Neonazis, Reichsbürger, militante Corona-Leugner: Forscher warnen vor einer dramatischen Radikalisierung der extremen Rechten. Dabei spielen die Sozialen Medien eine große Rolle. Neu im Blick der Rechten: Umweltschutz.
Extremismusforscher haben sich über eine Rasanz der Ausbreitung rechtsextremer Einstellungen in Deutschland alarmiert gezeigt. „Diese Prozesse haben in den vergangenen Jahren plötzlich eine Dynamik und eine Schnelligkeit entwickelt, die früher unvorstellbar war“, sagte der Historiker Wolfgang Zimmermann am Mittwoch bei einer Pressekonferenz in Stuttgart. „Wir haben inzwischen eine ganz neue gesellschaftliche Gesamtsituation.“
Zimmermann leitet das Generallandesarchiv Karlsruhe und ist kommissarischer Leiter der dortigen Dokumentationsstelle Rechtsextremismus, die als eines der größten Archive zum Rechtsextremismus in Deutschland gilt.
„In den letzten Jahren hat eine gewaltige Radikalisierung stattgefunden“, betonte Zimmermann. Als Stichworte nannte er „militante Corona-Leugner, rechtsterroristische Reichsbürger und Neonazi-Parteien wie die Freien Sachsen“. Beim Antisemitismus gebe es eine wachsende Schnittmenge zwischen Rechtsextremisten und der Mitte der Gesellschaft. Zugleich sei eine „rechte Subkultur“ in die Sozialen Medien abgewandert, die sich dort abschotte und ihre Welt konstruiere. „Wir müssen in deren Kommunikationswelten kommen“, riet Zimmermann.
Eine Studie des an der Universität Tübingen angesiedelten bundesweit einzigen universitären Instituts für Rechtsextremismusforschung ergab, dass die extreme Rechte versuche, „den Begriff Heimat zu besetzen“. Anschließend würden angebliche „Bedrohungen der Heimat“ ausgemacht – „von außen durch Migranten und islamistische Terroristen und von innen durch Kriminalität und Eliten“. Rolf Frankenberger, wissenschaftlicher Leiter des seit einem Jahr arbeitenden Instituts, sagte, die extreme Rechte spiele gekonnt mit den Ängsten von Menschen. Sie verbinde „ihr national und völkisch aufgeladenes Verständnis von Heimat mit Bedrohungsfantasien“.
Nicht nur Heimat, auch Umweltschutz werde bei extrem rechten Parteien immer mehr zum Thema. „Allerdings hat das bei ihnen nichts mit Klimaschutz zu tun“, sagte Frankenberger. Der Grund: Komplexe globale Lösungsstrategien gegen den Klimawandel seien mit „nationalistischen Abschottungsstrategien“ der Rechten nicht vereinbar.
Baden-Württembergs Wissenschaftsministerin Petra Olschowski (Grüne) sagte, die extreme Rechte nutze „demokratische Strukturen und Verfahren, um am Ende die Demokratie zu gefährden“. (KNA, iQ)