten Strafen erzwungen wird oder in Deutschlands Schulen oft durch Mobbing zum Kopftuchtragen genötigt wird, schweigt man, obwohl man informiert ist. Das fördert leider das Misstrauen gegenüber vielen islamischen Organisationen. Für die Frei- heit des Individuums muss man sich generell einsetzen. Und vor allem sollte man auch muslimische Theolog:innen zu Wort kommen lassen, welche darauf hinweisen, dass das Kopftuch im Koran nicht geboten ist und es bei dortigen Stellen um ganz Anderes geht. Das Kopftuch ist eine Diskriminierung der Frau; und wo in muslimischen Gemeinschaften das Kopftuchgebot aufgenötigt wird, liegt innerislamischer Rassismus vor.
20.07.24
14:23